Année politique Suisse 1998 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Politische Manifestationen
Die Zahl der Grossdemonstrationen mit 1000 und mehr Beteiligten nahm gegenüber dem Vorjahr von 21 auf 32 zu. Verantwortlich dafür war die grössere Zahl von Kundgebungen, bei denen in der Schweiz lebende Ausländer gegen die Unterdrückung in ihren Herkunftsstaaten protestierten. Insgesamt wurden davon zwölf (1997: 4) durchgeführt: neun von Kosovo-Albanern, zwei von Kurden aus der Türkei und eine von Tamilen. Zweithäufigstes Demonstrationsthema waren die Proteste von kantonalen Angestellten gegen eine Verschlechterung ihrer Anstellungsbedingungen im Zusammenhang mit Sparmassnahmen. Von den insgesamt sieben derartigen Kundgebungen, welche zum Teil auch von Streiks begleitet waren, fanden fünf in der französischsprachigen Schweiz statt. Dreimal gingen Schüler und Studierende in grosser Zahl auf die Strasse, um gegen Sparmassnahmen im Bildungsbereich zu manifestieren. Eher ungewöhnlich waren die beiden Grosskundgebungen von Personen aus der Wissenschaft, welche für eine Ablehnung der Genschutzinitiative warben. Die grösste Anzahl von Demonstrationen mit 1000 und mehr Beteiligten wurden in Bern und Genf durchgeführt (je 8); in Lausanne waren es vier und in Zürich drei. Die Albaner aus dem Kosovo waren verantwortlich für die beiden grössten Demonstrationen mit 20 000 resp. 15 000 Teilnehmenden; beide fanden in Bern statt. Die beiden nächstgrössten (je 12 000) wurden vom Staatspersonal des Kantons Waadt in Lausanne organisiert [23].
Zu schweren Ausschreitungen mit Sachschäden von rund fünf Mio Fr., 151 Verhaftungen und elf verletzten Polizisten kam es am 16. Mai in Genf im Zusammenhang mit dem dort durchgeführten Ministertreffen zum 50jährigen Bestehen der WTO- resp. GATT-Verträge. Im Anschluss an eine von rund 4000 aus ganz Europa angereisten Manifestanten durchgeführte Protestdemonstration gegen die Globalisierung der Wirtschaft randalierten einige Hundert Personen. Sie demolierten Autos, plünderten Läden und lieferten der Polizei Strassenkämpfe. Diese Unruhen setzten sich während mehrerer Nächte fort. In Zürich kam es im Anschluss an die 1. Mai-Feier der Linken zu den traditionellen Ausschreitungen der sogenannten „Autonomen“ und zu Schlägereien zwischen diesen und einer Gruppe von etwa 50 rechtsradikalen Skinheads. Mehr als die Hälfte der 22 von der Polizei verhafteten Randalierer gehörten zu dieser letzteren Gruppe [24].
Im Kanton Bern stimmte das Volk über eine 1994 eingereichte Volksinitiative für ein Vermummungsverbot bei Demonstrationen ab. Obwohl sich Regierung und Parlament dagegen ausgesprochen hatten, wurde das von der SVP, der FDP, der FP, den SD und der EDU unterstützte Begehren mit einem Ja-Stimmenanteil von 52% angenommen [25].
 
[23] In der folgenden Zusammenstellung sind die Kundgebungen der Gewerkschaften zum 1. Mai, welche in den Grossstädten jeweils einige Tausend Beteiligte aufweisen, nicht erfasst. Belege für die Demonstrationen mit 1000 und mehr Teilnehmenden (in Klammer Anzahl und Thema): Bern: Bund, 12.1.98 (7000/Strassentransportgewerbe gegen LSVA); Bund und 24 Heures, 9.3. (20 000/Kosovo-Albaner); Bund, 16.3. (8000/Behinderte für Verfassungsartikel); Bund, 23.3. (15 000/Kosovo-Albaner); Bund, 30.3. (3000/Kosovo-Albaner); Bund, 10.8. (2000/Kosovo-Albaner); NZZ, 26.10. (1500/Kurden); Bund, 23.11. (2000/Kosovo-Albaner). Genf: NZZ, 3.3. (3000/Kosovo-Albaner); NZZ, 10.3. (5500/Kosovo-Albaner); TG, 29.4. (1500/Wissenschafter gegen Gen-Initiative); 24 Heures, 18.5. (4000/gegen WTO); TG, 20.5. (1000/gegen WTO); TG, 11.8. (4000/Tamilen); TG, 25.9. (2500/Staatsangestellte gegen Sparmassnahmen); TG, 23.10. (1500/Staatsangestellte gegen Sparmassnahmen). Lausanne: NLZ, 27.7. (3000/Kurden); 24 Heures, 25.9. (12 000/Staatsangestellte gegen Sparmassnahmen); LT, 7.10. (12 000/Staatsangestellte gegen Sparmassnahmen); 24 Heures, 20.11. (1200/Staatsangestellte gegen Sparmassnahmen). Zürich: TA, 7.3. (8000/Kosovo-Albaner); TA, 21.3. (2000/Gewerkschafter SMUV für Arbeitszeitverkürzung); NZZ und TA, 29.4. (2500/Wissenschafter gegen Gen-Initiative). Basel: BaZ, 19.1. (1000/Angestellte aus Mannheim/DE gegen Stellenabbau bei Roche); BaZ, 16.3. (3000/Kosovo-Albaner). Sion: 24 Heures, 19.5. (3000/Schüler gegen neues Schulgesetz); LT, 19.8. (2500/Bauern gegen WTO). Aarau: AZ, 24.6. (5000/Staatsangestellte gegen Sparmassnahmen). Bellinzona: CdT, 26.11. (1000/Staatsangestellte gegen Sparmasnahmen). Biel: Bund, 20.6. (3500/Gewerkschafter SMUV für GAV). Neuenburg: LT, 18.11. (2500/Studierende). Solothurn: SZ, 11.9. (1400/Mittelschüler gegen Einführung von Schulgeldern).23
[24] Genf: TG, 18.5., 20.5. und 22.5.98. Zürich: Blick und TA, 2.5.98. Zu den politischen Zielen der den „Autonomen“ nahestehenden Organisation Revolutionärer Aufbau Schweiz siehe NZZ, 14.11.98.24
[25] Bund, 29.5. und 8.6.98.Vgl. SPJ 1997, S. 31.25