Année politique Suisse 1998 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Christlichdemokratische Volkspartei (CVP)
Nach rund siebenjähriger Tätigkeit trat der Zuger Nationalrat Peter Hess als Präsident der CVP-Bundeshausfraktion zurück. Er begründete seinen Schritt u.a. damit, dass ein periodischer Wechsel in wichtigen Führungspositionen notwendig sei und die Erneuerung der Parteispitze nach der Neubesetzung des Präsidentenamtes (Durrer) und der Wahl des Generalsekretärs (Gernet) von 1997 abgeschlossen werden müsse. Auf Vorschlag der “Groupe Latin” wurde der Genfer Nationalrat Jean-Philippe Maitre mit 23 zu 19 Stimmen vor dem Freiburger Joseph Deiss zum neuen Fraktionschef gewählt  [20].
Am Europakongress vom 4. April in Basel sprach sich eine Mehrheit der CVP-Delegierten unerwartet klar für einen EU-Beitritt aus. In einer Resolution forderte sie den Bundesrat auf, Beitrittsverhandlungen mit der EU vorzubereiten, hielt aber daran fest, dass dem Abschluss der bilateralen Verhandlungen und deren Annahme durch das Volk in einem allfälligen Referendum Priorität zukomme. Sie zeigte sich davon überzeugt, dass die politische Souveränität sowie wirtschaftliche, soziale, kulturelle, bildungs- und forschungspolitische Interessen der Schweiz innerhalb der EU am effektivsten verteidigt werden könnten. Zugleich verwies sie in ihrer Resolution auf noch offene Fragen, wo Lösungen erarbeitet werden müssen. Sie erinnerte dabei an die Wahrung der direktdemokratischen Mitwirkungsrechte im Rahmen der EU-Entscheidungsprozesse, an die Erhaltung der Sozial- und Umweltstandards der Schweiz und an die Kompensation der Erhöhung der Mehrwertsteuer durch eine umfassende Reform des Steuersystems [21].
In einem Positionspapier zur Asylplattform formulierte die CVP ihre asylpolitische Grundhaltung. In Bezug auf die aktuelle Lage sprach sie sich für eine vorübergehende Aufnahme der Kosovo-Flüchtlinge sowie für einen Armeeinsatz zur Unterstützung des Grenzwachtkorps und zur Flüchtlingsbetreuung aus. Als eigentliches Fundament der Asylplattform betrachtete sie die Verwirklichung des vom Parlament verabschiedeten Asylgesetzes sowie den dringlichen Beschluss über Massnahmen im Asyl- und Ausländerrecht. Auf aussenpolitischer Ebene stand für die CVP eine möglichst rasche Integration der Schweiz in die europäischen Harmonisierungsbestrebungen im Asylbereich sowie die vollumfängliche Mitwirkung an friedensunterstützenden Massnahmen der UNO und der OSZE im Zentrum [22].
Eine Woche nach der massiven Niederlage der CVP bei den Parlamentswahlen in Zug kündigte Parteipräsident Durrer anlässlich einer Delegiertenversammlung vom 31. Oktober in Muttenz an, das Image als blosse Mehrheitsbeschafferin abzulegen und vermehrt “Krallen und Zähne” zu zeigen. Trotz inhaltlicher, personeller und organisatorischer Erneuerung sei die erwünschte Trendwende bei der Wählergunst noch nicht herbeigeführt worden. Als Ursachen für die Krise ortete er interne Querelen, eine mangelnde Identifikation vieler Mandatsträger mit der Partei sowie den Mangel an profilierter Themenführerschaft. Die CVP nehme sich künftig das Recht heraus, bei Bedarf vermehrt Nein zu sagen, ohne der SVP die Rolle des ständigen Neinsagers streitig machen zu wollen. Für den Wahlkampf 1999 sollen die Prioritäten auf die Probleme der Arbeitslosigkeit, der Migrations- sowie der Sozialpolitik gelegt werden [23].
Bei den kantonalen Wahlen hielt der langsame Erosionsprozess der CVP unvermindert an: insbesondere in ihren Stammlanden verzeichnete sie teilweise massive Verluste. In den sieben Kantonen, in welchen Wahlen stattfanden, verlor sie insgesamt 10% ihrer Parlamentsmandate (15 Sitze). Ausserdem musste sie in Graubünden und Zug je einen Exekutivsitz an die SP bzw. SVP abtreten. In Nidwalden, wo die Regierung von neun auf sieben Sitze verkleinert wurde, büsste sie gar deren zwei ein. Schliesslich musste sie auch ihren Ständeratssitz im Kanton Obwalden an den Parteilosen Peter Hess abtreten.
 
[20] Presse vom 27.6. (Hess) sowie vom 12.9.98 (Maitre).20
[21] Ww, 2.4.98; Presse vom 4.4. und 6.4.98. Vgl. auch Beitrittsbefürwortung der CVP-Fraktion sowie der CVP-Frauen (Presse vom 23.2. resp. 30.3.98).21
[22] CVP-Positionspapier zur Asylplattform, Bern 1998.22
[23] Presse vom 31.10. und 2.11.98.23