Année politique Suisse 1998 : Bildung, Kultur und Medien / Kultur, Sprache, Kirchen
 
Sprachen
Bei der Beratung über die neue Bundesverfassung war in beiden Kammern der Vorschlag des Bundesrates, die Sprachenfreiheit im Grundrechtskatalog (Art. 18) zu verankern, unbestritten. Zuhanden der Materialien präzisierte der Ständerat aber, dass auch dieses Grundrecht, das in erster Linie das Recht auf Gebrauch der Muttersprache im privaten Rahmen meint, gewissen Schranken unterstellt ist. Im Verhältnis zum Staat besteht die gewichtigste Einschränkung in den vorgeschriebenen Amtssprachen des Bundes, des Kantons, des Bezirks oder der betreffenden Gemeinde [30].
Mehr zu reden gab der eigentliche Sprachenartikel (Art. 70). Der Ständerat wollte den von der Landesregierung vorgeschlagenen speziellen und weiter hinten in der Verfassungssystematik angesiedelten Artikel, der die Amtssprachen des Bundes definiert, als Abs. 1 hier aufnehmen. Der Nationalrat ging auf dieses Anliegen vorerst nicht ein, stimmte in 2. Lesung dann aber zu. Inhaltlich wurden die Bestimmungen der geltenden Verfassung übernommen, wonach die Amtssprachen des Bundes Deutsch, Französisch und Italienisch sind, im Verkehr mit Personen rätoromanischer Sprache auch Rätoromanisch.
In beiden Räten hatten bereits die Kommissionen vorgeschlagen, als Gegenstück zur Sprachenfreiheit für den Bereich der Amtssprachen das Territorialitätsprinzip in Abs. 2 festzuschreiben, welches der Bundesrat lediglich im Satz hatte subsummieren wollen, dass die Kantone bei der Festsetzung der Amtssprachen den Sprachfrieden zu wahren haben. Bei zwei fast analogen Formulierungen setzte sich (allerdings erst in der Einigungskonferenz) schliesslich jene des Nationalrates durch, welche die Kantone verpflichtet, zur Wahrung des Einvernehmens zwischen den Sprachgemeinschaften auf die herkömmliche sprachliche Zusammensetzung der Gebiete zu achten und Rücksicht auf die angestammten sprachlichen Minderheiten zu nehmen.
Unbestritten waren die beiden Absätze, wonach Bund und Kantone die Verständigung und den Austausch zwischen den Sprachgemeinschaften fördern (Abs. 3) und der Bund Massnahmen der Kantone Graubünden und Tessin zur Erhaltung und Förderung der rätoromanischen und der italienischen Sprache unterstützt (Abs. 5). Einzig im Nationalrat wurde zu Abs. 3 ein persönlicher Antrag Berberat (sp, NE) gestellt, der die Kantone verpflichten wollte, im Bereich der Volksschule sicherzustellen, dass die neben der Amtssprache des Kantons oder des betreffenden Gebiets unterrichtete Zweitsprache eine Landessprache ist. Als unzulässiger Eingriff in die Schulhoheit der Kantone wurde dieser Antrag mit 90 zu 66 Stimmen abgelehnt.
Ebenfalls im Nationalrat wurde ein Minderheitsantrag Jutzet (sp, FR) für einen zusätzlichen Abs. 4 eingereicht, der vor allem von Abgeordneten aus den zweisprachigen Kantonen Freiburg und Wallis mitgetragen wurde. Er verlangte, dass der Bund die mehrsprachigen Kantone bei der Erfüllung ihrer besonderen Aufgaben unterstützt. Bundesrat Koller warnte vergeblich, mit dieser neuen Bundeskompetenz werde über die Nachführung hinaus gegangen. Die Anerkennung der besonderen Brückenfunktion der mehrsprachigen Kantone überwog; mit 81 zu 77 Stimmen wurde dem neuen Absatz zugestimmt. Im Ständerat wurde in zweiter Lesung dieser Antrag vom Freiburger Aeby (sp) eingebracht und mit 18 zu 15 Stimmen angenommen [31].
Der Kanton Zürich startete einen Pilotversuch mit Frühenglisch und Informatik ab der 1. Klasse der Primarschule. Die Erziehungsdirektion begründete dies mit der Globalisierung von Wirtschaft und Kommunikation und den daraus resultierenden erhöhten Ansprüchen in diesen Bereichen. In der Romandie wurde der Schritt hingegen mit Entrüstung aufgenommen. Die nationalrätliche Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur hielt einstimmig fest, aus staatspolitischen Gründen sollte die erste Fremdsprache eine Landessprache sein; unbestritten war, dass dem Englischen ein angemessener Platz eingeräumt werden muss. Der Bundesrat, der auf einen Rekurs gegen das Zürcher Pilotprojekt nicht eintrat, nahm die Angelegenheit gelassener und ermahnte die Zürcher Behörden lediglich, darüber zu wachen, dass der Französischunterricht ab der 5. Klasse beibehalten und im gesamten Lehrplan die ihm zukommende Bedeutung erfahre [32].
Eine Expertengruppe der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren schlug gewissermassen als Kompromiss vor, dass inskünftig alle Schweizer Schülerinnen und Schüler mindestens zwei Fremdsprachen erlernen sollen, wobei einer Kombination einer Nationalsprache mit Englisch die grössten Chancen eingeräumt wurde. Mit der ersten Fremdsprache sollte schon in den untersten Klassen der Volksschule begonnen werden. Ob dies Französisch oder Englisch sein soll, wurde dabei offen gelassen. Ausgeschlossen wurde allerdings eine einseitige Betonung des Englischen, da dies weder im In- noch im europäischen Ausland mobilitätsfördernd wäre und den Sprachfrieden in der Schweiz gefährden könnte. Angeregt wurde auch, allen Kindern und Jugendlichen im Lauf ihrer Schulzeit eine dritte Landessprache als Fakultativfach anzubieten [33].
Der Voranschlag 1999 des Bundesrates sah vor, auch die Beiträge des Bundes an die Förderung von Kultur und Sprache im Kanton Graubünden der dreiprozentigen Kreditsperre zu unterstellen. Obgleich Bundesrat Villiger aus Gründen der Konsequenz darum bat, bei aller Sympathie für die Anliegen der rätoromanischen Bevölkerung hier keine Ausnahme zu machen, beschloss der Nationalrat dennoch – wenn auch nur knapp mit 76 zu 70 Stimmen – die Subvention nicht zu kürzen. Im Ständerat setzte sich der Bündner Maissen (cvp) vorerst vergebens für die Belange seines Kantons ein. Mit 17 zu 13 Stimmen wurde sein Antrag auf Ausrichtung der vollen Summe abgelehnt. Als dann der Nationalrat aber mit der deutlichen Mehrheit von 88 zu 38 Stimmen an seinem ersten Entscheid festhielt, schwenkte auch die kleine Kammer ein [34].
Auf den 1. August trat die neue deutsche Rechtschreibung in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt wurde sie für den Schulunterricht und die Verwaltung obligatorisch, doch gelten bis August 2005 auch die alten Formen nicht als falsch. In der Frühjahrssession hatte der Nationalrat mit 44 zu 23 Stimmen beschlossen, einer parlamentarische Initiative Keller (sd, BL), mit der die Rechtschreibereform für die Schweiz abgelehnt werden sollte, keine Folge zu geben [35].
 
[30] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 41 f.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 856. Siehe Lit. Mader. Anlässlich der Diskussionen um den neuen Sprachenartikel in der geltenden Bundesverfassung war aus Rücksicht auf die Germanisierungsängste weiter Teile der Romandie noch bewusst auf die Erwähnung der Sprachenfreiheit verzichtet worden, um damit nicht die Gesamtvorlage zu gefährden (SPJ 1994, S. 266 f. und 1995, S. 295 f.).30
[31] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 74, 847 f., 1159 und 1339 ff.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 951 ff., 2025, 2546 und 2598 ff.31
[32] QJ, 26.1. und 27.1.98; NLZ, 7.2.98; Bund, 31.10.98 (BR); NZZ, 6.3. und 24.10.98 (Kommission); SGT, 18.4.98; TA, 7.9. und 19.11.98. Siehe dazu auch Lit. Mittler. Der Staatsrat des Kantons Waadt erklärte in einem Brief an den Zürcher Regierungsrat, eine Deklassierung der Nationalsprachen führe unvermeidlich zu einer Beeinträchtigung der Beziehungen innerhalb der Schweiz (NZZ, 26.1.98). Im Herbst kündigten auch AG und SO an, die Einführung von Frühenglisch zu prüfen (LT, 2.10.98).32
[33] Presse vom 20.8.98.33
[34] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2513 ff. und 2605 f.; Amtl. Bull. StR, 1998, S. 1288 f. und 1334 f.34
[35] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1386 ff.; NZZ, 17.7.98; Presse vom 31.7.98; Bund, 6.8. und 7.8.98.35