Année politique Suisse 1998 : Wirtschaft / Geld, Währung und Kredit / Banken
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Gelder von Naziopfern
Gemäss einem Bundesbeschluss von 1962 hatten schweizerische Vermögensverwalter Konten zu melden, die seit Kriegsende nachrichtenlos geblieben waren und bei denen man aufgrund der Namen und des Wohnorts vermuten konnte, dass ihre Inhaber während des 2. Weltkriegs Opfer rassistischer, politischer oder anderer Verfolgung geworden waren. Für einen Teil der aufgrund dieses Beschlusses ermittelten Vermögen konnten damals keine Anspruchsberechtigten gefunden werden. Dieser Rest von rund 3 Mio Fr. war in den siebziger Jahren an den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund und an die Schweizerische Zentralstelle für Flüchtlingshilfe überwiesen worden. Da in jener Zeit die Suche nach Berechtigten nicht sehr intensiv vorgenommen worden war (im kommunistischen Mittel- und Osteuropa verzichtet man gar auf Nachforschungen, um eventuelle Erben nicht Repressalien auszusetzen), beschloss der Bundesrat jetzt, heute noch eruierbare Berechtigte zu entschädigen. Er publizierte dazu eine Liste mit den Namen und Adressen der seinerzeit nicht ermittelten Konteninhaber und richtete Informations- und Meldestellen ein [22].
Die Sucharbeit des Volcker-Komitees nach nachrichtenlosen Konten bei Schweizer Banken und nach Anspruchsberechtigten wurde im Berichtsjahr fortgesetzt. Im Sommer waren im Auftrag dieses Komitees 375 meist ausländische Revisoren, im Herbst gar deren 420 mit der Überprüfung von Kontenbeständen schweizerischer Banken beschäftigt. Die gesamten Kosten dieser für das Image der Banken als sehr wichtig erachteten Operation wurden auf 150 Mio Fr. geschätzt [23]. Die Ermittlung von Berechtigten für die rund 5000 nachrichtenlosen Konti ausländischer Inhaber, deren Namen die Banken im Vorjahr auf Listen international publiziert hatten, wurde ebenfalls fortgesetzt. Nachdem knapp 10 000 Ansprüche eingegangen waren, konnten von den total 78 Mio Fr. deren 5,5 Mio zugewiesen werden, dabei betrug der Anteil von Geldern von Holocaustopfern weniger als 20% [24].
In seiner Antwort auf Interpellationen der freisinnigen Fraktion im Nationalrat resp. von Beerli (fdp, BE) und Marty (fdp, TI) im Ständerat nahm der Bundesrat im Frühjahr zu den Boykottdrohungen amerikanischer Finanzbehörden gegen Schweizer Banken und andere Unternehmen Stellung. Er wies darauf hin, dass er in einer gemeinsamen Erklärung mit der US-Regierung vom 26. März die Drohungen als ungerechtfertigt und kontraproduktiv verurteilt hatte. Er stellte im weiteren fest, dass sowohl seine Vertreter als auch die US-Regierung die betreffenden amerikanischen Gemeinden und Gliedstaaten über die WTO-Widrigkeit ihrer Sanktionsdrohungen unterrichtet hätten. Da diese das Ende 1997 ausgesprochene Moratorium am 26. März – nach einer Erklärung der Grossbanken, unter Umständen einer Globalentschädigung zuzustimmen – stillschweigend erneuert hätten, verzichte er aber vorläufig auf eine Klage bei der WTO. Die von der FDP angeregten Gegenmassnahmen gegen US-Firmen für den Fall, dass die Boykottdrohungen realisiert würden, lehnte er jedoch als untaugliche Mittel zur Durchsetzung politischer Anliegen ab [25].
Ganz auf Eis gelegt waren die Boykotte allerdings nicht. Im Mai beschloss das Parlament des US-Staates New Jersey ein Gesetz, das die staatlichen Behörden zu einem Boykott schweizerischer Banken verpflichtet; die ursprünglich geplanten Sperren gegen andere schweizerische Unternehmen wurden hingegen fallengelassen (der Senat als Zweitkammer brauchte wegen des Abschlusses einer Globallösung im August (siehe unten) das Gesetz nicht mehr zu beraten). Anfangs Juli, als die Verhandlungen mit den Banken über eine Globallösung ins Stocken gerieten, sprach sich der vom New Yorker Finanzchef Alan Hevesi formierte Ausschuss für eine Aufhebung des Moratoriums aus und gab damit den staatlichen Behörden freie Hand für die Ergreifung von Boykottmassnahmen. Unmittelbar nach diesem Entscheid gaben weitere Finanzchefs von Bundesstaaten und Gemeinden ihre Boykottpläne bekannt, die bis zum Abschluss einer Vereinbarung stufenweise gesteigert werden sollten und z.B. im Falle der Stadt New York auf alle schweizerischen Firmen ausgedehnt worden wären. Bundespräsident Cotti forderte darauf US-Präsidenten Clinton in einem „persönlichen Brief“ auf, sich gegen diese angedrohten Massnahmen einzusetzen [26].
Bereits im Frühjahr, als sich ein Globalabkommen zwischen den jüdischen Organisationen und den Sammelklägern einerseits und den Schweizer Grossbanken andererseits abzuzeichnen begann, hatten Bundesrat und Nationalbank erklärt, dass sie, entgegen den Forderungen der amerikanischen Kläger, keine Veranlassung sähen, sich an diesem Abkommen zu beteiligen [27]. Erste konkretere Verhandlungen über diese Globalentschädigung – an denen spätestens ab Juli auch US-Unterstaatssekretär Eizenstat mitwirkte – fanden im April statt. Im Juni machten die Banken ein erstes Angebot von 600 Mio US$ publik, das von den jüdischen Organisationen sogleich als absolut ungenügend zurückgewiesen wurde. Diese forderten eine Summe 1,5 Mia US$ und gaben zu verstehen, dass damit für sie auch die „moralische Schuld“ der Schweiz und der Nationalbank getilgt wären [28].
Als sich die beiden Seiten bei weiteren Verhandlungen anfangs Juli nicht einigen konnten, erhöhte die amerikanische Seite den Druck mit der oben dargestellten Wiederbelebung der Boykottdrohungen. Die Banken blieben vorerst bei ihrem Angebot und die Verhandlungen gingen, begleitet von viel an das breite Publikum gerichtete Rhetorik und Polemik von seiten der amerikanischen Organisationen und Anwälte weiter. Nach zähen Verhandlungen unter dem Vorsitz von Edward Korman, des für die Sammelklagen gegen die UBS (als Nachfolgerin des SBV und der SGB) und die Crédit Suisse zuständigen New Yorker Richters, kam es am 12. August zu einer Einigung. Die Beteiligten unterzeichneten ein Abkommen, welches die beiden Grossbanken zur Bezahlung von 1,32 Mia US$ in vier über drei Jahre verteilte Raten verpflichtet. Diese Summe setzt sich zusammen aus einer Pauschalzahlung von 850 Mio (wobei die Banken auf Solidaritätsbeiträge der Schweizer Industrie hoffen) und die bereits geleistete Einlage in den Spezialfonds für Holocaustopfer (70 Mio). Eingeschlossen sind aber auch die Gelder, die im Rahmen der Suchaktion des Volker-Komitees (siehe oben) aufgespürt werden. Dieser Betrag wird inkl. Zinsen und Entschädigungen auf rund 400 Mio US$ geschätzt. Explizit eingeschlossen in diesem Vergleich der Banken mit den jüdischen Organisationen und den Anwälten der Sammelkläger sind sämtliche Forderungen gegenüber den Schweizer Behörden, der Nationalbank und der Wirtschaft mit Ausnahme der Versicherungsgesellschaften. Ebenfalls in diesem Betrag enthalten sind sämtliche Anwaltskosten der Kläger [29].
Den Vorschlag der Grossbanken, dass sich neben der Industrie auch die Nationalbank an der Globalentschädigung beteiligen solle, lehnte nicht nur diese, sondern auch sämtliche politischen Parteien kategorisch ab [30]. Parlamentarier der SP und der Grünen regten im Nationalrat mit Interpellationen an, es den Banken zu verbieten, die Auslagen für diese Globallösung von ihrem steuerbaren Reingewinn abzuziehen. Der Bundesrat lehnte dieses Ansinnen als illegal und auch von der Sache her nicht gerechtfertigt ab [31].
Wachmann Christoph Meili, der im Vorjahr aus dem Shredderraum der UBS Dokumente geholt hatte und in der Folge von der Bewachungsfirma entlassen worden war, verklagte die UBS bei einem Gericht in New York wegen Verleumdung, Diskriminierung, Erzeugung von Qualen und anderer Delikte auf einen Schadenersatz von 2,56 Mia US$. Mit der Globallösung war auch diese Klage erledigt; die Höhe der an Meili gehenden Zahlung war nicht bekannt [32].
Ende Mai veröffentlichte die Kommission Bergier einen Zwischenbericht zum Goldhandel der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs. Er bestätigte die wichtige Rolle der Schweizerischen Nationalbank bei den Goldverkäufen Deutschlands, brachte aber keine aufsehenerregenden neuen Erkenntnisse. Eine Präzisierung brachte der Bericht in bezug auf den Umfang der von der Deutschen Reichsbank gekauften Goldbarren, die nachweislich, aber ohne dass die SNB dies damals erkennen konnte, von Opfern des Holocaust stammten. Deren Wert betrug gemäss den Erkenntnissen der Bergier-Kommission 582 000 Fr. [33]. Dieser Zwischenbericht bestätigte allerdings die jüdischen Organisationen, aber auch US-Unterstaatssekretär Eizenstat in ihrer Haltung, dass sich die SNB an der Globallösung der Banken beteiligen müsse. Ende Juni reichten amerikanische Anwälte, welche bereits Sammelklagen gegen die Schweizer Grossbanken eingereicht hatten, beim Bundesbezirksgericht in Washington zudem auch eine solche gegen die Schweizerische Nationalbank ein. Die Nationalbank ihrerseits stritt die im Bericht erwähnten Handlungen nicht ab, kritisierte jedoch die Bergier-Kommission, weil sie es unterlassen habe, neben der historischen und politischen Analyse auch eine ökonomische vorzunehmen. Diese hätte unter anderem berücksichtigen müssen, dass der Spielraum der damaligen SNB-Leitung auch durch die Blockierung ihrer Guthaben in den USA eingeengt worden sei [34].
 
[22] BBl, 1999, S. 470 ff.; TA, 19.11.98.22
[23] Bund, 26.6. und 25.9.98. Vgl. SPJ 1997, S. 124.23
[24] TA, 19.11.98. Vgl. SPJ 1997, S. 125 f.24
[25] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1619 f.; Amtl. Bull. StR, 1998, S. 546 ff. Vgl. dazu auch die Antwort des BR auf Interpellationen von Schlüer (svp, ZH) und Bonny (fdp, BE) in Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2243 ff. resp. 2933.25
[26] Moratorium: Presse vom 26.3.-28.3.98. Aufhebung: NZZ, 2.7. und 3.7.98; Presse vom 3.7.98; Bund, 4.7.98; Presse vom 23.7.98 (Cotti). New Jersey: TA, 4.3. und 18.5.98; NZZ, 19.5. und 20.5.98; Bund, 30.6.98; LT, 7.9.98. Zum Hevesi-Ausschuss siehe SPJ 1997, S. 126 f. Der Präsident der SD, NR Keller (BL), reagierte auf die Boykottbeschlüsse mit einem Aufruf, amerikanische und jüdische Unternehmen zu boykottieren, was ihm eine Strafanzeige wegen Verstoss gegen das Anti-Rassimusgesetz eintrug (NLZ, 4.7.98; siehe oben, Teil I, 1c, Parlament).26
[27] NZZ, 4.4.98; LT, 8.4.98.27
[28] Presse vom 27.4.98 (erste Verhandlungen); NZZ, 12.6.98 und Presse vom 20.6.98 (Bankenangebot); LT, 27.6.98 (1,5 Mia US$).28
[29] LT, 17.7.98; Presse vom 13.8.-15.8.98. Zur Zusammensetzung des Betrags und zum weiteren Verfahren siehe Bund, 14.8.98; BaZ, 15.8.98; NZZ, 29.8.98. Amerikanische Anwälte haben im Laufe des Berichtsjahres auch gegen deutsche und österreichische und sogar gegen zwei amerikanische Banken Sammelklagen von Überlebenden des Holocaust eingereicht (NZZ, 7.10. und 2.11.98).29
[30] BaZ, 14.8. und 20.8.98; BZ, 18.8.98; Presse vom 22.8.9830
[31] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2926 f. und 2927 ff. (Interpellationen Ostermann, gp, VD und de Dardel, sp, GE).31
[32] TA, 15.1. und 14.8.98; Bund, 19.1.98. Zu Meili siehe SPJ 1997, S. 123 f.32
[33] Presse vom 26.5.98.33
[34] Beteiligung der SNB an der Globallösung: LT, 23.7.98 sowie oben. Sammelklage: Presse vom 1.7.98 (diese ist mit dem Globalabkommen vom August gegenstandslos geworden). SNB: NZZ, 19.1.98; Bund, 31.7.98; vgl. auch die ähnliche Kritik des Lausanner Wirtschaftsprofessors Lambelet in NZZ, 31.7. und 9.12.98 sowie die Replik in NZZ, 10.10.98. Grundsätzlich zum Instrument der Sammelklage siehe NZZ, 4.4. und 27.6.98.34