Année politique Suisse 1998 : Bildung, Kultur und Medien / Medien / Radio und Fernsehen
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SRG
Die Zukunft der SRG gab im Berichtsjahr Anlass zu zahlreichen Diskussionen. Das Gebührenmonopol der staatlichen Rundfunkanstalt, die ihr auferlegte staatstragende Rolle und der Service Public standen im Kreuzfeuer der Kritik. Die wachsende Konkurrenz seitens Privater setzte die SRG unter Gewinnmaximierungs- und Regionalisierungs-Druck.
Anfangs Jahr erklärte sich der Bundesrat im Rahmen einer medienpolitischen Aussprache grundsätzlich bereit, privaten Radio- und Fernsehveranstaltern sowie der SRG mehr Spielraum im Markt zuzugestehen. Die Grundversorgung bleibe in der Schweizer Medienpolitik auch künftig die Leitlinie und die SRG das Rückgrat. Auf dem sprachregionalen Markt bestehe aber ebenfalls für private Veranstalter die Möglichkeit, mit ihrem eigenen Angebot einen Beitrag zur publizistischen Vielfalt der schweizerischen Medienlandschaft zu leisten. Die Praxis bei der Konzessionierung von ausländischen Programmfenstern solle überprüft werden, da die defensive Strategie zum Schutz der Schweizer Medien nicht habe verhindern können, dass jährlich mehrere Millionen Franken an Werbegeldern ins Ausland abfliessen. Schliesslich stellte der Bundesrat langfristig eine Totalrevision des Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG) in Aussicht. Damit zeigte er sich bereit, seine restriktive Konzessionierungspolitik, die im Zusammenhang mit der Ablehnung der Gesuche von RTL und Car TV auf das Unverständnis privater Fernsehveranstalter gestossen war, zu überdenken wie auch die Kritik am SRG-Monopol aufzunehmen [37]. Wenige Tage zuvor hatte der Ständerat eine Motion der SVP-Fraktion als Postulat überwiesen, die eine dringliche Revision des RTVG verlangt. Ziel soll dabei ein Systemwechsel in Richtung Liberalisierung, eine Neudefinition der Stellung der SRG ebenso wie des Service Public und eine gebührende Berücksichtigung der Bedürfnisse sprachlicher und kultureller Minderheiten sein [38]. Hingegen wiesen die Räte eine Petition der Schweizerischen Fernseh- und Radiovereinigung für eine Totalrevision des RTVG und eine dringliche Liberalisierung des Radio- und Fernsehmarktes ab, da das aufgeworfene Problem bereits in Prüfung sei [39].
Der im Zusammenhang mit einer Neudefinition der Stellung der SRG stehende umstrittene SRG-Kulturbericht des Bundesrates fand nach jahrelangen Debatten die Gnade des Ständerates, vorwiegend weil dieser die endlosen Diskussionen leid war. Beunruhigt durch den Abbau der Kulturberichterstattung der SRG, hatte das Parlament 1994 vom Bundesrat einen Bericht darüber verlangt, wie das Unternehmen den Kulturauftrag wahrnimmt. In der vorberatenden Kommission des Ständerats waren die Meinungen über die Qualität des Berichts einerseits und über die kulturellen Leistungen der SRG andererseits geteilt. Unbestritten blieb, dass dem Leistungsauftrag der SRG im Kulturbereich weiterhin Beachtung geschenkt werden soll. Lob erhielt das SRG-Projekt “Idée Suisse” [40]. In der Ständeratsdebatte vom 18. März wurde die Stellungnahme des Bundesrates jedoch als ungenügend bezeichnet. Dieser habe sich mit der Analyse eines SRG-internen Berichtes begnügt, der zudem voll von Banalitäten und Platitüden sei. Ständerat Gentil (sp, JU) wollte deswegen den Bericht zur Überarbeitung zurückweisen, zog seinen Antrag aber angesichts der Tatsache zurück, dass auch Bundesrat Leuenberger den Bericht als schlecht bezeichnete [41].
Der Ständerat beauftragte den Bundesrat mit einer Motion Simmen (cvp, SO), gesetzliche Grundlagen für ein Bildungsfernsehen in Verbindung mit den neuen Kommunikationstechnologien zu schaffen. Dieses soll ein Ausbildungsangebot auf der Stufe des Schulfernsehens, ein Weiterbildungsangebot für Erwachsene und ein Bildungsangebot für ein breiteres Publikum umfassen. Die anstehende Revision des RTVG sei der geeignete Ort, um ein solches Projekt zu prüfen und die optimale Lösung vorzuschlagen [42]. In seiner Antwort auf die Einfache Anfrage Simmen (cvp, SO) bezüglich der von SF DRS angekündigten Sparmassnahmen im Bildungsbereich hatte der Bundesrat bereits festgehalten, ein Abbau der heutigen Leistungen der SRG im Bereich Bildung wäre für ihn nicht akzeptabel [43].
Die SRG setzte im Berichtsjahr den Akzent auf regionale Information. In der Westschweiz wurde ab Mitte Jahr ein regionales TV-Programm von einem dezentralisierten Studio in Lausanne geführt und von Büros in Sion, Fribourg, Moutier, Neuenburg, Lausanne und Genf gespiesen. Das Alltagsleben in den Westschweizer Kantonen rückte dabei ins Zentrum des Programms. Damit sollte der Genfer-Filter durchbrochen und regionale Legitimität geschaffen werden [44]. Im Radiobereich verabschiedete sich die SRG von ihrer eher defensiven Haltung und nahm eine aktive Zusammenarbeit mit den Lokalradios auf. Mit der Partnerschaft zwischen RSR und dem Genfer Radio Lac startete der Versuch, sich gemeinsam gegen die ausländische Konkurrenz zu stellen [45]. Gleichzeitig bemühte sich die SRG, ihrer Integrationsaufgabe nachzukommen, zu welcher sie der Bundesrat im Zusammenhang mit der sprachregionalen Aufsplitterung der vierten Fernsehkette ausdrücklich verpflichtet hatte [46]. Die im Zuge der von der SRG lancierten Aktion "Idée Suisse" zur audiovisuellen Überbrückung des Röstigrabens angelegte DRS-Fernsehreihe "Voilà" startete im März mit einer dritten Staffel [47].
Eine für den Schweizerischen Nationalfonds erarbeitete Studie kam zum Schluss, die SRG sei seit Mitte der achtziger Jahre nicht mehr in der Lage, in der Schweiz als Integrator zu wirken – weder in sozialer noch in sprachlicher Hinsicht. Der Konzessionsauftrag an die SRG sei deshalb nicht mehr zu rechtfertigen [48].
Die Veränderungen in der Medienlandschaft führten auch in der italienischen Schweiz zur Diskussion der Stellung der RTSI gegenüber den privaten Sendern. Forderungen nach einer Beteiligung der Privaten sowie nach einer Redimensionierung der öffentlichen Medienanstalt wurden laut. Die Gegenüberstellung zwischen dem relativ kleinen Stammpublikum in der italienischen Schweiz und dem grossen potentiellen Publikum in der restlichen Schweiz und in Norditalien sowie Strukturänderungen im Zuge der Wahl einer Nachfolge für Regionaldirektor Marco Blaser, der im Jahr 2000 sein Amt abgeben wird, setzten dabei besondere Akzente [49].
Im November wurde der Chef der Sendung "Arena", Filippo Leutenegger, zum Chefredaktor von SF DRS ernannt. Erwartungsgemäss folgte der DRS-Regionalratsausschuss dem Antrag von Fernsehdirektor Peter Schellenberg und wählte Leutenegger zum Nachfolger von Peter Studer, der sein Amt als Chefredaktor und Abteilungsleiter "Information und Kultur" Mitte November 1999 altershalber abgeben wird [50]. Einen Monat später ernannte der DRS-Regionalrat Walter Rüegg, Direktionspräsident des Solothurner Druck- und Medienunternehmens Vogt-Schild/Habegger Medien AG und Verwaltungsratspräsident des Privatkanals Radio 32, zum künftigen Radiodirektor. Der 51jährige Ökonom wird die Nachfolge von Andreas Blum am 1. Oktober 1999 antreten [51].
Das Direktorium der Westschweizer SRG-Regionalgesellschaft RTSR traf bezüglich der Nachfolge von Regionaldirektor Guillaume Chenevière einen Null-Entscheid. Keiner der beiden zur Wahl stehenden Kandidaten schien dem Direktorium die Realisierung der anstehenden Restrukturierungsmassnahmen bei TSR sicherzustellen, so dass Chenevière für weitere drei Jahre zur Übernahme dieses Amts verpflichtet wurde. Die TSR-Redaktion reagierte mit Unverständnis und Empörung und blieb das ganze Berichtsjahr von personellen Unruhen geschüttelt. Die Wahl von Gérard Tschopp zum neuen Direktor beim Westschweizer Radio hingegen verlief reibungslos [52].
Die SRG schrieb zum zweiten Mal in Folge rote Zahlen. Nach dem 97er Defizit von 21,7 Mio Fr. belief sich der Fehlbetrag 1998 auf 3,4 Mio Fr. Die Erträge hielten bei einem Mehraufwand von einem Fünftel knapp nicht mit. Das Wachstum des Aufwands war durch den Systemwechsel bei Verbreitung und Gebühreninkasso bedingt. Die kommerziellen Erträge aus Werbung und Sponsoring stiegen um 0,8% auf 267,5 Mio Fr. [53].
Die SRG kündigte eine Erhöhung der Radio- und Fernsehgebühren um 9,8% an (TV: 13,2%, Radio 4,6%). Ihren Antrag an den Bundesrat auf einen Gebührenanstieg um jährlich 40 Fr. pro Haushalt ab dem Jahr 2000 begründete die SRG mit dem politischen Auftrag für den Service Public, der medienspezifischen Teuerung mit explodierenden Sport- und Filmrechten sowie technischen Innovationen wie etwa die Digitalisierung. Mit Befremden nahm die Schweizerische Fernseh- und Radiovereinigung (SFRV) von dieser Ankündigung Kenntnis und verlangte als Alternative zu einer Gebührenerhöhung die sofortige Einstellung des zweiten DRS-Kanals SF 2, da dieser keinen Service Public leiste [54].
Gleich zu Jahresbeginn ging mit der definitiven Einstellung des Telefonrundspruchs (TR) ein Stück Schweizer Radiogeschichte zu Ende. Der TR war das erste Kabelradio der Schweiz gewesen und hatte seinen Höhepunkt Ende der sechziger Jahre mit einer halben Million Abonnenten erlebt. Die bereits 1995 beschlossene Abschaltung erfolgte angesichts der Konkurrenz der Kabelnetze, mit welcher die sechs Monokanäle des TR nicht mehr mithalten konnten [55].
 
[37] Presse vom 26.2.98. Vgl. SPJ 1997, S. 339 und 341.37
[38] Amtl. Bull. StR,1998, S. 422 ff.; NZZ, 19.2.98. Vgl. SPJ 1997, S. 339. Die SVP-Fraktion hatte im Herbst 1997 den umstrittenen BBC/SRG-Film zum Anlass genommen, um mit einer Motion die SRG-Privilegien anzugreifen. In der Frühjahrssession thematisierte StR Reimann (svp, AG) ein weiteres Mal die Schäden, die der Film seiner Meinung nach verursacht habe. Er attestierte aber den SRG-Verantwortlichen, sie hätten ihren Beitrag zur Schadensbegrenzung geleistet (Amtl. Bull. StR, 1998, S. 426; Presse vom 9.3.98; NZZ, 19.3.98).38
[39] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 831; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2160. Vgl. SPJ 1997, S. 339.39
[40] Vgl. SPJ 1997, S. 339.40
[41] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 417 ff.; Presse vom 19.3.98; Ww, 26.3.98. Vgl. SPJ 1997, S. 339.41
[42] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 1369 ff.; NZZ, 18.12.98.42
[43] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 541; NZZ, 8.7.98.43
[44] Lib., 23.6.98; QJ, 26.6.98; Presse vom 13.8.98.44
[45] TG, 17.4. und 31.8.98.45
[46] Vgl. SPJ 1997, S. 339.46
[47] JdG, 18.2.98; NZZ, 23.2.98.47
[48] Vgl. Lit. Wuerth; LT, 26.9.98; NZZ, 2.10.98.48
[49] NZZ, 18.8.98; CdT, 21.10. und 26.10.98.49
[50] Presse vom 17.-20.11.98.50
[51] Presse vom 19.12.98.51
[52] Presse vom 20.6.98; LT, 9.9.98; TG, 17.11.98.52
[53] Bund, 26.2.99.53
[54] Presse vom 8.7. und 27.11.98; NZZ, 28.11.98. Vgl. auch Stellungnahme des BR zum Bericht der GPK-StR betr. die Bundesaufsicht über Radio und Fernsehen am Beispiel der SRG (BBl, 1998, S. 1934 ff. und 4101 ff.).54
[55] Presse vom 5.1.98.55