Année politique Suisse 1998 : Allgemeine Chronik / Öffentliche Finanzen / Indirekte Steuern
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Mehrwertsteuer-Gesetz
Die Wirtschaftskommission des Ständerates schloss die Beratungen zum Mehrwertsteuergesetz, das die nationalrätliche WAK auf Antrag einer parlamentarischen Initiative Dettling (fdp, SZ) ausgearbeitet hatte, im Sommer ab. Gemäss nationalrätlichem Entwurf aus dem Vorjahr waren Einnahmenausfälle gegenüber der heutigen Regelung, die sich weiterhin auf eine provisorische Verordnung stützt, auf 330 Mio Fr. im ersten und 240 Mio im zweiten Jahr geschätzt worden. Der Bundesrat wollte die Mindereinnahmen jedoch auf höchstens 180 Mio Fr. begrenzen. Finanzminister Villiger drückte den Minderertrag im Frühling im Rahmen des 2-Mia-Sanierungspaketes auf 100 Mio Fr. hinunter und traf dabei auf Zustimmung des runden Tisches (vgl. weiter unten). Aufgrund der Anträge der ständerätlichen Kommission resultierten Einnahmenausfälle von rund 180 Mio Fr. In vielen Punkten folgte sie den Beschlüssen des Nationalrates, eine wichtige Differenz ergab sich hingegen bei den Spesenabzügen, wo sie im Sinne einer administrativen Vereinfachung und entsprechend der geltenden Regelung nur 50% der Geschäftsspesen für den Vorsteuerabzug zulassen wollte [19].
Im Ständerat war Eintreten auf die Vorlage unbestritten. Das Plenum verhielt sich während der ganzen finanzpolitischen Debatte diszipliniert und folgte den Anträgen seiner Kommission mit einer einzigen Ausnahme. Bei der Saldobesteuerung korrigierte der Ständerat zwar die Vorgaben des Nationalrates und senkte die Limite für die Pauschalbesteuerung (Saldosteuersatz) auf einen Umsatz von 3 Mio Fr.; bei der Festsetzung der Limite der Steuern bevorzugte er jedoch die für die kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) grosszügigere Lösung und gab dem Antrag Frick (cvp, SZ) mit einem Steuerbetrag von bis 60 000 Fr. pro Jahr gegenüber der WAK (40 000 Fr.) mit 20 zu 12 Stimmen den Vorzug. Noch etwas grosszügiger als der Erstrat kam der Ständerat den Sport- und gemeinnützigen Vereinen entgegen in der Hoffnung, dass die Volksinitiative „gegen eine unfaire Mehrwertsteuer im Sport und im Sozialbereich“ zurückgezogen würde. Er beschloss, ihre Steuerpflicht erst bei einem Umsatz von 150 000 Fr. statt schon bei 75 000 beginnen zu lassen und nahm neben den Startgeldern zusätzlich die Vermietung von Sportanlagen von der Steuer aus. Ferner ermöglichte er gegen den Willen des Bundesrates die freiwillige Mehrwertsteuer-Unterstellung von bestimmten Unternehmen in den Bereichen Sport, Kultur, Bildung, Sozial- und Gesundheitswesen, dank welcher der Vorsteuerabzug geltend gemacht werden kann. Um die Ausfälle von 50 auf 20 Mio Fr. zu begrenzen, erhöhte er allerdings den entsprechenden Steuersatz von den 2,3% des Nationalrates auf 4,6%. Zähneknirschend stellte sich der Rat schliesslich mit 22 zu 8 Stimmen hinter die vom Bundesrat beschlossene Mehrwertsteuerbefreiung des Internationalen Olympischen Komitees (IOK) mit Sitz in Lausanne. Die jährlichen Steuerausfälle für den Bund wurden auf 2 Mio Fr. geschätzt. Der Bundesrat hatte seinen Entscheid mit der überragenden und universellen Bedeutung der Organisation begründet; die beschlossene Steuerbefreiung schaffe allerdings kein Präjudiz für andere sportliche Organisationen. Zudem sei der Entscheid bis zum Inkrafttreten des Mehrwertsteuergesetzes befristet. Insbesondere Onken (sp, TG), der das Vorgehen des Bundesrates als Affront kritisierte, stellte die Steuerbefreiung grundsätzlich in Frage, da die Organisation schon ausreichende Privilegien geniesse. Dass der Bundesrat mit diesem Steuergeschenk offenbar einer möglichen Sitzverlegung des IOK zuvorkommen wollte, empfand er als Erpressung. Delalay (cvp, VS) war erstaunt über die Empörung und warnte vor einer Gefährdung der Kandidatur von Sion für die Olympischen Winterspiele 2006. Bundesrat Villiger zeigte Verständnis für die Verärgerung im Rat und entschuldigte sich für das ungeschickte Vorgehen der Regierung [20].
Wie schon im Erstrat wurden auch im Ständerat Ausnahmen und Sonderregelungen für verschiedene Bereiche beantragt. So wollte eine Kommissionsminderheit um Maissen (cvp, GR) den Sondersatz von 3,5% für die Hotellerie ohne Befristung festschreiben. Er musste sich jedoch mit einer vorläufigen Verlängerung um zwei Jahre bis ins Jahr 2003 begnügen – der Nationalrat wollte den Vorzugssatz nach 2001 ganz fallen lassen. Hingegen beschloss die kleine Kammer gegen den Willen des Bundesrates, die Leistungen der Kur- und Verkehrsvereine nicht zu besteuern, sofern sie für die Allgemeinheit erbracht werden. Ein Antrag, dem öffentlichen Verkehr trotz Subventionen den vollen Vorsteuerabzug zu gewähren, wurde deutlich verworfen. Einverstanden erklärte sich der Rat mit dem Grundsatz, dass geschäftlich begründete Auslagen zum Vorsteuerabzug berechtigen; bei den Verpflegungs- und den Getränkespesen hielt er jedoch an der geltenden und vom Bundesgericht geschützten Regelung fest, wonach die Hälfte der Vorsteuer abgezogen werden kann. Im Sinne eines Kompromisses stimmte er dem Vorschlag seiner Kommission zu, die Zollfreigebiete von Samnaun und Sampuoir auch weiterhin – ausser bei den Dienstleistungen – von der Mehrwertsteuer zu befreien, im Gegenzug aber würden die beiden Gemeinden verpflichtet, dem Bund Kompensationszahlungen für die entstehenden Steuerausfälle zu leisten. Ferner wurden die Leistungen auch von Heilpraktikern usw., die nicht ärztlich verordnet worden sind, sowie Pflegedienste (Spitexorganisationen, Alters- und Pflegeheime) von der Steuer befreit; die Befreiung von tierärztlichen Leistungen wurde allerdings abgelehnt. In der Gesamtabstimmung verabschiedete der Ständerat das Mehrwertsteuergesetz mit 29 zu 0 Stimmen [21].
Die nationalrätliche Kommission für Wirtschaft und Abgaben hielt bei der Beratung des MWSt-Gesetzes an gewichtigen Differenzen zum Ständerat beim Sport und bei der Hotellerie fest. Im Gegensatz zur kleinen Kammer wollte sie die Vermietung von Sportanlagen weiterhin der Steuer unterstellen, die Definition von Unternehmen, die für Fundraising-Projekte steuerlich privilegiert werden, enger fassen und hielt am Sondersatz von 2,3% für Sport- und gemeinnützige Institutionen fest (allerdings ohne Rückerstattung von Steuern). Ferner beharrte sie auf der Befristung des Sondersatzes für die Hotellerie bis ins Jahr 2001 [22].
Der Nationalrat überwies mit 70 zu 60 Stimmen gegen den Widerstand der FDP-Fraktion eine Motion seiner Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen, die den Bundesrat ersucht, die aus der Mehrwertsteuer resultierenden Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen, welche die Bahn im grenzüberschreitenden Verkehr erleidet [23].
 
[19] NZZ, 30.5. und 29.8.98. Siehe SPJ 1997, S. 151 f.19
[20] NZZ, 17.9. und 29.9.98; TA, 19.9.98; 24 Heures, 29.9.98; Presse vom 30.9. und 1.10.98. Der BR hatte in seiner Botschaft vom 15.12.97 die Volksinitiative gegen eine unfaire MWSt im Sport und im Sozialbereich abgelehnt (BBl, 1998, S. 717 ff.). Nachdem auch die WAK-NR knapp mit 12 zu 11 Stimmen der MWSt-Befreiung des IOK zugestimmt hatte, verzichtete das IOK schliesslich von sich aus darauf (Presse vom 26.1. resp. 18.2.99).20
[21] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 954 ff. und 984 ff. (die Motionen Baumberger (cvp, ZH) und WAK-NR bezüglich MWSt wurden abgeschrieben); NZZ, 7.10.98.21
[22] TA, 11.11.98.22
[23] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2581 f. Der StR hatte bei der Beratung des MWSt-Gesetzes den grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr dem Luftverkehr gleichstellt, indem er beschloss, der BR könne zur Wahrung der Wettbewerbsneutralität den grenzüberschreitenden Luft- und Eisenbahnverkehr von der Steuer befreien (Amtl. Bull. StR, 1998, S. 971 f.).23