Année politique Suisse 1997 : Bildung, Kultur und Medien / Bildung und Forschung /  Berufsbildung
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Lehrstellen
Ab dem Frühjahr veröffentlichte das BIGA erstmals alle zwei Monate ein "Lehrstellen-Barometer". Während die ersten repräsentativen Umfragen bei Arbeitgebern und Jugendlichen noch ergaben, dass mindestens 4500 Lehrstellen fehlen, zeichnete sich im Verlauf des Jahres eine deutliche Verbesserung des Lehrstellenangebotes ab [28].
Gemäss BFS schlossen 1996 knapp 54 000 Lehrlinge und Lehrtöchter ihre Berufslehre ab, gleich viel wie im Vorjahr. Damit kam der seit zehn Jahren anhaltende Rückgang der Lehrabschlüsse zum Stillstand [29].
Eine Nationalfonds-Studie bezifferte die Kosten der Lehrlingsausbildung auf jährlich 6,7 Mia Fr. (Basisjahr 1994). 2,9 Mia Fr. erbringen die von den Kantonen getragenen Berufsschulen, 3,8 Mia Fr. die Betriebe. Dank der Arbeitsleistung der Lehrlinge, die mit 2,1 Mia Fr. zu Buche schlägt, betragen die Nettokosten für die Betriebe noch 1,7 Mia Fr. Die Autoren kamen jedoch zum Schluss, dass nicht die finanzielle Belastung, sondern die zeitintensive Betreuung der Jugendlichen und deren von vielen Betrieben als ungenügend beurteilter Ausbildungsstand nach Absolvierung der obligatorischen Schulzeit die Hauptgründe dafür sind, dass in der Schweiz das Lehrstellenangebot kontinuierlich sinkt und über zwei Drittel der Betriebe überhaupt keine Lehrlinge mehr ausbilden [30].
Im Rahmen des Investitionsprogrammes beantragte die WAK des Ständerates unter dem Motto "Bildung statt Beton", 60 Mio Fr. für die Verbesserung des Lehrstellenangebots anstatt für die Substanzerhaltung von Bundesbauten freizugeben. Sie schlug dabei vor, Arbeitgeber pro zusätzliche Lehrstelle mit 5000 Fr. zu entschädigen, womit 12 000 Lehrstellen hätten geschaffen werden können. Die WAK des Nationalrates schloss sich der Kreditforderung von 60 Mio Fr. an, beantragte aber, die Einsetzung der Mittel dem BIGA zu überlassen. In diesem Sinne stimmten auch die Räte und verabschiedeten den Bundesbeschluss über die Förderung von Lehrstellen in der April-Sondersession mit grosser Mehrheit. In einer Verordnung konkretisierte der Bundesrat den für die Ausbildungsjahre 1997 bis 1999 geltenden dringlichen Bundesbeschluss. Danach erhöht der Bund vorübergehend die Beiträge für bestehende obligatorische Einführungskurse (42-57%, je nach Finanzkraft der Kantone) und für die Schaffung neuer Einführungskurse durch anerkannte Lehrwerkstätten, Berufsverbände und Berufsbildungsinstitutionen sowie für die Erweiterung bestehender Einführungskurse (52-67%). Höher fallen auch die Zuschüsse für Vorlehren, Betriebspraktika und Integrationskurse für Jugendliche ohne Lehrstellen aus (47-67%). Neue Massnahmen der Kantone im Bereich Erhaltung oder Erschliessung neuer Lehrstellen sowie neue Ausbildungsverbünde unterstützt der Bund - je nach Quoten der Jugendarbeitslosigkeit und Lehrstellenmangel - mit 40% bis 80% der Aufwendungen [31].
Um der Lehrstellenknappheit längerfristig zu begegnen, gab der Nationalrat in der Sommersession ausserdem einer parlamentarischen Initiative Strahm (sp, BE) Folge, die dem Bundesrat die Kompetenz einräumen will, ein Anreizsystem oder einen Lastenausgleich zugunsten von Lehrbetrieben zu schaffen. Für den Initianten steht ein Bonus-Malus-System zwischen Betrieben ohne Ausbildungsaufwendungen und Betrieben, die sich in der Berufsbildung engagieren, im Vordergrund, da diese Lösung budgetneutral wäre. Er stellte aber auch Begünstigungen für Lehrbetriebe durch Steuererleichterungen oder durch staatliche Zuwendungen zur Diskussion. Die WBK erhielt den Auftrag, eine entsprechende Ergänzung des Berufsbildungsgesetzes auszuarbeiten.
Eine Subkommission "Anreizsysteme für Lehrstellen" diskutierte neben einem Bonus-Malus-System und steuerlichen Erleichterungen auch das im Kanton Genf praktizierte Modell, das Lehrbetrieben eine Entschädigung pro eingestelltem Lehrling bezahlt. Weiter stellte sie ein Gütezeichen zur Diskussion, das innerhalb eines Verbandes an Betriebe vergeben würde, die in der Berufsbildung aktiv sind [33].
Beide Räte überwiesen eine Motion der FDP-Fraktion, die den Bundesrat zu einer Reihe von Massnahmen in der Lehrlingsausbildung auffordert. So seien für Betriebe, die nicht über genügend Ausbildungskapazitäten für eine vollständige Lehrlingsausbildung verfügen, betriebsübergreifende Teilausbildungen zu fördern. Weiter sollen die speziell für schulisch Schwächere geeigneten Konzepte der Anlehre und der Vorlehre in der Öffentlichkeit besser bekannt gemacht werden. Für Spätentwickler sei zudem die Möglichkeit zu schaffen, die Lehrabschlussprüfung in Raten zu absolvieren [34].
Der Nationalrat überwies zusätzlich ein Postulat der WBK, das den Bundesrat einlädt, eine permanente Lehrstellenmarktbeobachtung zu errichten und bei Betriebsschliessungen die Umplazierung von Lehrlingen mit Mitteln der Arbeitslosenversicherung zu ermöglichen. Wie die parlamentarische Initiative Strahm verlangt das Postulat ausserdem, Steuererleichterungen und ein Bonus-Malus-System zur Lehrstellenförderung zu prüfen [35].
 
[28] Presse vom 29.3. und 15.10.97.28
[29] Presse vom 20.9.97.29
[30] NZZ, 7.6.97.30
[31] NZZ, 12.4.97; Amtl. Bull. StR, 1997, S. 373 ff. und 408; Amtl. Bull. NR, 1997, S. 655 ff., 797 und 840; BBl, 1997, S. 747 ff.; Presse vom 9.5.97; NZZ, 19.7.97. Zum Investitionsprogramm siehe oben, Teil I, 4a (Konjunkturpolitik).31
[33] BaZ, 11.6.97.33
[34] Amtl. Bull. NR, 1997, S. 527 ff.; Amtl. Bull. StR, 1997, S. 735.34
[35] Amtl. Bull. NR, 1997, S. 1066 f.35