Année politique Suisse 1998 : Bildung, Kultur und Medien / Medien
 
Presse
Ende 1997 hatte der Verband Deutschschweizer Verleger den Gesamtarbeitsvertrag (GAV) auf Ende 1998 gekündigt [12]. An seiner Jahrestagung im September des Berichtsjahres verabschiedete seine Mitgliederversammlung einstimmig den Vorschlag für einen neuen Rahmenvertrag. Der Vertragsentwurf erfasste neu sowohl die journalistisch tätigen als auch die im technischen Bereich arbeitenden Personen und sah vor, dass Mindestlöhne direkt in den einzelnen Unternehmen ausgehandelt werden. Im weiteren wollte der Verlegerverband ab dem 1. Januar 1999 einen eigenen Presseausweis für Journalistinnen und Journalisten einführen. Die Journalistenverbände werteten den Vorschlag der Verleger als klare Kampfansage an die Medienschaffenden. Der Vertrag sei für die Gewerkschaften inakzeptabel, führe es doch erfahrungsgemäss zu Lohndumping, wenn die Salärverhandlungen in die Betriebe delegiert würden. Der geplante Presseausweis würde namentlich dem eigenständigen Schweizer Verband der Journalistinnen und Journalisten (SVJ) das Leben noch schwerer machen, als es jetzt schon sei [13]. In der Romandie blieb den Verlegern, Journalistinnen und Journalisten der GAV erhalten. Der SVJ und "Presse Romande", der Westschweizer Verband der Zeitungsverleger, verlängerten den Vertrag bis Ende 2001. Eine Revision des bestehenden GAV soll Statusverbesserungen für freie Medienschaffende und Präzisierungen bezüglich des Sozialplans bringen, den ein Verleger oder eine Verlegerin im Falle kollektiver Entlassungen vorlegen muss [14].
Nach zweijährigen Verhandlungen schlossen sich im Dezember die Gewerkschaft Druck und Papier (GDP), der Schweizerische Lithographenbund (SLB), die Schweizerische Journalistenunion (SJU) und der Angestelltenverband des Schweizer Buchhandels (ASB) zur Mediengewerkschaft Comedia zusammen. Zum ersten Präsident wurde der bisherige GDP-Vorsitzende, Christian Tirefort, gewählt. Der neuen Gewerkschaft gehören rund 20 000 Mitglieder an. Mit rund 18 000 Mitgliedern bilden die drucktechnischen Gewerkschaften GDP und SLB die grosse Mehrheit. Die Journalistinnen und Journalisten sind dagegen nur mit den etwa 1200 Mitgliedern der SJU vertreten, die schon bisher im SGB organisiert waren. Der SVJ mit seinen rund 6000 Mitgliedern und das Schweizer Syndikat Medienschaffender (SSM) mit rund 3000 Mitgliedern lehnten in Urabstimmungen den Beitritt zur Comedia ab, weil sie u.a. einen Gewichtsverlust der Journalistinnen und Journalisten innerhalb einer so grossen Gewerkschaft befürchteten [15]. Der zusätzlich gewonnene Angestelltenverband des Buchhandels mit rund 1100 Mitgliedern konnte die Lücke der Journalisten nicht schliessen [16].
Im Pressebereich schritten die Konzentrationsprozesse voran. Nach Erhebungen des Verbandes “Schweizer Presse” gab es Ende 1998 noch 232 Zeitungstitel (Ende 1997: 238). Davon waren 85 (93) Tageszeitungen und 147 (145) Nichttageszeitungen [17].
Im März gab die “Südostschweiz” (SO) aus dem Churer Verlagshaus Gasser AG ihre Kooperation mit zwei neuen Partnern in St. Gallen und im Fürstentum Liechtenstein bekannt. Neu erschienen die Tageszeitungen “Werdenberger + Obertoggenburger” in Buchs und der “Sarganserländer” in Mels unter dem Titel Südostschweiz”. Diese beiden Blätter stellen den Regionalteil für ihr Gebiet nach wie vor selbständig her, beziehen aber die überregionalen Seiten von der SO-Zentralredaktion. Alle SO-Titel verfügen über einen gemeinsamen Inserateteil. Auch das “Liechtensteiner Vaterland” arbeitete neu auf redaktioneller Ebene sowie im Inseratebereich eng mit der “Südostschweiz” zusammen. Dagegen stellte Gasser die Herausgabe des "Oberländer Tagblatts" ein. Somit wuchs seit dem Start der “Südostschweiz” im Juni 1997 und der daraus hervorgegangenen, zum Teil heftig kritisierten Machtballung der Gasser AG die Zahl der beteiligten Titel auf 13 an. Die "Südostschweiz" deckte den gesamten Kanton Graubünden, den Kanton Glarus und das Fürstentum Liechtenstein sowie weite Teile der Kantone St. Gallen und Schwyz ab. Die tägliche Gesamtauflage der SO wurde auf total 146 000 Exemplare gesteigert [18].
Das "St. Galler Tagblatt" unter Führung der ihrerseits wieder zur NZZ-Gruppe gehörenden Zollikofer AG mochte dem Vormarsch Gassers nicht tatenlos zusehen. Zu Beginn des Berichtsjahres erschien die 1874 gegründete "Ostschweiz" zum letzten Mal; das "St. Galler Tagblatt", seine Regionalausgaben und zwei zuvor via Inseratekombination mit der "Ostschweiz" verbundenen Blätter ("Der Rheintaler", "Wiler Zeitung" / "Volksfreund") präsentierten sich daraufhin in neuem Kleid. Die über- und gesamtregionalen Mantelseiten werden in St. Gallen, die Lokalseiten dezentral produziert. Ende März kam mit der Aufgabe des "Appenzeller Tagblatts" und der Integration der "Appenzeller Zeitung" samt ihrem bisherigen Partnerblatt "Der Toggenburger" in den "Tagblatt"-Verbund eine Umbruchphase im Ostschweizer Pressewesen zum Abschluss, wie es sie in vergleichbarer Weise noch nie gegeben hatte. Die "Appenzeller Zeitung" – nunmehr einzige Tageszeitung für Ausserrhoden – trägt unter dem angestammten Titel und mit weiterhin selbständig gestaltetem Appenzeller Teil künftig den Mantel des "St. Galler Tagblatts". Seit April existierte damit in acht Kantonen (AR, AI, GL, NW, OW, SZ, UR und ZG) keine eigenständige Tageszeitung mehr. Die Auflage aller Zeitungen mit "Tagblatt"-Mantel erreichte total über 120 000 Exemplare [19].
Mit der Fusion der beiden Tageszeitungen "Journal des Genève" (JdG) und "Nouveau Quotidien" (NQ) ging eine Zeitungsepoche und zugleich eine rund siebenjährige Umbruchphase in der Westschweizer Presselandschaft zu Ende. “Le Temps”, die neue Westschweizer Qualitätszeitung, erschien am 18. März zum ersten Mal. Die Redaktionen der beiden Vorgängerzeitungen verschmolzen zu einer Hauptredaktion in Genf. Mit dem Verschwinden des JdG ging die einzige überregionale, nicht vom Lausanner Verlagshaus Edipresse kontrollierte Zeitung der Romandie verloren [20]. Die Entwicklung des Westschweizer Pressewesens blieb aber das ganze Jahr über von zahlreichen Turbulenzen begleitet. In den Chefetagen der Edipresse setzte ein Sesselrücken ein. Angesichts der Entlassung des Chefredaktors der "Tribune de Genève", Guy Mettan, erreichten im Februar Empörung und Verunsicherung bezüglich der Restrukturierungspolitik von Edipresse einen Höhepunkt. Mettan hatte sich kritisch gegen die Fusion geäussert und sich vehement gegen eine Abwertung der "Tribune" zum Lokalblatt zugunsten von "Le Temps" gewehrt [21]. Im weiteren gelangte die Vereinigung "Amis du Jounal de Genève et Gazette de Lausanne" bis an den Europäischen Gerichtshof in Strassburg, um den Entscheid der Wettbewerbskommission rückgängig zu machen, mit welchem die Fusion im Dezember 1997 bewilligt worden war [22]. Der Zeitungszusammenschluss gab schliesslich Anstoss zu einer neuen Genfer Sonntagszeitung. Knapp zwei Monate nach dem Start von "Le Temps" erschien die erste Ausgabe von "Info Dimanche". Das Blatt mit einer Auflage von 50 000 stellte den ersten Versuch dar, das Monopol der Edipresse-Gruppe zu brechen, deren "Le Matin Dimanche" bis anhin den sonntäglichen Pressemarkt der Romandie beherrscht hatte. Angesichts fehlender Werbeeinnahmen und zu wenig Abonnenten drohte "Info Dimanche" im Dezember der Untergang. Das zu 37% von öffentlichen Geldern gespiesene Startkapital war aufgebraucht, doch konnten wider Erwarten neue Mittel aufgetrieben werden. Unklar blieb bis Ende Jahr, woher die finanzielle Hilfe zur Existenzsicherung des Blattes stammte [23].
Eine weitere Sonntagszeitung erhielt auch das Tessin: "Il Caffè della Domenica" erschien erstmals Mitte November mit einer Auflage von 42 000 Exemplaren. Herausgegeben wird sie von der "2R Media SA", an welcher der Locarneser Verleger Rezzonico und der Ringier-Verlag zu je 45% und die Gastrosuisse zu 10% beteiligt sind. Keine Freude an diesem Gemeinschaftsprodukt zeigten angesichts des befürchteten Verlustes von Werbemarktanteilen die drei Tessiner Tageszeitungen "Corriere del Ticino", "La Regione" und "Giornale del popolo" sowie das Gratisblatt "Mattino della domenica" von Lega-Chef Giuliano Bignasca. Nach einer gehässigen Kampagne zu angeblichen Konflikten zwischen öffentlichen und privaten Interessen, welche in der Tessiner Presse rund um die angekündigte Zusammenarbeit zwischen Ringier und Rezzonico geführt worden war, trat "Caffè"-Verwaltungsratsvorsitzender und Ringier-Direktor Marco Solari von seinem Posten als Präsident des Tessiner Verkehrsvereins zurück [24].
Auf dem Berner Medienmarkt lastete der Konkurrenzdruck besonders schwer. Zu Jahresbeginn erwarb die Berner Tagblatt Medien AG (BTM), Herausgeberin der "Berner Zeitung" (BZ), eine Zweidrittelmehrheit an der Schaer Thun AG, die das "Thuner Tagblatt" herausgibt. Infolge einer Intervention der eidgenössischen Wettbewerbskommission, die eine Wettbewerbsverfälschung in der Berner Oberländer Presselandschaft befürchtete, sah die BTM von einer Übernahme der Aktienmehrheit am “Thuner Tagblatt” ab. Stattdessen übernahm sie 49% an der Schaer Thun AG. Das "Thuner Tagblatt", das mit einer Auflage von knapp 19 000 eine traditionsreiche Lokalzeitung im Berner Oberland darstellt, soll weiterhin als eigenständige Zeitung erscheinen – in Konkurrenz zur Oberländer Regionalausgabe der BZ, die knapp 17 000 Exemplare absetzt [25]. Die Intervention der Wettbewerbskommission gab Anlass zu kritischen Diskussionen; auf Verlegerseite herrschte die Ansicht, die Kommission nehme keine blosse Fusionskontrolle nach wirtschaftlichen Kriterien, sondern eine eigentliche Struktursteuerung vor [26]. Die BTM bot zudem – nach einem gescheiterten Versuch, in Biel mit einer BZ-Regionalausgabe Fuss zu fassen – dem Bieler Verlag Gassmann eine Kooperation an und liefert seither redaktionelle Texte an das "Bieler Tagblatt". Unter Zugzwang eröffnete im September die Berner Tageszeitung "Bund" eine eigene Lokalredaktion in Biel [27]. Zwei Monate später übernahm die NZZ-Gruppe die bisherige 45%-Beteiligung der Ringier Gruppe an der “Bund Verlag AG”. Die NZZ hatte bereits auf Anfang 1995 einen gleich grossen Anteil von Ringier übernommen und hält nun eine Beteiligung von 90% [28].
Wenig Erfolg war den linksalternativen Blättern in der Deutschschweiz beschieden. Die zu Jahresbeginn als Nachfolgeprojekt der bereits im November 1997 eingegangenen Tageszeitung "Berner Tagwacht" lancierten Wochenzeitung “Hauptstadt" fiel bei SP-Mitgliedern ebenso durch wie bei der übrigen Leserschaft. Die Abonnementszahl von 4500 Exemplaren blieb weit unter den Erwartungen. Die "Hauptstadt" wurde Ende Juli eingestellt [29]. Die linke Zürcher Zeitung "P.S.", die dreimal wöchentlich erscheinende Nachfolgezeitung von "Volksrecht" resp. "DAZ", wurde nach nur zweimonatigem Bestehen eingestellt. Statt der angestrebten 2000 Abonnemente waren seit ihrer Lancierung im September nur deren 1700 erreicht worden [30]. Die ehemaligen Arbeiterzeitungen "Schaffhauser AZ" und das Winterthurer "Stadtblatt" erschienen aufgrund eines anhaltenden Inseratenschwundes ab Februar nicht mehr dreimal, sondern nunmehr einmal in der Woche. Zu dieser Umstellung wurden die Partnerblätter nicht zuletzt durch den Absprung des Grossverteilers und Hauptinserenten Coop gezwungen [31].
Das Bundesgericht entschied im Streit zwischen der Post und den Schweizer Verlegern um die Zeitungstaxen einstimmig für die Post. Die Beschwerde von vier Zeitungsverlagen ("Neue Zürcher Zeitung", "TA-Media AG", "Bote der Urschweiz", "Schaffhauser AZ"), die sich gegen die neue Umschreibung der Vorzugstaxen für die Zustellung abonnierter Zeitungen durch die Post gerichtet hatte, wurde abgelehnt. Hauptstreitpunkt war die Ausgestaltung der sogenannten Treueprämie, mit welcher Verleger "belohnt" werden, wenn sie den Vertrieb ihrer Zeitungsauflage ganz oder zumindest zur Hälfte der Post übergeben. Das Bundesgericht bestätigte zwar die Praxis der Post, brachte allerdings auch Kritik am Taxsystem an [32]. Der Ständerat lehnte eine Motion von Nationalrat Chiffelle (sp, VD) ab, die eine Änderung des Postverkehrsgesetzes verlangt hatte, um die Ausführungsverordnung so anzupassen, dass Zeitschriften mit einer Auflage unter 1000 in den Genuss günstigerer Taxen kommen als die seit dem 1. Januar 1996 geltenden Taxen für die B-Post [33].
 
[12] Vgl. SPJ 1997, S. 335.12
[13] Presse vom 19.9.98. Zu reden gab an der Jahrestagung insbesondere der Auftritt von SP-Präsidentin Ursula Koch. Koch hielt an einem Podiumsgespräch fest, sie sei besser informiert, wenn sie keine Zeitung lese. Medienschaffende seien narrenfrei, hätten sie doch keinerlei Sanktionen zu befürchten. Wenn es heute jemand wage, gegen das “tyrannische Mediensystem” anzukämpfen, werde dies kurzerhand als Medienschelte abgetan (NZZ, 19.9.98; Presse vom 23.9.98).13
[14] Presse vom 17.12.98. Das Inkrafttreten des revidierten GAV wurde auf den 1.3.1999 festgesetzt.14
[15] Ww, 30.4.98; Presse vom 19.5.98; WoZ, 11.6. und 2.7.98; TA, 26.6.98.15
[16] Presse vom 4.12.98; NZZ, 11.12.99. Vgl. SPJ 1997, S. 335.16
[17] Bund, 4.1.99.17
[18] Presse vom 7.1.98; BüZ, 2.3.98. Vgl. SPJ 1997, S. 335 f.18
[19] NZZ, 5.1. und 30.3.98; SGT, 6.2.98. Vgl. SPJ 1997, S. 336.1
[20] JdG, 31.1.98; Presse vom 7.1., 25.2., 28.2., 18.3. und 19.3.98; NZZ, 8.1.99. Vgl. SPJ 1997, S. 337; Lit. Flaux resp. Maurice.20
[21] Presse vom 9.-11.2.98; NZZ, 14.2.98.21
[22] JdG, 6.2.98; LT, 3.10.98; Lib. 8.10.98; TG, 23.10.98.22
[23] Presse vom 23.2., 11.5., 3.12. und 9.12.98; 24 Heures, 7.12., 14.12. und 19.12.98; LT, 12.12. und 15.12.98.23
[24] Presse vom 30.9., 28.10. und 30.10. sowie 11.-16.11.98; CdT, 27.10., 29.10., 2.11., 12.11., 17.11. und 19.11.98. Die Kritik schoss auf den Verleger Rezzonico sowie auf Ringier-Chef Solari. Rezzonico finanziere seinen Anteil am "Caffè" mit staatlichen Geldern. Gemeint waren die 250 000 Fr., die Rezzonico für seine neue Tourismus-Datenbank "TicinoInfo" vom kantonalen Fonds für Wirtschaftsförderung erhalten hatte.24
[25] Bund, 14.1.98; BaZ, 22.7.98; Presse vom 5.8.98; WoZ, 6.8.98. Am 21.4.98 hatte die Wettbewerbskommission ein Prüfungsverfahren betreffend das Zusammenschlussvorhaben eröffnet (BBl, 1998, S. 2043).25
[26] NZZ, 12.2.99.26
[27] Bund, 1.9.98; Presse vom 2.9.98.27
[28] Presse vom 1.12.98. Vgl. SPJ 1995, S. 303.28
[29] Presse vom 22.1., 19.6., 30.6., 18.7. und 15.8.98; Bund, 29.1.98; BaZ, 2.2.98. Vgl. SPJ 1997, S. 337.29
[30] TA, 12.2., 13.11. und 27.11.98; Presse vom 4.9. und 5.12.98.30
[31] NZZ, 12.1. und 14.1.98; SN, 6.2.98; TA, 17.2.98. Vgl. SPJ 1997, S. 337.31
[32] Presse vom 13.6.98. Vgl. SPJ 1997, S. 337.32
[33] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 447 ff.33