Année politique Suisse 1998 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen
 
Flüchtlingspolitik
Oppositionslos nahmen die Kammern das aus internationalen Abkommen, insbesondere der Genfer Flüchtlingskonvention resultierende Non-refoulement-Verbot, welches besagt, dass niemand in einen Staat ausgeschafft werden darf, in dem ihm Verfolgung, Folter oder eine andere Art grausamer und unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung droht, explizit in die neue Bundesverfassung auf (Art. 25) [20].
Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit verabschiedete sich der Bundesrat von einer humanitären Tradition. Er beschloss, in Zukunft keine Kontingentsflüchtlinge mehr aufzunehmen. Noch im Vorjahr hatte das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) die Landesregierung gebeten, die Aufnahmequote für die in UN-Lagern gestrandeten Flüchtlinge zu erhöhen. Seit den fünfziger Jahren hatte die Schweiz in Zusammenarbeit mit dem UNHCR immer wieder Flüchtlinge aufgenommen, deren Rückkehr ins eigene Land äusserst unwahrscheinlich schien. Im Gegensatz zu anderen Staaten hatte sie sich dadurch ausgezeichnet, dass sie oft gerade jene Flüchtlinge auswählte, die praktisch keine Chance hatten, von einem anderen Drittland aufgenommen zu werden (Behinderte, Betagte, Grossfamilien usw.) [21].
Im Berichtsjahr stellten 41 302 Personen in der Schweiz ein Asylgesuch, nur 327 weniger als im Rekordjahr 1991. Gegenüber dem Vorjahr nahm die Zahl der Gesuche um 17 320 resp. 72,2% zu. Dabei lag das Schwergewicht der Zunahme im zweiten Halbjahr, was einen Betreuungseinsatz der Armee nötig machte (siehe unten). Nahezu die Hälfte der Asylsuchenden stammte aus dem Kosovo (49,4%). Die nächstgrösseren Anteile stellten Staatsangehörige aus Albanien (9,1%), aus Irak (4,9%) und aus Sri Lanka (4,6%). 92,6% kamen über die grüne Grenze. Die Anerkennungsquote ging von 12,5 auf 9,5% zurück. 3456 Personen, doppelt so viele wie 1997, wurden zwangsweise zurückgeschafft, darunter 1211 in der Schweiz kriminell gewordene Albaner bzw. Kosovo-Albaner. Insgesamt verliessen 23 706 asylsuchende Personen die Schweiz [22].
Seit 1988 ist das BFF befugt, den Asylentscheid nur auf Grund der kantonalen Akten (d.h. ohne eine zusätzliche Anhörung durch das Bundesamt) zu fällen. Dieser Umstand verleiht den Kantonen eine beträchtliche Machtfülle. Eine von der Universität Bern erstellte Studie, welche die Entscheide der Jahre 1988 bis 1996 analysierte, zeigte nun, dass der Anteil der Gutheissungen stark variiert, je nachdem, welchem Kanton die Erstbefragung zu den Fluchtgründen obliegt. Während eine Zuweisung an die Kantone Nidwalden, Appenzell Innerrhoden, Obwalden, Glarus, Zug und Luzern im betrachteten Zeitabschnitt zu signifikant überdurchschnittlichen Anerkennungsquoten führte, lag die Chance für einen positiven Entscheid in den Kantonen Aargau, St. Gallen, Appenzell Ausserrhoden, Thurgau, Wallis, Basel-Stadt und Tessin wesentlich unter dem Durchschnitt [23].
Für Arbeitspapiere einzelner Parteien zur Asylpolitik siehe unten, Teil IIIa.
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Totalrevision der Asylgesetzgebung
In der Frühjarssession behandelte der Nationalrat die Differenzen bei der Revision des Asylgesetzes, wobei er gegen den erbitterten rot-grünen Widerstand die vom Ständerat eingefügte härtere Gangart gegenüber Fällen von vermutetem Missbrauch des Asylrechts übernahm. Illegal in die Schweiz eingereiste Asylbewerber sowie jene, welche keine gültigen Ausweispapiere vorlegen, sollen – falls sie dafür nicht entschuldbare Gründe geltend machen können – vom regulären Verfahren ausgeschlossen werden, es sei denn, es bestehen Hinweise auf eine individuelle Verfolgung im Ursprungsland. Anders als der Ständerat wollte die grosse Kammer den illegal Anwesenden aber eine Frist von maximal zehn Tagen gewähren, um sich bei den zuständigen Behörden zu melden. Die Gegner bezeichneten diese Verschärfung des Asylgesetzes nicht nur als Verletzung der humanitären Tradition der Schweiz, sondern auch als faktisch nicht durchführbar, da bei heimlichen Grenzübertritten das effektive Einreisedatum gar nicht mehr nachweisbar sei. Zudem könnten oft gerade ”echte” Flüchtlinge keine Ausweispapiere vorweisen, da sie in einer Notlage ihre Heimat hätten verlassen müssen. Ihre, von zahlreichen Medien übernommene Behauptung, mit diesen Bestimmungen würden zentrale Elemente der 1996 vom Stimmvolk abgelehnten Volksinitiative der SVP ”gegen die illegale Einwanderung” durch die Hintertüre doch noch eingeführt, wurde sowohl von der Ratsmehrheit wie von Bundesrat Koller als nicht zutreffend zurückgewiesen, da bei einem Nichteintreten auf ein Gesuch das rechtliche Gehör dennoch gewährleistet sei; dort könne die Vermutung des Asylmissbrauchs wieder umgestossen werden. Koller bestritt vehement, dass es sich bei der neuen Bestimmung um eine Beweislastumkehr zuungusten der Asylsuchenden handle: es werde weiterhin an den Behörden sein, einer illegal eingereisten Person zu beweisen, dass sie sich seit mehr als zehn Tagen in der Schweiz aufhalte und es ihr zuzumuten gewesen wäre, in dieser Frist ein Gesuch zu stellen. Zudem gelte bereits heute, dass auf Gesuche ”Papierloser” in der Regel nicht eingetreten werde, wenn man ihnen nachweisen könne, dass sie ihre Ausweise bewusst beiseite geschafft haben, um sich damit Vorteile im Asylverfahren zu verschaffen. Auch bedeute der Ausschluss vom ordentlichen, materiellen Verfahren nicht in jedem Fall die sofortige Wegweisung. Das Prinzip des Non-refoulement, wonach keine Person in ein Land zurückgewiesen werden darf, in welchem ihr eine schwere Gefahr für Leben und Freiheit droht, werde von diesen Massnahmen nicht tangiert.
Einverstanden war die grosse Kammer mit der vom Ständerat eingeführten Bestimmung, dass frauenspezifischen Fluchtgründen bei der Behandlung von Asylgesuchen Rechnung zu tragen ist, was allerdings – entgegen den ursprünglichen rot-grünen Forderungen – nicht bedeutet, dass diese Gründe automatisch asylrelevant werden. Die von ihr in der ersten Lesung eingefügten generellen Menschenrechtsverletzungen als Grund für eine vorübergehende Schutzgewährung kippte sie – allerdings sehr knapp mit 63 zu 61 Stimmen – wieder aus der Vorlage, hielt aber daran fest, dass Situationen allgemeiner Gewalt Anlass für eine kollektive Aufnahme sein sollen. Als weiteren Punkt übernahm der Nationalrat die vor allem für die Einreise über die Flughäfen relevante Bestimmung, wonach Wegweisungsentscheide direkt den Betroffenen und nicht deren designiertem Anwalt mitgeteilt werden. Eine Minderheit machte vergebens geltend, dies widerspreche der in der Schweiz geltenden Rechtsordnung sowie der europäischen Menschenrechtskonvention und schwäche die Stellung der Betroffenen erheblich.
Fest hielt der Nationalrat hingegen an seinem ersten Entscheid, dass Asylsuchende, denen in der Zwischenzeit kollektiv Schutz gewährt wurde, erst nach Ablauf dieser Schutzgewährung ein Gesuch um Wiederaufnahme ihres ursprünglichen Asylantrags stellen können und nicht schon nach Ablauf von fünf Jahren, wie dies der Ständerat beschlossen hatte, ebenso an der Bestimmung, dass Asylbewerber inskünftig den Kantonen – neben der allseits unbestrittenen Familienzusammenführung – auch nach dem Kriterium eines weiter gefassten sozialen Netzes oder einer ihnen geläufigen Landessprache zugeteilt werden können.
Im gleichzeitig revidierten Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern (Anag) wurde den Behörden – nach der Vorgabe im Ständerat – die Kompetenz erteilt, Ausländer, die trotz Einreisesperre in die Schweiz gelangen, für höchstens drei Monate in Haft zu nehmen, auch wenn ihnen das Verbot nicht vorgängig notifiziert werden konnte [24].
In der Aprilsession befasste sich der Ständerat mit den noch bestehenden Differenzen. Er stimmte dem Nationalrat zu, dass auch Situationen allgemeiner Gewalt und nicht nur Kriegshandlungen resp. die Verfolgung ganzer Volksgruppen durch die Regierungsgewalt zur vorübergehenden Schutzgewährung Anlass geben sollen. Zuhanden der Materialien führte der Kommissionsberichterstatter aber aus, dass darunter zu verstehen sei, dass praktisch das ganze Land von Gewalt heimgesucht ist; solange es innerhalb des Landes noch Ausweichsmöglichkeiten gebe (wie etwa in Algerien), bestehe keine Grundlage für den vorübergehenden Schutz. Gut hiess er auch den Grundsatz, dass ein früher eingeleitetes Asylverfahren erst nach Ablauf der Schutzgewährung wieder aufgenommen werden kann.
Bei den illegal im Land weilenden Asylsuchenden hielt die kleine Kammer ohne Gegenstimme an ihrer ursprünglichen Fassung fest, wonach diese ohne Wenn und Aber vom Asylverfahren ausgeschlossen werden, es sei denn, es bestehen Hinweise auf eine echte Verfolgung. Die vom Nationalrat eingefügte zehntägige Frist, um sich bei den zuständigen Behörden zu melden, erachtete sie als eine Art Freibrief, sich vorerst einmal heimlich in der Schweiz aufzuhalten, weshalb sie dieser Erleichterung nicht zustimmen mochte. Materiell wurde dieser Entscheid aber nicht mehr ausführlich diskutiert. Wenige Tage vor den Beratungen war nämlich ein Gutachten publiziert worden, welches das UNHCR bei einem namhaften Schweizer Asylrechtsexperten in Auftrag gegeben hatte. Dieses erachtete die vorgesehenen Massnahmen gegen die illegal eingereisten Asylbewerber als völkerrechtswidrig, da diesen damit der Zugang zu ihren Statusrechten gemäss Flüchtlingskonvention verunmöglicht werde. Die Expertise hielt auch das Vorgehen gegenüber den papierlosen Asylsuchenden für zumindest bedenklich, und zwar aus den Gründen, die im Nationalrat bereits vom rot-grünen Lager dargelegt worden waren (Fehlen von Ausweispapieren gerade bei ”echten” Flüchtlingen). Mit dem praktisch diskussionslosen Festhalten an seiner ursprünglichen Fassung wollte der Ständerat dem Nationalrat die Möglichkeit geben, im weiteren Verlauf der Differenzbereinigung die Expertise eingehender zu würdigen und allenfalls die entsprechenden völkerrechtlich notwendigen Korrekturen anzubringen.
Als wesentliche Differenz zum Nationalrat hielt er daran fest, dass die Zuteilung der Flüchtlinge auf die Kantone – neben den proportionalen Kontingentszahlen – nur auf die Familienzusammenführung und nicht auf soziale Netzwerke und schon gar nicht auf die von den Asylbewerbern beherrschten Landessprachen Rücksicht nehmen soll. Damit nahm er auf die Bedenken des Tessin und der Romandie Rücksicht, welche befürchteten, damit vor allem Albaner, die oft über Italienischkenntnisse verfügen, bzw. frankophone Afrikaner zugewiesen zu erhalten. Mit Unterstützung von Bundesrat Koller, der meinte, dass in Zeiten bedeutender Zureise gewisser Volksgruppen ohnehin nicht auf kulturelle Affinitäten abgestellt werden könne, wurde hier mit 24 zu 5 Stimmen Festhalten beschlossen [25].
Angesichts der stetig steigenden Zahlen der Asylgesuche und – gemäss Ansicht von Beobachtern – unter Druck der SVP und neuerdings auch der FDP beantragte der Bundesrat Mitte Mai dem Parlament, die Bestimmungen gegen den vermuteten Asylmissbrauch (Massnahmen gegenüber den ”Illegalen” und den ”Papierlosen” sowie die ”Lex Zaoui”) bereits auf den 1. Juli mit Dringlichkeitsrecht in Kraft zu setzen. Aus Entgegenkommen an die völkerrechtlichen Bedenken des UNHCR wurde die Formulierung etwas abgeändert. Nicht der illegale Aufenthalt, sondern der Missbrauch wurde ins Zentrum gerückt. Missbrauch wird dann als gegeben erachtet, wenn die sich illegal in der Schweiz aufhaltende Person offensichtlich nur zur Aufenthaltsverlängerung ein Asylgesuch einreicht, oder wenn das Gesuch in engem zeitlichem Zusammenhang mit einer Verhaftung, einem Strafverfahren, dem Vollzug einer Strafe oder dem Erlass einer Wegweisungsverfügung präsentiert wird. Den Beweis des Gegenteils muss der Asylsuchende antreten. Auf nachgereichte Gesuche wird dennoch eingetreten, wenn eine frühere Anmeldung zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder wegen traumatischer Erfahrungen vor der Flucht nicht zumutbar war. Den Weg ins reguläre Asylverfahren öffnen – übrigens auch für die ”Papierlosen” – zudem plausible Hinweise auf eine Verfolgung. Vor einem Nichteintretensentscheid werden die Gesuchssteller deshalb im Beisein von Hilfswerkvertretern angehört.
Bundesrat Koller rechtfertigte die dringliche Einführung eines Teils des revidierten Gesetzes mit der Überzeugung der Landesregierung, dass die Fortführung der humanitären Asylpolitik gegenüber den tatsächlich Schutzbedürftigen durch eine entschlossene Bekämpfung der erkannten Missbräuche abgesichert werden müsse. Das schon während der Differenzbereinigung angekündigte Referendum gegen das totalrevidierte Asylgesetz (siehe unten) würde die rasch notwendige konsequente Missbrauchsbekämpfung mindestens bis ins nächste Jahr verzögern. Auch mit Dringlichkeitsrecht würde der Volkswille respektiert. Falls der Souverän in separaten Referendumsabstimmungen das neue Gesetz guthiesse, den Dringlichen Bundesbeschluss aber ablehnte, würden die drei vorweg eingeführten Neuerungen automatisch und ersatzlos aus dem Gesetz gestrichen [26].
Der Nationalrat behandelte die Vorschläge zum Dringlichen Bundesbeschluss zu Beginn der Sommersession im Rahmen der zweiten Runde der Differenzbereinigung bei der Asylgesetzrevision. Ein von SP-Vertretern eingebrachter Nichteintretensantrag, der die bereits früher geltend gemachten Vorbehalte gegen die Verschärfung der Asylpraxis – gerade angesichts der neuesten Entwicklung im Kosovo (siehe unten) – erneut bekräftigte, wurde mit 117 zu 58 Stimmen abgelehnt. Für Eintreten stimmte das geschlossene bürgerliche Lager inklusive LdU/EVP-Fraktion, dagegen die Linke und die Grünen. Der Stimme enthielten sich die Freisinnigen Langenberger (VD), Loeb (BE) und Nabholz (ZH) sowie der Walliser CVP-Vertreter Schmid. Allerdings anerkannten auch die Befürworter einer sofortigen Verschärfung, dass es zumindest ungewöhnlich sei, in der Endphase der Bereinigung einer Vorlage bereits Dringlichkeitsrecht für Massnahmen vorzusehen, welche vom Parlament noch gar nicht definitiv beschlossen worden seien. Inhaltlich übernahm die grosse Kammer mit 93 zu 57 Stimmen in allen drei wesentlichen Punkten (illegal eingereiste sowie papierlose Personen, ”Lex Zaoui”) die Vorschläge des Bundesrates. Dies wirkte sich auch auf das revidierte Asylgesetz aus, wo die völkerrechtskonformere Formulierung bei den Massnahmen gegenüber den illegal Eingereisten übernommen wurde. Dadurch entfiel die vom Nationalrat in der Frühjahrssession eingefügte zehntägige Frist, um sich bei den zuständigen Behörden zu melden. In der einzigen gegenüber dem Ständerat noch bestehenden wesentlichen materiellen Differenz, nämlich der Zuteilung der Asylsuchenden auf die Kantone, schloss sich die grosse Kammer mit 79 zu 61 Stimmen der kleinen an [27].
Der Ständerat befand wenige Tage später zwar, die dringlichen Massnahmen seien kein Wundermittel gegen den Asylmissbrauch, lehnte aber dennoch mit 32 zu 7 Stimmen einen Nichteintretensantrag Brunner (sp, GE) ab. Kritische Stimmen bezüglich der Einführung von Notrecht kamen dabei ausnahmsweise nicht nur von linker, sondern vereinzelt auch von freisinniger Seite. Damit beuge man sich dem Druck gewisser Demagogen und einschlägiger Presseerzeugnisse, monierte etwa der Tessiner Marty. Die neuen Bestimmungen taugten gegen die anvisierten Missbräuche nicht, und sie gäben ein falsches Signal, indem sie die Ausländer zu Schuldigen machten. Unnötig, populistisch und gefährlich seien die Massnahmen, hieb der Neuenburger Béguin in die gleiche Kerbe. Es sei die schlechteste Antwort auf die wirklichen Probleme. Diese ortete Béguin vor allem in den zu langen Verfahren, die dazu führten, dass die Menschen bei Vorliegen eines negativen Asylentscheides bereits integriert seien. In der Detailberatung folgte die kleine Kammer in den wesentlichen Punkten Bundes- und Nationalrat. Bei den ”Papierlosen” weichte er die Massnahme gegen vermuteten Missbrauch insofern auf, als diese eine Frist von 48 Stunden erhalten sollen, um allenfalls versteckte Papiere wieder zu beschaffen; erst dann werden sie (mit den oben erwähnten flüchtlingsrechtlichen Garantien) vom regulären Verfahren ausgeschlossen. Auch diese Bestimmung wurde sinngemäss ins revidierte Asylgesetz aufgenommen [28].
Der Nationalrat verfeinerte den ”Papierlosen-Beschluss” noch einmal. Er übernahm die vom Ständerat beschlossene Frist und präzisiert, dass neben den üblichen Identitätspapieren auch alle Dokumente anerkannt werden sollen, die es erlauben, eine Person zu identifizieren (Führerausweis, Geburtsurkunde usw.). Da auch der Ständerat bereit war, dies sowohl ins Asylgesetz wie in den Dringlichen Bundesbeschluss aufzunehmen, waren in beiden Vorlagen die letzten Differenzen ausgeräumt. Das revidierte Asylgesetz passierte mit 114 zu 59 Stimmen im Nationalrat und mit 36 zu 5 Stimmen im Ständerat. Es blieb nur noch zu entscheiden, ob wirklich Dringlichkeitsrecht zum Zug kommen sollte oder nicht. Der Nationalrat stimmte dem mit 104 zu 58 Stimmen zu, der Ständerat mit 36 zu 6 Stimmen. Damit traten die Bestimmungen des neuen Bundesbeschlusses fünf Tage nach der Schlussabstimmung auf den 1. Juli in Kraft [29].
Bereits vor dem Ende der Beratungen im Parlament hatten die wichtigsten Flüchtlingsorganisationen angekündigt, sie würden diese Verschärfung des Asylrechts mit zwei Referenden bekämpfen. Umgehend schloss sich ihnen der SP-Parteivorstand an, worauf auch der SGB nicht abseits stehen mochte. Allerdings war die Zustimmung bei SP und Gewerkschaft nicht unbestritten: Während die Romands klar für das Referendum waren, zeigten sich die Deutschschweizer zurückhaltender. Sie zweifelten weniger am Zustandekommen des Referendums als vielmehr am Rückhalt der Bevölkerung in der nachfolgenden Volksabstimmung; zudem hegten sie die Befürchtung, ein emotional aufgeheizter Abstimmungskampf könnte die Stimmung in der Flüchtlingspolitik weiter polarisieren und damit den Weg für noch härtere Abwehrmassnahmen frei machen. Die beiden Referenden kamen – mit überproportionaler Unterstützung in der Romandie und im Tessin – zustande, jenes gegen die Asylgesetzrevision mit 60 963, jenes gegen den Dringlichen Bundesbeschluss mit 66 952 Unterschriften [30].
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Vollzug
Ende Februar traf sich Bundesrat Koller mit Vertretern von Kantonen und Gemeinden, um sich über die schwierige Lage im Asylbereich auszusprechen. Der Justizminister räumte ein, dass die stark ansteigenden Asylbewerberzahlen, die Kriminalität einer Minderheit und zunehmende Tätlichkeiten gegenüber Betreuern zu einem Problem geworden seien. Seiner Ansicht nach werden aber die Möglichkeiten des geltenden Rechts – insbesondere die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht – nach wie vor ungenügend ausgeschöpft. Den Kantonen und Gemeinden sicherte er zu, die Zahl der Betreuerstellen weiter zu erhöhen, bat sie aber im Gegenzug, die Ausschaffungen abgewiesener Asylbewerber und ihrer Familien konsequent zu vollziehen. Zudem verwies er auf eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Bund und Kantonen, die ein eigentliches Massnahmenkonzept erstellen soll. Diese schlug dann vor, die interkantonale Zusammenarbeit beim Vollzug von Wegweisungen zu professionalisieren und zu institutionalisieren. Im Gegenzug versprachen die Kantone, die vorhandenen Instrumente zur Durchsetzung von Wegweisungen einheitlicher zu nutzen. Bundesrat Koller zeigte sich beim abschliessenden Treffen der Arbeitsgruppe vor allem besorgt darüber, dass die Schweiz nicht Mitglied der EU-Abkommen von Schengen und Dublin ist, weshalb sie bei einem länger andauernden Abseitsstehen in Europa über kurz oder lang zu einer eigentlichen Fluchtinsel werde [31].
Nachdem das Asylbudget für 1998 (1 Mia Fr.) bereits anfangs August ausgeschöpft war, beantragte der Bundesrat im September einen Nachtragskredit von 180 Mio Fr., den die Finanzdelegation der Räte angesichts des Umstandes genehmigte, dass im Berichtsjahr viel mehr Personen, als bei der Erstellung des Voranschlages angenommen, in der Schweiz um Asyl nachsuchten. Sie verlangte aber gleichzeitig, die Finanzierungsmodalitäten zu ändern und die Vollzugsverantwortung der Kantone stärker mit der finanziellen Zuständigkeit zu koppeln. Dies hatte der Bundesrat bereits einige Wochen früher in die Diskussion gebracht, indem er erwog, als dringende Sparmassnahme die Fürsorgekosten, die über 90% des Asylbudgets ausmachen, zu senken sowie eine Abstufung der Subventionen an die Kantone gemäss ihrer Kooperationswilligkeit bei der Rückschaffung abgewiesener Asylbewerber vorzunehmen [32].
Diese neuen Entwicklungen wurden an einem Folgetreffen zwischen Bundesrat und Kantonen Ende Oktober diskutiert. Der Bund kündigte an, die Fürsorgepauschale für die Asylbewerber von rund 18.50 Fr. pro Tag um vier Franken zu kürzen und auch die anerkannten Flüchtlinge nicht mehr aufgrund der effektiven Kosten, sondern nur noch pauschal zu unterstützen. Bundesrat Koller rechnete dafür mit jährlichen Einsparungen von 80 bis 100 Mio. Franken. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe erhielt zudem den Auftrag, Massnahmen für einen Leistungsabbau im Gesundheitsbereich vorzuschlagen, um die Attraktivität der Schweiz als Fluchtland weiter zu senken. Bund und Kantone einigten sich darauf, das Asylverfahren zu beschleunigen und die Zwangsmassnahmen im Ausländerbereich rascher zu vollziehen. Mit der Zentralisierung der Papierbeschaffung für abgewiesene Asylbewerber übernahm der Bund definitiv eine neue Aufgabe [33].
Dass dem Parlament ernst ist mit dem Sparauftrag im Asylbereich und es inskünftig Nachtragskredite nicht mehr akzeptieren wird, machte eine Kommissionsmotion zum Stabilisierungsprogramm im Nationalrat klar, die vom Bundesrat verlangte, bis Mitte 1999 ein Massnahmenpaket vorzulegen mit dem Ziel, die Ausgaben im Asylbereich bis zum Jahr 2001 auf maximal 1 Mia. Fr. zurückzuführen. Die Landesregierung verwies darauf, dass die Kostenentwicklung im Asylbereich nicht in jedem Fall steuerbar sei, sondern stark von Konfliktsituationen (wie etwa im Kosovo) und vom entsprechenden Zustrom von Flüchtlingen abhänge. Um sich einen der jeweiligen Situation angepassten Handlungsspielraum zu bewahren, beantragte sie, die Motion in ein Postulat umzuwandeln. Goll (sp, ZH) und Bühlmann (gp, LU) verlangten, die Motionen gänzlich abzulehnen, da dieser Punkt bei den Gesprächen am ”Runden Tisch” (siehe oben, Teil I, 5a, Sanierungsmassnahmen) nicht beschlossen worden sei. Mit 101 zu 57 Stimmen wurde die Motion angenommen [34].
Eine von der SVP immer wieder vorgebrachte – und von deren Bundesrat Ogi unterstützte – Forderung betraf die Entsendung von Armeee-Einheiten an die Grenze, um Flüchtlinge vor allem aus dem Balkan am Überschreiten der grünen Grenze zu hindern. Der Gesamtbundesrat lehnte es während des Berichtsjahres weiterhin ab, zu dieser von ihm als ”ultima ratio” bezeichneten Massnahme zu greifen. Der Besorgnis der Tessiner Polizeibehörden kam er aber insofern entgegen, als er die Zahl der an die Südgrenze abkommandierten Festungswächter von 20 auf 100 Personen aufstockte und ihren Einsatz bis Ende 2000 ausdehnte. Im Juli detachierte er zusätzlich 50 Unteroffiziersschüler in Instruktionsausbildung in den Tessin. Ab April wurden Berufssoldaten auch an der Grenze zu Deutschland und Frankreich eingesetzt [35].
Unter Anteilnahme selbst internationaler Medien übernahm dagegen anfangs November die Armee die Betreuung eines Teils der neu eingereisten Asylsuchenden in nicht mehr benötigten Militärunterkünften, um so die Engpässe in den Erstaufnahmezentren an der Grenze aufzufangen, welche durch den Ansturm von Flüchtlingen aus dem Krisengebiet Kosovo völlig überlastet waren. Der Einsatz des Militärs wurde angesichts der angespannten Lage allgemein positiv aufgenommen. Kritisiert wurde aber mehrfach, dass die Militärangehörigen den Assistenzdienst uniformiert – wenn auch unbewaffnet und unter ziviler Führung – leisten, was auf die durch Kriegshandlungen in ihrer Heimat traumatisierten Flüchtlinge bedrohlich wirken könnte. Die erste militärisch betreute Unterkunft befand sich im Berner Gantrisch-Gebiet. Bis zum Ende des Berichtsjahres folgten weitere Lager in den Kantonen Wallis und Glarus [36].
Der Nationalrat sanktionierte diesen militärischen Assistenzdienst und beschloss, dass der Bund bis Ende 1999 gleichzeitig maximal 1000 Armeeangehörige zur Flüchtlingsbetreuung abrufen kann. Ein Rückweisungsantrag der Linken, welche diesen Einsatz als reine Image-Aufpolierung des Militärs erachtete, wurde ebenso abgelehnt wie ihre Anträge, die Soldaten müssten die Asylsuchenden in zivilen Strukturen betreuen bzw. die regulären Empfangsstellen seien personell so aufzudotieren, dass ein militärisches Aufgebot überflüssig werde [37].
Auch der Ständerat sprach sich deutlich für die neue Aufgabe der Armee aus. Allerdings wollte er nur den laufenden, vom Bundesrat auf ein halbes Jahr festgesetzten Einsatz gutheissen; sollte eine Verlängerung nötig werden, so sei dem Parlament ein neuer Genehmigungsbeschluss gemäss Militärgesetz zu unterbreiten. Das Parlament könne nämlich nur ein subsidiäres Truppenaufgebot zur Entlastung überforderter ziviler Behörden im nachhinein billigen oder rügen, Bewilligungen ”auf Vorrat” seien vom Gesetz hingegen nicht vorgesehen. In der Sache hielt der Nationalrat eine längerfristige Kompetenzerteilung nach wie vor für gerechtfertigt, stimmte im Interesse eines raschen Abschlusses aber dem Ständerat zu [38].
Zur weiteren Entlastung der Erstaufnahmezentren hatte der Bundesrat bereits im September eine nicht mehr benötigte Truppenunterkunft in Bronschhofen (SG) vorgesehen, wobei hier die Betreuung durch private Organisationen erfolgen sollte. In Bronschhofen regte sich umgehend der Widerstand eines Teiles der Bevölkerung in unvorhersehbarem Ausmass und führte sogar zu einem Sprengstoffanschlag auf die noch nicht bezogene Unterkunft. Der Besuch des Direktors des BFF, der noch einmal zu einer ziemlich emotional geführten Aussprache unter den Einwohnern führte, beruhigte die Gemüter dann aber so weit, dass die Unterkunft Ende Oktober ohne weitere Misstöne bezogen werden konnte [39].
Der Kanton Zürich setzte die bereits früher von einigen Kantonen verlangte spezielle Behandlung von renitenten oder kriminellen Asylbewerbern in die Praxis um. Vorgesehen ist, dass die Asylsuchenden im Kanton beim Eintritt in eine Unterkunft einen Vertrag mit dem Betreuungspersonal abschliessen, der Massnahmen nach dem Bonus-Malus-System vorsieht: Flüchtlinge, die positiv auffallen, sollen belohnt werden, etwa indem sie Zugang zu Bildungs- und Beschäftigungsprogrammen erhalten; wer Verhaltensregeln missachtet, soll dagegen in eine Struktur mit nur noch minimaler Betreuung versetzt werden. Das neue Modell wurde vorerst in zwei Durchgangsheimen erprobt [40].
Auf den 30. April trat die Bestimmung in Kraft, wonach auch Familien mit Kindern aus Bosnien (rund 10 000 Personen), die in der Schweiz eine vorläufige Aufnahme gefunden hatten, in ihre Heimat zurückkehren müssen, selbst wenn die Lebensumstände dort nicht absehbar sind, beispielsweise weil der ehemalige Wohnort in einem inzwischen einer anderen Volksgruppe zugesprochenen Gebiet liegt. Eine Fristverlängerung wollte der Bundesrat allerdings für gemischt-ethnische Ehepaare, schwangere Frauen, Familien mit Neugeborenen, alleinerziehende Mütter, Personen mit Gesundheitsproblemen, Schüler bis Ende Schuljahr und Lehrlinge, welche im laufenden Jahr ihre Ausbildung abschliessen, gewähren. Auch sollten die über 4000 Deserteure und Dienstverweigerer mit ihren Familien noch bis Ende August in der Schweiz bleiben dürfen [41].
Mit einer im März eingereichten Motion verlangte Nationalrätin Bäumlin (sp, BE), es sei unverzüglich ein Spezialverfahren für bosnische Flüchtlinge einzurichten, die aus ”ethnisch-gesäuberten” Gebieten stammen, in die sie nicht zurückkehren können. Da dieser Vorstoss erst in der Wintersession beraten wurde, als die meisten Wegweisungsentscheide bereits vollzogen waren, war Bäumlin bereit, ihre Motion in ein Postulat umzuwandeln. Bundesrat Koller, der betonte, Zwangsrückschaffungen in Minderheitsgebiete würden keine vorgenommen (wohl aber in Mehrheitsgebiete, die nicht zur engeren Heimat der Flüchtlinge gehören) und auf die Wiederaufbauhilfe der Schweiz in Bosnien verwies, war auch nicht bereit, dieses entgegenzunehmen, doch wurde es mit 56 zu 54 Stimmen knapp überwiesen [42].
Besonders hart wurde die Frage diskutiert, ob bosnische Jugendliche, welche in den vergangenen Jahren eine Ausbildung in der Schweiz begonnen haben, diese über das Jahr 1998 hinaus sollen beenden können, oder ob sie ebenfalls der allgemeinen Rückführung unterliegen sollten. Der Bund überliess diese Frage generell den Kantonen [43]. Zürich zeigte sich – zumindest in ersten Stellungnahmen – unerbittlich, die meisten anderen Kantone erklärten sich hingegen (wenn auch hie und da nach anfänglichem Zögern und unter Druck der Öffentlichkeit) bereit, den jungen Bosniern eine Aufenthaltsbewilligung über das Jahr 1998 hinaus zu erteilen, allerdings ohne gleichzeitig das Bleiberecht für deren Familien zu verlängern. Damit entsprachen sie einem Brief, den die Nationalrätinnen Müller-Hemmi (sp, ZH) und Langenberger (fdp, VD) sowie Ständerätin Simmen (cvp, SO), unterstützt von 140 Ratskolleginnen und -kollegen, an die Regierungen der Kantone gerichtet hatten mit der Bitte, ihren gesetzlichen Handlungsspielraum in dieser Angelegenheit zu nutzen, um diesen vom Schicksal ohnehin benachteiligten Jugendlichen zumindest beruflich eine Chance zu eröffnen [44].
Im März appellierte das UNHCR an die europäischen Regierungen, ihre Politik der Rückschaffung von Asylbewerbern ins Kosovo zu überdenken. Das BFF erklärte aber, die Lage sei keineswegs mit jener während des Bürgerkriegs in Bosnien zu vergleichen. Die generelle Sicherheit sei trotz einzelner Unruhen im Kosovo nicht gefährdet, weshalb weiterhin Rückschaffungen vollzogen sowie Fristen für die Ausreise angesetzt würden. Trotz heftigster Proteste von SP, Grünen und der Hilfswerke hielt der Bundesrat das ganze Frühjahr über an seiner harten Position fest; als einzige Konzession entschied er, dass die Deportationen nicht mehr mit Sonderflügen, sondern mit Linienflügen durchzuführen seien. Erst als Österreich, Frankreich und mehrere deutsche Bundesländer die Rückschaffungen der Kosovaren nach Pristina und Belgrad generell suspendierten, änderte der Bundesrat Mitte Juni seine Haltung. Er verfügte, dass zumindest bis Ende Juli keine Ausschaffungen mehr ins Kosovo vorgenommen werden, es sei denn, einzelne Personen hätten die öffentliche Sicherheit und Ordnung in schwerwiegender Weise gefährdet. Darüber, ob jemand ins Kosovo zurückgeschickt wird, entschieden ab diesem Zeitpunkt auch nicht mehr die Kantone, sondern allein das BFF in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Ausländer; damit sollte eine einheitliche Praxis sichergestellt werden. Dieser Entscheid fand die Zustimmung sämtlicher Parteien bis hin zur SVP. Später verlängerte der Bundesrat die Frist für die abgewiesenen Asylsuchenden bis Ende September und dann noch einmal bis Ende April 1999, wobei Straffällige von dieser Regelung weiterhin ausgenommen blieben [45].
Im Rahmen der von-Wattenwyl-Gespräche forderten die vier Bundesratsparteien Mitte November die Landesregierung auf, die Flüchtlinge aus dem Kosovo nicht mehr ins normale Asylverfahren einzubinden, sondern kollektiv vorläufig aufzunehmen. Als Voraussetzung stipulierten sie allerdings, dass zumindest Deutschland und Österreich gleichziehen, um die Flüchtlingsströme nicht einseitig in die Schweiz zu leiten. Die internationale Kosovo-Konferenz unter Leitung des UNHCR, welche kurz darauf auf Vorschlag mehrerer Länder, darunter die Schweiz, in Genf tagte, lehnte aber eine Globallösung für die Kosovo-Flüchtlinge ab, worauf auch in der Schweiz diese Forderung nicht weiter verfolgt wurde [46].
Gerade beim massiven Zustrom der Kosovaren, der am meisten zum Schreckenszenario von mehr als 2 Milliarden Franken Asylkosten pro Jahr beitrug, zeigte sich, dass die Schweiz eine allenfalls ausgabendämpfende Form des Aufenthalts gar nie geprüft hat, nämlich die Unterbringung bei bereits in der Schweiz wohnhaften Verwandten oder Bekannten, die aufgrund einer Jahresbewilligung oder eines vorläufig verlängerten Saisonnierstatus hier leben. Genf beschritt als erster Kanton den Weg, für neueingereiste Flüchtlinge wo immer möglich eine Bleibe bei Verwandten oder Bekannten zu finden, anstatt sie in Zivilschutzanlagen unterzubringen. Das BFF zeigte sich hingegen in dieser Frage sehr zurückhaltend, da befürchtet wurde, allzu enge familiäre Bindungen könnten zur Integration jener Gewaltflüchtlinge in der Schweiz führen, die man nach Ende der Kampfhandlungen wieder in ihre Heimat zurückschicken will [47].
Trotz andauernder Massaker in Algerien zeigte sich der Bundesrat nicht bereit, seine Haltung gegenüber Asylsuchenden aus diesem Maghrebstaat neu zu überdenken und auch Übergriffe islamistischer Gruppierungen als Fluchtgrund zu anerkennen. Er bekräftigte aber, dass er Rückführungen nur sehr zurückhaltend vornehmen wolle und jeden Fall einzeln prüfen werde. Zudem sicherte er zu, die 1994 aus Sicherheitsgründen geschlossene Schweizer Botschaft in Algier nach Möglichkeiten wieder zu reaktivieren (siehe dazu oben, Teil I, 2, Relations bilatérales). Auf eine generelle Suspendierung der Wegweisungen, wie sie die SP und die Flüchtlingsorganisationen bereits mehrfach gefordert hatten, verzichtete er, um nicht durch einen Alleingang die Schweiz zu einem Magneten für algerische Asylbewerber in ganz Europa zu machen [48].
 
[20] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 42 f.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 864.20
[21] Presse vom 4.9.98. Siehe SPJ 1997, S. 283.21
[22] Presse vom 9.1.99. Bei der Asylrekurskommission gingen 14,5% mehr Fälle ein als 1997. Obgleich die Zahl der Erledigungen gesteigert werden konnte, wuchs der Pendenzenberg um 18% (Presse vom 9.4.99).22
[23] Lit. Schneider. Zur zurückhaltenden Stellungnahme des BFF zu dieser Studie siehe NZZ, 6.7.98. Eine Untersuchung des Schweiz. Forums für Migrationsstudien in Neuenburg zeigte, dass die Kantone auch sehr unterschiedliche Unterstützungsbeiträge an die Asylbewerber bezahlen (BZ, 4.11.98).23
[24] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 508 ff., 514 ff. und 521 ff. Für die ersten Beschlüsse des StR siehe SPJ 1997, S. 283 ff. Das Bundesgericht hatte 1995 die bereits damals vom BFF geübte Praxis, Asylbewerber ohne gültige Papiere vom Verfahren auszuschliessen, mangels gesetzlicher Grundlagen als juristisch nicht haltbar gewertet (SPJ 1995, S. 262). Für die Volksinitiative der SVP vgl. SPJ 1996, S. 273 ff. Die Änderung im Anag wurde als eigentliche ”Lex Zaoui” bezeichnet. Zaoui, ein mutmasslicher algerischer Terrorist, war 1997 von Belgien her kommend in die Schweiz gelangt, obgleich gegen ihn eine Einreisesperre verhängt worden war. Er wurde daraufhin vorübergehend in Gewahrsam genommen und Ende Oktober des Berichtsjahres in einen nicht näher bezeichneten Drittstaat – dem Vernehmen nach Burkina Faso, ein Schwerpunktland der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit – ausgeschafft (LT, 17.4. und 21.4.98; Presse vom 31.10.98). Siehe dazu auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2221 f. und 2473.24
[25] Amtl. Bull. StR,1998, S. 525 ff.; NZZ, 24.3.98; LT, 30.4.98; Presse vom 1.5.98 (Gutachten). Zur sehr reservierten Haltung des UNHCR gegenüber den beschlossenen Verschärfungen siehe LT, 20.5.98.25
[26] BBl, 1998, S. 3225 ff.; Presse vom 28.3., 2.5. (FDP), 4.5. (SVP) und 14.5.98 (Kommentare zum Antrag des BR); BZ, 11.5.98 (Interview Koller); WoZ, 21.5.98.26
[27] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1059 ff.27
[28] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 652 ff., 663 ff. und 670 ff.28
[29] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1289 ff., 1365 f., 1432 f. und 1636 ff.; Amtl. Bull. StR, 1998, S. 760 ff., 820 f. und 840. Bei der Orientierung über die Entwicklungen im Asylwesen während des Berichtsjahres musste der Sprecher des BFF eingestehen, dass der dringliche Bundsbeschluss in den ersten sechs Monaten kaum Wirkung entfaltet hat (Presse vom 9.1.99).29
[30] BBl, 1998, S. 5649 ff.; NZZ, 24.3., 14.8. und 1.10.98; Presse vom 29.6. und 16.10.98; TA, 7.7.98; WoZ, 9.7.98; LT, 10.7.98; Bund, 19.9.98. Unterstützung fanden die Referenden auch beim Vorstand des Evangelischen Kirchenbundes der Schweiz, der damit erstmals in seiner Geschichte ein Referendum aktiv mittrug (TA, 29.8.98).30
[31] Presse vom 27.2., 27.3. und 25.4.98. Zu Schengen und Dublin siehe die Ausführunges des BR in Amtl. Bull. NR, 1998, S. 759 ff., 1549 ff. und 1593 f.; Die Volkswirtschaft, 1998, Nr. 10, S. 70 ff.; NZZ, 16.12. und 19.12.98. Als wichtigen aussenpolitischen Erfolg wertete das Departement Koller das Zustandekommen eines Rückübernahmeabkommens mit Italien, welches sicherstellt, dass durch Italien transitierende Flüchtlinge (vornehmlich aus Kosovo und Albanien), die illegal in die Schweiz einreisen, von Italien wieder übernommen werden müssen (CdT, 11.3., 9.7. und 13.7.98; NZZ, 12.3.98; TA, 27.3.98; Presse vom 13.7. und 11.9.98). Im April wurde auch ein Rückübernahmeabkommen mit Mazedonien unterzeichnet, welches beide Länder verpflichtet, jederzeit eigene Staatsangehörige zurückzunehmen (NZZ, 17.4.98). Eine seit 1965 mit Frankreich bestehende analoge Übereinkunft wurde neu paraphiert und dabei weiter gefasst (LT, 6.10.98).31
[32] TA, 8.8.98; BZ, 21.8.98; LT, 28.8. und 29.8.98; BaZ, 3.9.98; Presse vom 5.9.98; NZZ, 16.9.98. Eine vom BFF in Auftrag gegebene Studie wies nach, dass die Fürsorgeleistungen der Schweiz für die Asylsuchenden im internationalen Vergleich als eher niedrig einzustufen sind (BZ, 10.6.98). Siehe dazu auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1657. Der Direktor des BFF wies den Vorwurf von bürgerlicher Seite zurück, die Schweiz sei wegen ihrer Aufwendungen für Asylbewerber zu attraktiv. Gerade bezüglich des Kosovo wies er darauf hin, dass in den siebziger und achtziger Jahren rund 150 000 Personen als – damals willkommene – Fremdarbeiter in die Schweiz gekommen seien; das habe zum Aufbau eines sozialen Netzes geführt, weshalb es ganz normal sei, dass Kosovo-Albaner tendenziell die Schweiz als Fluchtland bevorzugten (NZZ, 19.9.98).32
[33] LT, 17.10.98; Presse vom 30.10.98; Bund, 12.11.98. Die zentrale Papierbeschaffung war auch eine der Forderungen einer Motion Loretan (fdp, AG), die der StR in diesem Punkt als Postulat überwies. Die Motion verlangte zudem besondere Zentren für renitente und gewalttätige Asylbewerber. Der BR verwies erneut darauf, dass dies allein in der Kompetenz der Kantone liege. Nach anfänglicher Ablehnung erklärte sich der BR damit einverstanden, dass dieser Punkt ebenfalls als Postulat überwiesen wurde (Amtl. Bull. StR, 1998, S. 674 ff.). Siehe auch unten.33
[34] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2413 ff.34
[35] Presse vom 6.1., 10.3., 17.3., 30.3., 6.5., 3.9. und 12.11.98; LT, 4.7.98. BR: Presse vom 4.5. (Ogi) und 7.5.98; TA, 11.5.98 (Koller). Siehe dazu auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1998, S. 422 ff. Eine Motion Freund (svp, AR) für einen entsprechenden dringlichen Bundesbeschluss wurde im NR von links-grüner Seite bekämpft und damit vorderhand der Diskussion entzogen (Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1513 f.). Dass diese Idee nicht bloss bei der SVP auf offene Ohren stösst, zeigte eine von Leu (cvp, LU) eingereichte diesbezügliche Motion, die von den Präsidenten der drei bürgerlichen BR-Parteien mitunterzeichnet wurde (Verhandl. B.vers., 1998, III/IV, Teil II, S. 157); TA, 9.5.98; SoZ, 11.10.98). Im StR wurde dieser Punkt der erwähnten erwähnten Motion Loretan ebenfalls als Postulat angenommen (Amtl. Bull. StR, 1998, S. 674 ff.).35
[36] Presse vom 14.9., 21.9.,10.10., 20.-24.10., 30.10., 5.11., 10.11. und 9.12.98. Zur Überlastung der Empfangszentren an der Grenze, die dem BR den Vorwurf eintrugen, nicht rechtzeitig die nötigen Vorbereitungen für den Ansturm der Flüchtlinge getroffen zu haben, siehe Presse vom 29.8., 1.10. und 16.-20.10.98; TG, 7.9.98; SGT, 8.9.98; BaZ, 9.9. und 17.10.98; LT, 22.9.98; Blick, 27.9. und 16.10.98.36
[37] BBl, 1998, S. 5606 ff.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2445 ff.37
[38] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 1245 ff.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2662 f.38
[39] SGT, 26.9. und 30.9.98; Presse vom 1.10., 13.10., 15.10., 16.10. und 29.10.98.39
[40] NZZ, 2.7.98.40
[41] Presse vom 26.2., 25.3., 30.4. und 1.5.98. Siehe dazu auch die Ausführungen von BR Koller in Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1588 ff. und 1680 sowie in TA, 7.4.98.41
[42] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2467 ff.42
[43] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 217 f.43
[44] NLZ, 26.3., 24.4. und 30.6.98; Presse vom 8.5., 9.5., 12.5. und 16.5.98; Bund, 15.5., 25.6. und 10.7.98; SZ, 14.5.98; SGT, 20.5.98; WoZ, 30.7.98; BZ, 10.9.98. Im Kanton Zürich forderte das bürgerlich dominierte Parlament die Regierung ohne Wenn und Aber auf, allen jungen Bosnierinnen und Bosniern bis zum Ende ihrer Ausbildung Aufenthalt zu gewähren (Presse vom 25.8.98). Zur Frage der unfreiwilligen Rückkehren generell und zur uneinheitlichen Praxis in den Kantonen siehe die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1154 und 2259 ff.44
[45] Presse vom 4.3., 6.3., 10.3., 11.3., 20.3., 9.6., 10.6., 13.6., 20.6., 15.7. und 17.9.98. Siehe dazu die Stellungnahme des BR zu zahlreichen parlamentarischen Interventionen (Amtl. Bull. NR, 1998, S. 418 f., 422 f., 569 f., 784 f., 1039 f., 1050 ff., 1149 ff., 1281 f., 1670, 1672 ff., 1677 ff. und 2259 ff. Als sich die Lage im Balkan im Laufe des Sommers immer weiter zuspitzte, erfolgten allerdings auch viele freiwillige Ausreisen von Kosovaren, die sich der Widerstandsarmee ihres Landes anschliessen wollten (LT, 15.6.98).45
[46] TG, 3.11. und 20.11.98; Presse vom 11.11., 12.11., 14.11. und 21.11.98; NZZ, 23.11.98. Diese Vorschläge waren ein erstes Resultat der parteiübergreifenden Gespräche von CVP, FDP, SP – und mit etwas zögerlichem Einstieg – SVP, welche SP-Präsidentin Koch Mitte Oktober unter dem Arbeitstitel ”Koalition der Vernunft” angeregt hatte (SoZ, 11.10.98; LT, 12.10.98; Presse vom 14.10. und 29.10.98; Bund, 17.10.98; BaZ, 20.10.98). Gegen seinen Willen war der BR, der Umwandlung in ein Postulat beantragt hatte, durch eine Motion Ruffy (sp, VD) bereits in der Frühjarssession vom NR aufgefordert worden, eine internationale Kosovo-Konferenz in der Schweiz zu organisieren (Amtl. Bull. NR, 1998, S. 378 ff.). Einen Tag nach Annahme der Motion schlug die Schweiz dem Ständigen Rat der OSZE vor, diese Konferenz auf ihrem Territorium durchzuführen (NZZ, 6.3.98). Die OSZE erachtete das Angebot der Schweiz als interessant, aber im damaligen Zeitpunkt noch als verfrüht (Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2261). Der StR überwies die Motion als Postulat (Amtl. Bull. StR, 1998, S. 637 ff.).46
[47] TA, 17.10. und 1.12.98; LT, 19.10. und 20.10.98; NZZ, 26.10.98; Bund, 3.11. und 3.12.98. Auch die grosse Mehrheit der kant. Justiz- und Polizeidirektoren sprach sich gegen eine Unterbringung bei Verwandten und Bekannten aus (SGT, 7.11.98).47
[48] Presse vom 6.1. und 8.1.98; NQ, 9.1., 13.1. und 21.1.98; BaZ, 19.2.98; LT, 25.5.98. Siehe dazu auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1998, S. 418, 1539 ff., 1587 f., 1645 f. und 2259 ff. sowie in Amtl. Bull. StR, 1998, S. 335 ff. und 1039 ff.48