Année politique Suisse 1997 : Bildung, Kultur und Medien / Medien
Medienpolitische Grundfragen
In der Frühlingssession kam die Revision des Medienstraf- und Verfahrensrechts ins Parlament. Deren Beratung fand unter dem Eindruck von zwei Vorfällen statt. Einerseits dem Fall Jagmetti: Die "SonntagsZeitung" hatte im Januar aus einer vertraulichen Lageanalyse über die Forderungen jüdischer Organisationen im Zusammenhang mit den Holocaust-Geldern von US-Botschafter Carlo Jagmetti zitiert, worauf dieser zurücktrat. Der Fall Jagmetti führte im bürgerlichen Lager teilweise zu einem Meinungsumschwung in Richtung Disziplinierung der Medien. Andererseits wurde Ende Februar publik, dass die Bundesanwaltschaft, nachdem im letzten Jahr ein erster Fall bekannt geworden war, in zwei weiteren Fällen - bei "Facts" und beim "Bund" - Telefonüberwachungen vorgenommen hatte, um Indiskretionen in den Reihen der Verwaltung auf die Spur zu kommen. Die Medienschaffenden reagierten empört.
Der
Nationalrat entschied sich als Erstrat
für ein restriktives Medienstrafrecht. In der Kernfrage des Quellenschutzes folgte er dem bundesrätlichen Konzept und entschied, dass es Sache der Gerichte sein soll, ob das Zeugnisverweigerungsrecht gewährt wird, oder ob die Interessen der Strafjustiz vorgehen. Ein von der Mehrheit seiner vorberatenden Rechtskommission und der Ratslinken vorgeschlagenes generelles
Zeugnisverweigerungsrecht für Medienschaffende, das nur unter bestimmten Voraussetzungen, etwa wenn es um ein schweres Verbrechen geht, aufgehoben werden könnte, lehnte er mit 84 zu 67 Stimmen ab. Um ein Haar hätte dagegen ein Antrag Vallender (fdp, AR) auf Streichung Erfolg gehabt; die Votantin argumentierte, dass die Verfassungsgrundlage für ein Zeugnisverweigerungsrecht fehle. Gegen den Willen des Bundesrates und der Kommissionsmehrheit lehnte eine bürgerliche Ratsmehrheit mit 74 zu 64 Stimmen ausserdem die Streichung der umstrittenen Strafvorschrift über die
Veröffentlichung amtlich geheimer Verhandlungen ab. Vergeblich wiesen Bundespräsident Koller und die Linke darauf hin, dass diese Strafnorm bereits heute keine Wirkung habe und dass der indiskrete Beamte, nicht der Journalist zu bestrafen sei. Mit 75 zu 49 Stimmen lehnte es der Nationalrat ausserdem ab, die Anwendung des Gesetzes über den
unlauteren Wettbewerb (UWG) in bezug auf Journalisten aufzuheben. Eine Kommissionsmehrheit hatte vorgeschlagen, das Gesetz auf Medienschaffende nicht anzuwenden, wenn diese nicht mit Wettbewerbsabsicht gehandelt haben. Mit 75 zu 37 Stimmen, gegen den Willen der Fraktionen von SP und GPS, hiess der Rat die Revision schliesslich gut
[2].
Im Gegensatz zum Nationalrat und zum Bundesrat
erweiterte der Ständerat das Zeugnisverweigerungsrecht für Medienschaffende. Mit 20 zu 13 Stimmen folgte er einem Antrag Zimmerli (svp, BE), der ein absolutes Redaktionsgeheimnis festschreiben wollte, das nur in zwei Situationen durchbrochen werden kann. Erstens, wenn dadurch eine Person aus einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben gerettet werden kann, oder zweitens, wenn ohne das Zeugnis ein Tötungsdelikt oder ein anderes, mit einer Mindeststrafe von drei Jahren Zuchthaus bedrohtes Verbrechen nicht aufgeklärt werden kann. Das gilt für zehn Straftatbestände. Bundespräsident Koller bedauerte, dass mit dieser Regelung neuere Tatbestände wie das organisierte Verbrechen oder Geldwäscherei nicht abgedeckt wären. In bezug auf die
Veröffentlichung von amtlich geheimen Dokumenten folgte der Ständerat der restriktiven Linie des Nationalrates und beschloss - jedoch knapp, mit 16 zu 15 Stimmen - dass diese
weiterhin strafbar bleiben soll
[3].
In der Differenzbereinigung fasste der Nationalrat das Zeugnisverweigerungsrecht wieder etwas enger. Von seiner ursprünglichen Position, die Interessenabwägung zwischen Quellenschutz und Strafverfolgung dem Ermessen des Richters zu überlassen, kam er ab und erweiterte auf Anregung von Rolf Engler (cvp, AI) den vom Ständerat beschlossenen Ausnahmekatalog vom Zeugnisverweigerungsrecht auf 21 Tatbestände. Neben den Gewaltdelikten listete er abschliessend unter anderem harte Pornographie, Pädophilie, Geldwäscherei, Korruption und die organisierte Kriminalität auf. Der Ständerat fügte diesem noch Fälle von schwerem Drogenhandel an, was auch die Zustimmung des Nationalrates fand. Insgesamt müssen Journalisten ihre
Quellen damit
bei
22 Strafrechts-Tatbeständen offenlegen [4].
Diskussionslos überwies der Nationalrat zudem eine Motion seiner Rechtskommission, die den Bundesrat auffordert, umgehend eine Vorlage für die Revision der Strafbestimmungen des Bundesgesetzes gegen den
unlauteren Wettbewerb (UWG) zu unterbreiten, welche die Grundrechte der Meinungs- und Informationsfreiheit besser wahrt
[5].
Die beiden Kommissionen zur Vorberatung der Totalrevision der Bundesverfassung kamen bei der Regelung der
Medienfreiheit im Rahmen der Verfassungsnachführung zu unterschiedlichen Lösungen (Art. 14a Abs. 3). Die ständerätliche Kommission sprach sich gegenüber der Bundesratsvariante für eine Abschwächung aus. Die Verfassung solle das Redaktionsgeheimnis nicht ausdrücklich garantieren, sondern nur den Auftrag enthalten, dessen Umfang auf Gesetzesstufe festzulegen. Die nationalrätliche Kommission hielt hingegen an der verfassungsmässigen Garantie des Redaktionsgeheimnisses fest
[6].
1995 hatte der Nationalrat einer parlamentarischen Initiative seiner Rechtskommission Folge gegeben, wonach
vorsorglich verfügte Publikationsverbote gegen Medienerzeugnisse künftig beim Bundesgericht angefochten werden können. Im letzten Jahr war der Ständerat auf diese Initiative aber nicht eingetreten. Diesem Entscheid folgte nun auch der Nationalrat
[7].
[2]
Amtl. Bull. NR, 1997, S. 383 ff. Siehe auch G. Lüchinger, "Erleichterungen für den unfairen Journalismus? Gegen eine extensive Lockerung des Medienstrafrechts", in
NZZ, 4.3.97 sowie F. Riklin, "Faire Spielregeln für den Journalismus. Für medienstrafrechtliche Lockerungen", in
NZZ, 13.3.97.2
[3]
Amtl. Bull. StR, 1997, S. 572 ff.3
[4]
Amtl. Bull. NR, 1997, S. 1817 ff., 2061 f. und 2327;
Amtl. Bull. StR, 1997, S. 899 f. und 1024;
BBl, 1997, IV, S. 782 ff. Vgl. auch D. Barrelet, "Le nouveau droit pénal des médias ne tient pas toutes ses promesses", in
Medialex, 1997, Nr. 4, S. 185 f. Das neue Medienstrafrecht wird am 1. April 1998 in Kraft treten.4
[5]
Amtl. Bull. NR, 1997, S. 1822 f.5
[6]
BBl, 1998, S. 373 und 442;
NZZ und
TA, 23.4.97;
SGT, 21.8.97 (NR).6
[7]
Amtl. Bull. NR, 1997, S. 1873. Vgl.
SPJ 1996, S. 318.7
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