Année politique Suisse 1998 : Bildung, Kultur und Medien / Medien
Medienpolitische Grundfragen
Die neue Bundesverfassung wird die Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 16) explizit aufführen – als das Recht umschrieben, Informationen frei zu empfangen, aus allgemein zugänglichen Quellen zu beschaffen und zu verbreiten. Die
Beschränkung des Informationszuganges auf allgemein zugängliche Quellen bedeutet, dass es die Bundesversammlung ablehnte, amtliche Akten grundsätzlich für öffentlich zu erklären. In der grossen Kammer beantragte Nationalrat Jutzet (sp, FR) die Einführung des Öffentlichkeitsprinzips in der Verwaltung. Der Antrag wurde aber als über eine Nachführung der Verfassung hinausgehende Neuerung abgelehnt
[1]. Die in der bestehenden Verfassung in Art. 55 verankerte Pressefreiheit wurde zur
Medienfreiheit (neu Art. 17) ausgedehnt, die auch Radio und Fernsehen sowie die neuen Medien umfasst. Für die traditionellen elektronischen Medien dürfte dies praktisch wenig ändern, da der heutige Radio- und Fernsehartikel (bisher Art. 55bis BV) fast wörtlich übernommen wurde (neu Art. 93). Eine eigentliche Neuerung stellt die
Gewährleistung des Redaktionsgeheimnisses auf Verfassungsebene im neuen Art. 17 dar
[2]. Der Ständerat hatte das Redaktionsgeheimnis nicht als unbeschränktes Grundrecht, sondern nur im Rahmen einer auf Gesetzesstufe vorzunehmenden Regelung geltendes Recht formuliert. Der Nationalrat konnte sich mit dieser Einschränkung nicht einverstanden erklären und setzte sich in der Differenzbereinigung schliesslich durch. Bundesrat Koller hatte hierbei darauf verwiesen, dass auch die Grundrechte nicht unbeschränkt seien, sondern gemäss Art. 32 auf gesetzlichem Weg zur Wahrung des öffentlichen Interesses oder der Grundrechte Dritter eingeschränkt werden können
[3].
Wegen Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen holte die
Bundesanwaltschaft erneut zum Schlag gegen Medienschaffende aus. Ein Strafverfahren lief gegen den “Sonntagszeitung”-Redaktor Martin Stoll aufgrund dessen im April erschienenen Artikels über die
Mossad-Affäre in Bern-Liebefeld
[4]. Im weiteren sassen der Bundeshauskorrespondent vom "Tages Anzeiger", Bruno Vanoni, sowie Denis Barrelet, Bundeshaus-Korrespondent bei “24 Heures“, Medienrechtsprofessor an der Uni Fribourg und neuer Präsident der Unabhängigen Beschwerdeinstanz (UBI), auf der Anklagebank. Die Bundesanwaltschaft untersuchte im Auftrag des EDA, wie vertrauliche Diplomatenpapiere aus Washington im Juni 1997 den Weg auf die Schreibtische der Journalisten und von dort an die Öffentlichkeit gefunden hatten. In den Papieren hatte Botschafter Alfred Defago dem Bundesrat von allzu harschen Reaktionen auf den Bericht von US-Unterstaatssekretär Stuart Eizenstat über die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg abgeraten
[5].
Die Diskussion um die Anwendung des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (
UWG) auf Medien erreichte im Berichtsjahr ihren vorläufigen Höhepunkt mit der Verurteilung der Schweiz durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Verletzung der Meinungsfreiheit im
“Mikrowellen”-Fall
[6]. Der Ständerat lehnte im Dezember eine 1997 von der grossen Kammer überwiesene Motion ab, die eine Revision des UWG unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verlangt hatte. Die kleine Kammer überwies aber ein Postulat seiner Rechtskommission mit gleichem Wortlaut
[7]. Hängig war in diesem Zusammenhang auch eine parlamentarische Initiative Vollmer (sp, BE). Sie verlangt in Form einer allgemeinen Anregung eine Änderung des UWG, um die Einschränkung einer kritischen Medienberichterstattung und unabhängigen Konsumenteninformation zu verhindern. In der Begründung seines Vorstosses kritisierte Vollmer das
“Kassensturz”-Urteil des Bundesgerichts
[8].
Nachdem die Umstände des Todes von Prinzessin Diana eine Welle der Empörung und heftige Kritik am Sensationsjournalismus ausgelöst hatten, erarbeitete der SVJ-Presserat
berufsethische Leitlinien
für den Umgang mit Schock- und People-Bildern. Neu wurden das Bild und die “Wahrung der Menschenwürde” als Begriff explizit in den Ehrenkodex der Schweizer Medienschaffenden miteinbezogen
[9]. Im weiteren empfahl der Presserat den Medienunternehmen,
Regeln für die Behandlung politischer Inserate schriftlich festzulegen. Der Schriftsteller Adolf Muschg war an den Presserat gelangt, weil er in einem Inserat des Zürcher SVP-Nationalrats Christoph Blocher mit dem nazifreundlichen Schweizer Schriftsteller Jakob Schaffner verglichen worden war. Der Presserat kam zum Schluss, dass politische Inserate die Medienschaffenden aus publizistischen Gründen etwas angehen, auch wenn der redaktionelle Teil und der Werbeteil voneinander getrennt sind
[10].
Mit der Einrichtung von
Ombudsstellen erprobten mehrere Zeitungen Möglichkeiten der Selbstkontrolle. Damit reagierten sie auf die seitens des Parlaments laut gewordene Forderung, eine Ombudsstelle – analog derjenigen für Radio und Fernsehen – sei für die Presse einzurichten. Die selbstauferlegte Kontrolle soll einer Verrechtlichung des Journalismus zuvorkommen sowie dem wachsenden Unbehagen gegenüber den Medien und dem Vorwurf medialer Tyrannei begegnen
[11].
[1]
Amtl. Bull. NR, 1998, S. 850 ff.1
[2] Mit dem vom BR per 1.4.98 in Kraft gesetzten Medienstrafrecht wurde ein auf das Strafverfahren beschränkter Quellenschutz für Medienschaffende eingeführt. Die Gewährleistung des Redaktionsgeheimnisses auf Verfassungsebene hingegen bewirkt, dass zukünftig der Quellenschutz unabhängig von der Art des Verfahrens berücksichtigt werden muss (Presse vom 19.2.98. Vgl.
SPJ 1997, S. 333 f.).2
[3]
Amtl. Bull. StR, 1998, S. 41 und 693.3
[4]
SoZ, 30.8.98;
TA, 31.8.98;
BZ, 1.9.98. Zum Bundesgesetz über die Archivierung sowie zum Öffentlichkeitsprinzip in der Verwaltung siehe oben, Teil I, 1c (Verwaltung).4
[5]
TA, 11.2. und 14.2.98;
Lib., 3.11.98; Presse vom 7.11. und 8.11.98.5
[6] Das Bundesgericht hatte einem Umweltbiologen verboten, seine umstrittenen Forschungsergebnisse über die angeblich wissenschaftlich erwiesene gesundheitsschädigende Wirkung von Mikrowellen zu publizieren. Die Strassburger Richter erkannten am 25.8.98 die Meinungsfreiheit für verletzt (Presse vom 26.8.98;
LT, 16.10.98;
BaZ, 9.12.98). Siehe auch Riklin, Franz, “UWG und Medien: Gesetz untauglich”, in
Plädoyer, 1998, Nr. 6, S. 20-22. Riklin fordert als Konsequenz des Strassburger-Urteils eine Gesetzesänderung: Für die Anwendung des UWG auf Dritte soll eine Wettbewerbsabsicht erforderlich sein.6
[7]
Amtl. Bull. SR, 1998, S. 1260 ff. Vgl. auch
SPJ 1997, S. 334.7
[8]
Verh. B.vers., 1998, VI, Teil I, S. 50. Am 8.1.98 hatte das Bundesgericht einen Entscheid des bernischen Handelsgerichts gegen die SRG bestätigt. Der Entscheid verbot der Sendung "Kassensturz" eine isolierte Berichterstattung über das Schmerzmittel "Contra-Schmerz", weil die Nebenwirkungen nicht nur bei diesem Medikament, sondern bei einer ganzen Medikamentenkategorie auftreten. Die SRG musste dem Basler Pharmaunternehmen Dr. Wild + Co. 480 000 Fr. Schadenersatz zahlen. Kritik am Entscheid wurde in Medienrechtskreisen insbesondere dahingehend laut, durch das Urteil werde eine exemplifizierende Berichterstattung, wie sie in den Medien täglich vorkomme, beinahe unterbunden (Presse vom 6.3.98;
TA, 7.3.98;
NZZ, 16.4.98 und 12.2.99).8
[9] Presse vom 21.3.98. Vgl.
Lit. SVJ, S. 29-48.9
[10] Presse vom 11.7.98. Vgl.
Lit. SVJ, S. 94-101.10
[11]
SGT, 1.10.98 und 5.1.99;
NZZ, 2.10. und 4.12.98;
LT, 2.11.98. 1997 hatte der StR ein Postulat überwiesen, das die Prüfung einer Ombudsstelle für Printmedien fordert (siehe
SPJ 1997, S. 337 f.).11
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