Année politique Suisse 1998 : Grundlagen der Staatsordnung / Föderativer Aufbau
Territorialfragen
Die im Vorjahr vom Grossen Rat von
Basel-Stadt mit grosser Mehrheit zur Ablehnung empfohlene Volksinitiative für die Aufwertung zu einem Vollkanton ist von den Initianten zurückgezogen worden
[6].
In der französischsprachigen Schweiz traten prominente Politiker, darunter die zwei ehemaligen Regierungsräte Pidoux (fdp, VD) und Bernard Ziegler (sp, GE), mit Vorschlägen für
eine Fusion der Kantone Genf und Waadt an die Öffentlichkeit. Sie kündigten an, in beiden Kantonen zu diesem Zweck Volksinitiativen lancieren zu wollen, welche die Wahl eines paritätisch zusammengesetzten Verfassungsrats verlangen
[7].
Die Sezessionsbestrebungen der Behörden der Stadt
Moutier (BE) erhielten einen herben Dämpfer. In dem von ihnen am 29. November organisierten Urnengang sprachen sich nach einer lebendigen, aber nicht gehässigen Kampagne bei einer Stimmbeteiligung von 81,3% 1891 Stimmberechtigte für und 1932 gegen einen Anschluss an den Kanton Jura aus. In der Interpretation war man sich einig, dass in Moutier nicht ein Stimmungsumschwung zugunsten eines Verbleibs bei Bern stattgefunden hatte, sondern dass sich ein Teil der Autonomisten gegen einen Alleingang des Bezirkshauptortes ausgesprochen hatte. Einige Autonomisten hatten sogar aktiv gegen den Kantonswechsel Propaganda gemacht und dabei namentlich wirtschaftliche Gründe (Steuererhöhungen, Arbeitsplatzverlust durch Schliessung des Regionalspitals) ins Feld geführt
[8].
Im Berner Jura waren einige Bestrebungen festzustellen, den in der Kantonsverfassung garantierten
Sonderstatus dieser Region zu konkretisieren. Die bernische Regierung erteilte dem Regionalrat den Auftrag, entsprechende Vorschläge auszuarbeiten. Dabei gab sie dem Wunsch Ausdruck, dass auch die Gemeindepräsidenten in die Diskussion einbezogen werden sollen, von denen eher visionäre Ideen zu erwarten seien als von dem aus den Grossräten und den vier Regierungsstatthaltern zusammengesetzten Regionalrat. Die aus Personen verschiedener politischer Lager zusammengesetzte Gruppe „Avenir de notre région“ trat mit der Forderung an die Öffentlichkeit, ein in bestimmten Bereichen über Entscheidungskompetenzen verfügendes vom Volk gewähltes Parlament für den Berner Jura zu schaffen. Auch die regionale SVP formulierte im Sommer einen ähnlichen Vorschlag. Sie regte die Schaffung von gesetzlichen Grundlagen für die Bildung einer neuen, von Vertretern aus Politik und Wirtschaft gebildeten Institution mit Entscheidungskompetenzen an
[9].
Die
Interjurassische Versammlung war im Sommer während einigen Monaten durch einen Boykott der Autonomisten gestört. Anlass war die Absicht der bernischen Regierung, ihr bisheriges Prinzip, die bernjurassische Delegation aus den Kantonsparlamentariern der Region zu bilden, aufzulockern und – unter Wahrung des bei den kantonalen Wahlen vom Frühjahr bestätigten Kräfteverhältnisses von drei zu eins zwischen Berntreuen und Autonomisten – rund die Hälfte der Sitze mit Nichtparlamentariern zu besetzen. Während die Berntreuen diesen Entscheid akzeptierten, lehnten die Autonomisten die Ernennung des Gemeindepräsidenten von Moutier, Maxime Zuber, anstelle eines autonomistischen Grossrats ab. Nach Zubers Verzicht beliess die Berner Regierung die autonomistische Delegation unverändert
[10].
Der im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung vom Bundesrat beantragte Verzicht auf obligatorische Volksabstimmungen über
Gebietsveränderungen zwischen Kantonen passierte im Ständerat diskussionslos. Im Nationalrat kam es hingegen zu einer kleinen jurapolitischen Kontroverse. Rennwald (sp, JU) hatte verlangt, dass das Erfordernis der Zustimmung durch die beteiligten Kantone und die betroffene Region gestrichen wird, und die Bundesversammlung die Prozedur für Gebietsveränderungen im Einzelfall festlegt. Sein Ansinnen wurde mit 80:55 Stimmen abgelehnt. Keinen Erfolg hatte aber auch der Bernjurassier Schmied (svp), der mit der Forderung nach einem zustimmenden absoluten Mehr der Stimmberechtigten in der betroffenen Region die Hürden für einen Kantonswechsel erhöhen wollte
[11]
[6]
BaZ, 23.3.98. Vgl.
SPJ 1997, S. 55.6
[7]
LT und
TG, 2.9.98;
24 Heures, 27.11.98.7
[8] Kampagne:
QJ vom Oktober und November;
Bund 13.11.98 (Opposition von Autonomisten). Resultat: Presse vom 30.11.98;
NZZ, 1.12.98. Vgl.
SPJ 1997, S. 55 f.8
[9] Regierung:
Bund, 30.1.98;
QJ, 28.8. und 18.9.98. Avenir:
QJ, 7.2. und 4.12.98. SVP:
Express, 30.6. und 1.7.98.9
[10]
QJ, 19.6., 24.6., 2.7., 21.8., 27.8. und 5.9.98;
Bund, 2.7.98. Vgl.
SPJ 1997, S. 56.10
[11]
Amtl. Bull. StR, 1998, S. 65;
Amtl. Bull. NR, 1998, S. 910 ff. Mit dieser Verfassungsänderung konnte auch die 1996 gutgeheissene Standesinitiative des Kantons Jura abgeschrieben werden (
Amtl. Bull. NR, 1998, S. 980;
Amtl. Bull. StR, 1998, S. 521. Siehe
SPJ 1996, S. 45 f. und
1997, S. 56).11
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