Année politique Suisse 1998 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen / Ausländerpolitik
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Gesellschaftliche Integration
Bereits in der Vernehmlassung zur Aktualisierung der Bundesverfassung hatten SP und SGB beantragt, die Integration der Ausländerinnen und Ausländer als eines der Sozialziele neu zu verankern. Entsprechend beantragte Brunner (sp, GE) im Ständerat in Art. 41, dass sich Bund und Kantone im Rahmen ihrer Mittel und ihrer Zuständigkeiten dafür einsetzen, dass jede ausländische Person sozial und beruflich integriert wird. Sie verwies darauf, dass eines der Hauptanliegen der Verfassungsrevision die Übernahme der heutigen Realität sei, weshalb es nicht angehe, bei den sozialen Zielen, die sich die Gesellschaft setze, eine derart bedeutende Minderheit der Bevölkerung nicht speziell zu erwähnen. Mit dem Argument, dass man nicht die Integrationsbemühungen einer einzelnen Minderheit besonders privilegieren könne, die Kompetenz des Bundes, ausländerpolitisch zu handeln, mit Art. 121 zudem ohnehin gegeben sei, wurde der Antrag mit 31 zu 4 Stimmen abgelehnt [13].
Im Nationalrat folgte Hubmann (sp, ZH) diesem Hinweis und regte einen neuen zusätzlichen Absatz im Ausländerartikel an, in dem gesagt werden sollte, dass der Bund die soziale und berufliche Integration der Ausländerinnen und Ausländer fördert. Bundesrat Koller verwies auf die laufende Teilrevision des Anag (siehe unten), in welchem ein Integrationsartikel materiell zwar angenommen, bis zum Zeitpunkt dieser Beratung aber an der Ausgabenbremse gescheitert war. Er gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass dieses wichtige ausländerpolitische Anliegen auf Gesetzesstufe geregelt werden könne. Es auf Verfassungsstufe zu erheben, schien ihm aber übertrieben, da die Ausländerpolitik ja noch andere Ziele verfolge, wie etwa das ausgewogene Verhältnis zwischen einheimischer und ausländischer Bevölkerung, die alle auch nicht explizit in die Verfassung aufgenommen worden seien. Auf seinen Antrag wurde der Antrag mit 88 zu 67 Stimmen abgelehnt [14].
In der Frühjahrssession scheiterte der Integrationsartikel im revidierten Gesetz über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern (Anag) im Nationalrat mit zuerst 98 zu 28 Stimmen und – nach zweimaliger Wiederholung der Abstimmung – mit 96 zu 54 Stimmen erneut an dem für neue Bundesaufgaben mit Finanzfolge notwendigen qualifizierten Mehr von 101 Stimmen. Bundesrat Koller verwies vergebens darauf, dass hier nicht unbesehen neue Ausgaben geschaffen würden, da ja das Parlament im Rahmen seiner Budgethoheit alljährlich darüber bestimmen könnte, welche Beiträge tatsächlich für diesen Bereich gesprochen werden [15].
Im Ständerat beantragte Reimann (svp, AG) daraufhin Zustimmung zum Vorgehen des Nationalrates, wodurch der letztjährige deutliche Entscheid seines Rates im nachhinein desavouiert worden wäre, was zumindest verfahrensmässig Fragen aufwarf. Inhaltlich wurde seine Begründung, die Schweiz sei kein Einwanderungsland und die Integration primär die Sache der Betroffenen, nicht diskutiert. Mit 22 zu 5 Stimmen bekräftigte die kleine Kammer ihr Bekenntnis zu einer auch vom Bund getragenen Integration der auf Dauer hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer sowie zu den allenfalls dafür anfallenden Kosten [16].
In der Sommersession des Nationalrates versuchten Vertreter der SVP (Fischer, AG), sowie der SD (Keller, BL), den Integrationsartikel entweder aus finanzpolitischen oder materiellen Gründen erneut zu torpedieren. Sowohl Nationalrat Caccia (cvp, TI), Präsident der Eidgenössischen Ausländerkommission, als auch Bundesrat Koller setzen sich einmal mehr für eine wirksame Integration der Ausländerinnen und Ausländer auch mit Mitteln des Bundes ein, da es sich hier um eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit handle. Im dritten Anlauf wurde ihr Appell endlich auch vom Nationalrat gehört: mit 110 zu 48 Stimmen passierte der Integrationsartikel die Quorumshürde und wurde damit definitiv ins Anag aufgenommen [17].
Eine Motion Simmen (cvp, SO) im Ständerat, mit welcher der Bundesrat beauftrag wird, die Expertenkommission für die Totalrevision des Anag anzuweisen, die rechtlichen Möglichkeiten des Bundes zur Förderung der Sprachschulung für in der Schweiz dauerhaft zugelassene Ausländer zu schaffen, wurde einstimmig überwiesen. Simmen unterstrich die Bedeutung der Sprachbeherrschung als Schlüssel zu jeder Integration. Dem hielt der Bundesrat entgegen, Fragen der Schulung fielen in erster Linie in die Kompetenz der Kantone; zudem prüfe die Expertenkommission Anag bereits, wie die Bereitschaft der betroffenen Personen zum Spracherwerb – beispielsweise durch ein Anreizsystem – erhöht werden könnte, weshalb er Umwandlung in ein Postulat beantragte. Im Nationalrat wurde eine analoge Motion Bircher (cvp, AG) von Steiner (fdp, SO) bekämpft und die Diskussion deshalb verschoben [18].
Erfolg hatte die Zürcher SP-Abgeordnete Goll mit einer parlamentarischen Initiative, welche eine zivilstandsunabhängige Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung für Migrantinnen verlangt, die sich von ihrem gewalttätigen, in der Schweiz lebenden Ehemann trennen. Die Initiantin verwies darauf, dass der Nationalrat die Problematik bereits in früheren Jahren anerkannt und deshalb 1995 eine entsprechende Motion (Bühlmann, gp, LU) überwiesen habe; der Ständerat hatte den Vorstoss aber in ein Postulat umgewandelt. Eine analoge Motion der Staatspolitische Kommission hatte der Nationalrat 1997 selber in ein Postulat abgeschwächt. Nach geltendem Gesetz ist der rechtliche Status dieser Frauen bei Trennung oder Scheidung dem Ermessen der Fremdenpolizei überantwortet. Vertreterinnen von Migrantinnenorganisationen und Frauenhäusern zeigten sich zuversichtlich, dass das klar zustimmende Resultat von 89 zu 49 Stimmen bis zur entsprechenden Gesetzesänderung auch für die zuständigen Behörden richtungsweisend sei. Noch vor Ende Jahr sprach sich die rechtspolitische Kommission des Nationalrates für das von Goll beantragte eigenständige Aufenthaltsrecht für ausländische Frauen aus [19].
 
[13] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 58 ff.13
[14] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1011 ff.14
[15] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 538 ff. und 549 f. Siehe SPJ 1997, S. 281 f.15
[16] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 537 f.16
[17] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1089 ff.17
[18] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 1345 ff.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2826 f.18
[19] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 463 ff.; BaZ, 10.3.98; WoZ, 12.3.98. Siehe SPJ 1995, S. 260 und 1997, S. 282. Die von der Kommission erarbeitete Gesetzesänderung geht etwas weniger weit als die pa.Iv.; demnach soll das Aufenthaltsrecht nur in Härtefällen gewährt werden (Presse vom 24.10.98).19