Année politique Suisse 1998 : Sozialpolitik / Gesundheit, Sozialhilfe, Sport / Sozialhilfe
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Opferhilfe
Anlässlich der Totalrevision der Bundesverfassung wurde der eigentliche Artikel zur Opferhilfe (Art. 124) gegenüber der geltenden Verfassung auf Vorschlag des Bundesrates in dem Sinn verfeinert, dass hier Straftaten gemeint sind, welche die körperliche, psychische oder sexuelle Integrität einer Person beeinträchtigen. Diese Präzisierung wurde bereits im Bundesgesetz über die Opferhilfe vorgenommen und entspricht der Praxis des Bundesgerichtes. Der Artikel passierte in beiden Räten diskussionslos [77].
Grenzen der heutigen Organisation der Opferhilfe zeigten sich bei der nur sehr schleppend anlaufenden Hilfe für die Opfer des Attentats von Luxor (Ägypten), bei dem im November des Vorjahres 58 Touristinnen und Touristen, 36 davon aus der Schweiz, ums Leben gekommen waren. Die Welle des Mitgefühls, die damals durch das ganze Land gegangen war, hatte bei den Betroffenen (Überlebende und Angehörige) besonders hohe Erwartungen geweckt. Als dann – vor allem im Bereich der finanziellen Leistungen nicht so schnell und unbürokratisch reagiert wurde wie erhofft, regte sich allgemeine Kritik vor allem an den Bundesbehörden. Dabei gehört die Opferhilfe eindeutig in die Kompetenz der Kantone, was auch zu verschiedenen Formen der Handhabung führen kann. Die Situation, dass Opfern von Bundesräten Hilfe versprochen wird, die dann mehrheitlich von den Kantonen zu leisten ist, liess den Ruf nach einer nationalen Koordinationsstelle laut werden [78].
Angesichts der ausserordentlichen Umstände beschloss der Bundesrat, dem Parlament eine zusätzliche Finanzhilfe für die Leidtragenden des Luxor-Attentats zu beantragen. Das Geld soll allerdings nicht direkt den Überlebenden und Hinterbliebenen zukommen, sondern an jene Kantone fliessen, die sich im Rahmen des OHG um die Geschädigten kümmern. Diese sollen gleich wie die Opfer anderer Straftaten behandelt werden. Sie haben also Anrecht auf Beratung sowie auf medizinische, psychologische und juristische Hilfe. Unter Umständen können sie auch Genugtuung und eine Entschädigung verlangen. Letztere ist abhängig vom Einkommen. Für die Genugtuung einigten sich die Kantone auf einheitliche Beträge [79].
Zweieinhalb Jahre nach seiner Eröffnung konnte das Therapiezentrum für Folteropfer in Bern, das Betroffenen ambulante Hilfe anbietet, eine erste Bilanz ziehen. Über 100 folter- und kriegstraumatisierte Menschen wurden aufgenommen und ihnen und ihren Familienangehörigen psychotherapeutische, soziale und medizinische Hilfe offeriert. Wegen Kapazitätsengpässen mussten aber mindestens noch einmal so viele Personen auf die wachsende Warteliste gesetzt oder weiterverwiesen werden. Im Einverständnis mit dem Bundesrat überwies der Nationalrat ein Postulat Günter (sp, BE), das die Landesregierung ersucht zu prüfen, wie das Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport mit dem Zentrum zusammenarbeiten und es unterstützen könnte [80].
 
[77] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 247; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1013.
[78] NLZ, 26.2.98; Presse vom 10.11.98. Die Forderung nach finanziellen Abgeltungen wurde auch dadurch erschwert, dass die Leistungspflicht der verschiedenen involvierten Kreise (Reiseveranstalter, Versicherungen, ägyptischer Staat) ein eigentliches juristisches Dickicht bildet (BaZ, 27.5.98). Mitte September suchte deshalb eine Konferenz unter der Leitung von BR Koller nach Lösungen. Koller drängte v.a. die Reiseveranstalter, die sich aufgrund eines Gutachtens aus der Verantwortung schleichen wollten, freiwillige Zahlungen zu leisten. Das EDA bemühte sich gleichzeitig, Entschädigungsleistungen von Ägypten zu erhalten; die dortigen Behörden vertraten allerdings den Standpunkt, für Gewaltakte Privater nicht verantwortlich zu sein (Presse vom 16.6., 10.9., 15.9. und 17.11.98).
[79] Presse vom 4.6.98. Siehe dazu auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1827 f. und 2315 f. Sieben Monate nach dem Attentat zahlten Bern und Zürich als erste Kantone den Angehörigen Genugtuungen zwischen 10 000 und 50 000 Fr. aus (NZZ, 26.6.98). Gestützt auf das OHG wird die Schweiz schätzungsweise 5 Mio Fr. an die Opfer leisten (NZZ, 12.10.98).
[80] AZ, 20.10.98; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 747 f.