Année politique Suisse 1998 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Staatsschutz
Am 7. Juni lehnten die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger die Volksinitiative „S.o.S. – für eine Schweiz ohne Schnüffelpolizei“, welche die Abschaffung der Staatsschutzorgane verlangte, mit deutlicher Mehrheit ab. Die Kampagne warf kaum Wellen und stand total im Schatten der gleichzeitig zur Abstimmung gelangenden Genschutz-Initiative. Obwohl das befürwortende Komitee von zwei sozialdemokratischen Nationalräten angeführt wurde (de Dardel, GE und Rechsteiner, SG) engagierte sich auch die SP nur lauwarm für die Initiative. Neben ihr hatten auch die GP, die PdA und die Lega dei ticinesi die Ja-Parole ausgegeben; der Gewerkschaftsbund hatte hingegen auf eine Parole verzichtet. Das Hauptargument der Befürworter bestand darin, dass die präventiv wirkenden Staatsschutzorgane überflüssig seien, da bei einem Verdacht auf strafbare Handlungen ohnehin die gerichtspolizeilichen Instanzen zuständig seien [15].
Für die Gegner des Volksbegehrens war dieses einerseits überflüssig, weil das 1997 vom Parlament beschlossene neue Staatsschutzgesetz die politische Polizei im Sinne einer Gesinnungsschnüffelei ausdrücklich verbietet. Andererseits sei diese Initiative auch gefährlich, weil in den Bereichen des verbotenen Nachrichtendienstes sowie der Bekämpfung des organisierten Verbrechens und des politisch motivierten Terrorismus auf die Früherkennung durch eine präventive Ermittlung, aber auch auf den diesbezüglichen internationalen Informationsaustausch nicht verzichtet werden dürfe [16].
Volksinitiative „S.o.S. – für eine Schweiz ohne Schnüffelpolizei“
Abstimmung vom 7. Juni 1998

Beteiligung: 40,1%
Nein: 1 383 055 (75,4%) / 23 6/2 Stände
Ja: 451 089 (24,6%) / 0 Stände

Parolen:
– Ja: SP (1*), GP, Lega, PdA.
– Nein: FDP, CVP, SVP, FP, SD, LP, LdU, EVP, EDU; Vorort, SGV, SBV, Angestelltenverband.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Das Resultat fiel mit 75,4% ablehnenden Stimmen deutlich aus. Kein einziger Kanton wies eine Ja-Mehrheit auf; am besten schnitt die Initiative im Jura ab, wo sich knapp ein Drittel dafür aussprachen. Die Ablehnung war in ländlichen Gebieten etwas stärker als in den städtischen Agglomerationen, hingegen waren kaum Unterschiede in bezug auf Sprachregion auszumachen. Die Vox-Analyse ergab, dass das Interesse der Stimmberechtigten an diesem Thema nur gering war. Sie zeigte weiter auf, dass auch Personen mit linker politischer Grundhaltung die Initiative mehrheitlich ablehnten und nur etwa die Hälfte der Sympathisanten der SP die Parteiparole befolgt hatten [17]. Nach der Ablehnung der S.o.S.-Initiative stand der Inkraftsetzung des neuen Staatsschutzgesetzes nichts mehr im Wege; sie erfolgte auf den 1. Juli [18].
Der Bundesrat zeigte sich in seiner Stellungnahme eher skeptisch zu einem im Vorjahr von der Rechtskommission des Nationalrats vorgelegten Entwurf für einen Bundesbeschluss über die Erforschung der Beziehungen von Schweizer Personen und Firmen zum Staatssicherheitsdienst (Stasi) der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Er sprach dem Anliegen zwar seine Berechtigung nicht ab, zweifelte aber daran, dass es sich dabei um eine vordringliche staatliche Aufgabe handle. Sofern diese Beziehungen unverjährte kriminelle Aktivitäten (z.B. Spionage oder Geldwäscherei) beträfen, sei deren Aufklärung Sache der Strafverfolgungsbehörden. Wenn es aber lediglich um historische Aufklärung gehe, dann sei seiner Meinung nach eher die Geschichtswissenschaft zuständig [19].
Im Zusammenhang mit der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, aber auch der illegalen Einwanderung kommt der effizienten Grenzüberwachung eine zunehmende Bedeutung zu. Im Nationalrat und auch vom Bundesrat unbestritten war eine Motion Freund (svp, AR), der die sofortige Ausrüstung des Grenzwachtkorps mit neuen technischen Hilfsmitteln (optische Geräte für Hohlraumkontrollen in Fahrzeugen, Anschlüsse an Fingerabdruckdatenbanken etc.) forderte. Die kleine Kammer überwies das gleiche Anliegen in der Form einer Empfehlung [20].
Auf den 30. April hob der Bundesrat den Beschluss von 1948 über die Bewilligung von politischen Reden von Ausländern ohne Niederlassungsbewilligung auf. Dieser war in den letzten Jahrzehnten ohnehin kaum mehr angewendet worden [21]. Weiter in Kraft blieb vorerst der ebenfalls aus der Zeit des Kalten Krieges stammende Propagandabeschluss. Dieser erlaubt der Bundesanwaltschaft, sogenannt staatsgefährdendes Material zu beschlagnahmen, d.h. Zeitschriften, Bücher und weitere Informationsmittel, welche beispielsweise die Unabhängigkeit der Schweiz, den Bestand ihrer demokratischen Institutionen oder die Beziehungen zu anderen Staaten gefährden. Dieser Beschluss hätte nach Ansicht eines Gutachtens des EJPD jedoch revidiert oder aufgehoben werden müssen, da er wegen fehlender verwaltungsrechtlicher Beschwerdemöglichkeit nicht EMRK-konform ist. Mit der Inkraftsetzung des neuen Staatsschutzgesetzes (siehe oben) hob ihn der Bundesrat dann im Sommer auf. Eine Beschlagnahmung wird in Zukunft nur noch möglich sein, wenn ein konkreter Straftatverdacht vorliegt [22].
 
[15] Bund, 1.4.98; NZZ, 7.5.98; WoZ, 14.5.98; Presse vom 20.5.-6.6.98. Siehe SPJ 1997, S. 28.15
[16] NZZ, 8.4.98 sowie Presse vom 20.5.-6.6.98.16
[17] BBl, 1998, S. 4363 ff.; Presse vom 8.6.98; Sybille Hardmeier / Daniel Scheiwiller, Vox. Analyse der eidg. Abstimmung vom 7. Juni 1998, Zürich 1998.17
[18] NZZ, 14.6.98. Vgl. dazu SPJ 1997, S. 29 f.18
[19] BBl, 1998, S. 3956 ff.; BaZ, 16.6.98. Vgl. SPJ 1997, S. 30 sowie BaZ, 17.6.98.19
[20] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2834; Amtl. Bull. StR, 1998, S. 1301 f.20
[21] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 816 (Einfache Anfrage Gross, sp, ZH); TA, 10.3.98.21
[22] TA, 12.5. (EMRK) und 19.6.98 (Aufhebung).22