Année politique Suisse 1998 : Allgemeine Chronik / Öffentliche Finanzen / Sanierungsmassnahmen
Der Schuldenberg des Bundes hat sich seit Beginn der 1990er Jahre mehr als verdoppelt und erreichte im Mai die 100 Mia Fr. Marke; allein zur Deckung der Schuldzinsen gab der Bund 1998 3,4 Mia Fr. aus. Mit dem
Verfassungsartikel (Art. 24 BV) zum „
Haushaltsziel 2001“ sollten Bundesrat und Parlament auf einen verbindlichen Kurs für die Gesundung der öffentlichen Finanzen verpflichtet werden. Ziel der Übergangsbestimmung in der Verfassung war es, den Rechnungsausgleich bis ins Jahr 2001 durchzusetzen. Der Fahrplan sah eine
schrittweise Reduktion des Defizits (1999: 5 Mia; 2000: 2,5 Mia) auf
maximal eine Milliarde Franken bzw. 2% der Einnahmen im Jahr
2001 vor. Würde das Ziel verfehlt, müsste der Bundesrat den beiden Räten ein Sparpaket vorlegen, deren Prioritäten das Parlament zwar verschieben könnte, an dessen Sparvorgabe es jedoch gebunden wäre.
Linke und Gewerkschaften standen zwar hinter dem Kompromiss des runden Tisches (vgl. weiter unten), hielten die
Abstimmungsvorlage jedoch für überflüssig und
sozialpolitisch unverträglich. Sie befürchteten, dass sich die bürgerliche Seite mit einem Ja zum Haushaltsziel vom Konsens verabschieden und Sparmassnahmen unter Verzicht zusätzlicher Einnahmen insbesondere bei den Sozialwerken durchsetzen würde. Darüber hinaus bemängelten sie, der Verfassungsartikel würge den Konjunkturaufschwung ab und delegiere die Budgethoheit, eine der wichtigsten Kompetenzen des Parlamentes, teilweise an den Bundesrat. Das Schweizerische Komitee „Ja zum Haushaltsziel 2001“ warf der Linken inkonsequentes und politisch nicht verantwortbares Verhalten vor. Die bürgerliche Seite fühlte sich zusätzlich von einem Inserat der SP mit dem Schlagwort „Nein zu diesem Sparbetrug“ provoziert. Darin wurde Altbundesrat Otto Stich (sp) zitiert, das Parlament schlage dem Schweizer Volk mit dem Haushaltsziel „eine grundlegend falsche Massnahme“ vor. Das Pro-Komitee empfand die Einmischung des früheren Finanzminister in die Abstimmungsdebatte als „hinterhältig“ und „schlechtem politischen Stil“ entsprechend. Auch Finanzminister Villiger zeigte sich von dieser Attacke seines ehemaligen Bundesratskollegen überrascht
[36].
Bundesbeschluss über Massnahmen zum Haushaltsausgleich
Abstimmung vom 7. Juni 1998
Beteiligung: 40,9%
Ja: 1 280 329 (70,7%) / 20 6/2 Stände
Nein: 530 486 (29,3%) / 0 Stände
Parolen:
— Ja: FDP, CVP, SVP, LP, LdU, EVP, FP, SD, EDU; SGV, Vorort, Arbeitgeberverband, Angestelltenverbände, Bauernverband.
— Nein: SP, GP, CSP, Lega, PdA; SGB, CNG.
Mit einem
Ja-Stimmenanteil von knapp
71% und der
Zustimmung aller Kantone wurde das Haushaltsziel 2001 deutlicher als erwartet
angenommen. Am klarsten stimmte der Kanton Appenzell Innerrhoden mit einem Ja-Anteil von 81,1% zu, gefolgt von den Kantonen Glarus (78,1%), Zug (78,0%), St.Gallen (77,1%) und Nidwalden (77,0%). Am knappsten war die Annahme der Vorlage mit einem Unterschied von lediglich 590 Stimmen im Kanton Jura (52,1%). In der Romandie (61%) und in der italienischsprachigen Schweiz (62%) fiel die Zustimmung generell weniger deutlicher aus als in der Deutschschweiz (74%), was nicht zuletzt auf die schwierigere Wirtschaftslage zurückgeführt wurde. Das Ergebnis war für
Finanzminister Villiger ein
persönlicher Erfolg, nachdem er sich für die Vorlage besonders intensiv eingesetzt hatte. Die bürgerliche Seite zeigte sich mit dem deutlichen Verdikt des Volkes zufrieden. Nach Ansicht von CVP-Präsident Durrer habe das Volk einer Finanzpolitik zu Lasten kommender Generationen eine deutliche Absage erteilt. FDP-Präsident Steinegger interpretierte das Abstimmungsergebnis als eindeutige Legitimation, die Bundesfinanzen in Ordnung zu bringen, insbesondere auf der Ausgabenseite. Für die SVP war klar, dass das Volk genug habe von der Schuldenwirtschaft; beim Sparen gebe es in Zukunft keine Tabu-Bereiche mehr. Die SP als eigentliche Verliererin des Abstimmungskampfes forderte die Umsetzung der Versprechen am runden Tisch und verlangte, dass zur Sanierung des Bundeshaushaltes keine einseitigen Sparübungen zu Lasten der Sozialwerke gemacht werden dürften. Enttäuscht zeigte sich auch die Grüne Partei, die dem Bundesrat vorwarf, die Bevölkerung getäuscht zu haben, indem er eine Lösung der Finanzprobleme ohne Mehreinnahmen als möglich erscheinen liess
[37].
Gemäss Vox-Analyse widerspiegelte sich die Homogenität und hohe Zustimmung zum Haushaltsziel darin, dass viele gesellschaftliche Merkmale wie Geschlecht, Schulbildung, Erwerbsgrad, berufliche Stellung, Haushaltseinkommen oder Alter in keinem signifikanten Zusammenhang mit dem Abstimmungsverhalten standen. Obwohl die Gegnerschaft vor allem den Einwand der sozialen Unverträglichkeit erhoben hatte, fiel die Ablehnung der Vorlage bei den Rentner nicht höher aus, eher im Gegenteil. Grössere Verhaltensunterschiede ergaben sich nur in
sprachregionaler und
parteipolitischer Hinsicht. Während das bürgerliche Lager (87%) geschlossen hinter dem Haushaltsziel stand, waren die Sympathisanten der rot-grünen Parteien skeptischer; aber auch sie stimmten mit deutlicher Mehrheit (61%) der Vorlage zu
[38].
[36] Presse vom 16.5.-6.6.98; Interviews mit Finanzminister Villiger:
NZZ, 5.5.98;
TG, 7.5.98;
Bund 8.5.98;
BaZ 12.5.98. Zum SP-Inserat mit Otto Stich vgl.
TA und
BaZ, 30.5.98,
Sonntags-Blick und
SoZ vom 31.5.98 sowie Presse vom 2.6.98. Ferner sorgte ein Inserat des SGB (im
TA vom 7.5.98) für Aufsehen, das den Text „Nein zu diesem Sparbetrug“ neben einem lächelnden Finanzminister darstellte (vgl.
TA, 15.5.98). Vgl
SPJ 1997, S. 159 f.36
[37]
BBl, 1998, S. 4363 ff.; Presse vom 8.7.98. BfS,
Gemeindeergebnisse der Volksabstimmung vom 7. Juni 1998, Bern 1998;
NZZ, 1.7.98.37
[38] S. Hardmeier / D. Scheiwiller, Vox:
Analyse der eidgenössischen Abstimmungen vom 7. Juni 1998, Zürich 1998.38
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