Année politique Suisse 1998 : Sozialpolitik / Sozialversicherungen
 
Berufliche Vorsorge
Parallel zur Vernehmlassung über die 11. AHV-Revision eröffnete der Bundesrat auch jene über die 1. BVG-Revision. Bei den Beratungen zum BVG (1976 bis 1982) war sich der Gesetzgeber bewusst gewesen, dass das Ziel der 2. Säule (Fortführung der gewohnten Lebenshaltung im Alter) nur in Etappen zu erreichen ist, weshalb das Gesetz selber den Auftrag zur periodischen Revision enthält. Die erste Überarbeitung hätte eigentlich 1995 durchgeführt werden sollen (zehn Jahre nach Inkrafttreten), verzögerte sich aber vor allem wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage. Partiell wurde das Gesetz aber schon für die Lösung drängender Probleme (Freizügigkeit, Wohneigentumsförderung, Ausweitung der Insolvenzdeckung) abgeändert. Die nun vorgelegten Revisionsvorschläge betreffen die Koordination mit der AHV insbesondere in den Bereichen Rentenalter und flexible Pensionierung, die Konsolidierung des Obligatoriums der 2. Säule und die Weiterentwicklung des Systems, wobei der Bundesrat den beiden ersten Punkten Priorität einräumt. Für sie präsentierte er konkrete Lösungsvorschläge. Neben technischen Änderungen betrifft dies vor allem das gleiche Rentenalter für Mann und Frau, die Flexibilisierung des Rentenalters, das BVG-Obligatorium ab dem 22. Lebensjahr sowie die Einführung einer Witwerrente. Als grundsätzlich wünschenswert erachtet der Bundesrat den gezielten Leistungsausbau für kleine und mittlere Einkommen (inklusive den zwingenden Teuerungsausgleich auf den Altersrenten) sowie die bessere Berücksichtigung der Anliegen der Teilzeitarbeitenden (Abschaffung oder Proportionalisierung des Koordinationsabzuges), doch soll die Vernehmlassung hier erst zeigen, ob und inwieweit ein Konsens über diese Weiterentwicklung besteht. Die diesbezüglichen Modelle sind nur materiell umschrieben; für sie liegt noch kein Gesetzestext vor [33].
Im Nationalrat wurden mehrere Motionen zum BVG behandelt. Hafner (sp, SH) forderte den Bundesrat auf, eine lückenlose Versicherung des Invaliditätsrisikos aller Personen sicherzustellen und dafür zu sorgen, dass faktische Vorbehalte aus gesundheitlichen Gründen vermieden werden. Hochreutener (cvp) wollte den Bund verpflichten, den Alterssparprozess, der im BVG nach Vollendung des 24. Altersjahres beginnt, zugunsten eines flexiblen Altersrücktritts auf 21 anzusetzen, sowie für die Vorsorgeerinrichtungen eine spezielle Rechtsform einzuführen, die ihnen mehr Handlungsspielraum bietet. Alle drei Vorstösse wurden auf Antrag des Bundesrates in Postulate umgewandelt [34].
Der Nationalrat überwies ein Postulat seiner SGK, welches den Bundesrat auffordert, die Verordnung zum BVG dahingehend zu ändern, dass nicht nur die in einer Pensionskasse angelegten Gelder, sondern auch jene, die auf Freizügigkeitskonten resp. -policen ruhen, zu einem Mindestsatz verzinst werden müssen [35].
1997 hatte ein Bericht der Gewerkschaft Bau und Industrie neben der AHV auch im Bereich der Pensionskassen rund 68 000 ”vergessene Konten” im Umfang von über 400 Mio Fr. ausgemacht, auf welche vor allem ausländischen Arbeitskräfte Anspruch haben, die nicht bis zu ihrer Pensionierung in der Schweiz arbeiteten. Um dieses Problem zu lösen, beantragte der Bundesrat dem Parlament eine Änderung des Freizügigkeitsgesetzes in dem Sinn, dass eine zentrale Meldestelle geschaffen werden soll. Ihr werden die Vorsorgeeinrichtungen jene Personen melden, die sich im Rentenalter befinden und ihre Pensionskassenguthaben noch nicht abgerufen haben. Zusammen mit der Zentralen Ausgleichskasse der AHV wird die Meldestelle versuchen, die Adresse der Berechtigten zu eruieren. Sie wird zudem ein Register jener Versicherten führen, zu denen die Vorsorgeeinrichtungen keinen Kontakt mehr haben. Auf Anfrage kann sie so auch jüngeren Versicherten (ausländischen wie schweizerischen Abeitnehmern) mitteilen, welche Kasse möglicherweise für sie ein Konto unterhält. Beide Kammern nahmen die Vorlage praktisch diskussionslos an [36].
Bei den Gesprächen am ”Runden Tisch” wurde beschlossen, die im Vorjahr vom Nationalrat genehmigte parlamentarischen Initiative Nabholz (fdp, ZH) für eine Öffnung der Säule 3a für Nichtberufstätige wegen ihrer finanziellen Konsequenzen unter ein Moratorium zu stellen. Die Frist für ihre Behandlung wurde um zwei Jahre verlängert. Der neuerliche Versuch der Linken, das Anliegen durch Abschreiben des Vorstosses zu erledigen, unterlag mit 95 zu 53 Stimmen [37].
 
[33] CHSS, 1998, Nr. 5 (Schwerpunktthema); V. Darbellay, ”Loi sur la prévoyance professionnelle, LPP: une révision nécessaire”, in Aspects de la sécurité sociale, 1998, S. 8-12; Presse vom 9.4. und 27.8.98. Zur Forderung nach der Einführung einer Witwerrente im BVG vgl. SPJ 1995, S. 249 und 1996, S. 259. Zu parlamentarischen Bestrebungen, den Koordinationsabzug dem Beschäftigungsgrad anzupassen, siehe oben, Teil I, 7a (Arbeitszeit).33
[34] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1503 f. und 2172 ff.34
[35] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2847. Zu Diskussionen über die steuerliche Belastung von Leistungen aus der 2. Säule und der Säule 3a siehe oben, Teil I, 5 (Andere Steuerfragen und Stabilisierungsprogramm). Für die Lockerung der Anlagepolitik der Pensionskassen vgl. oben, Teil I, 4a (Strukturpolitik).35
[36] BBl, 1998, S. 5569 ff.; Amtl. Bull. StR, 1998, S. 1201 ff., 1385 und 1403; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2595 ff. und 2955. Siehe dazu auch die Äusserungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1998, S. 754 f.; CHSS, 1998, S. 271-272.; TA, 24.8.98. Zu den ”vergessenen” Konten in der AHV vgl. die Antwort des BR auf eine Interpellation Vermot (sp, BE) in Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1583 ff.; TA, 17.2.98; TG, 30.5.98.36
[37] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2146 ff.37