Année politique Suisse 1999 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
Freisinnig-Demokratische Partei (FDP)
Zweimal hatte die FDP im Berichtsjahr Parolen zu eidgenössischen Abstimmungsvorlagen zu fassen, welche zu erheblichen parteiinternen Konflikten führten. An der FDP-Delegiertenversammlung vom Januar beschloss die Partei
die Nein-Parole zur Hauseigentümer-Initiative. Mit 101 zu 85 Stimmen wurde die Parteileitung knapp auf ihrem Kurs, der Sanierung der Bundesfinanzen Priorität einzuräumen, unterstützt. Nationalrat Dettling (SZ), Präsident des Schweizerischen Hauseigentümerverbandes, hatte vergeblich die Wohneigentumsförderung als "freisinniges Uranliegen" beschworen. Parteipräsident Steinegger und Bundesrat Villiger setzten sich für einen Systemwechsel in der Eigentumsbesteuerung ein. Die Besteuerung des Eigenmietwertes sollte demnach fallen gelassen werden. Gleichzeitig würde der Schuldzinsabzug bei der Steuerbemessung überfällig. Die Unterhaltskosten könnten nach ihrem Vorschlag weiterhin von den Steuern in Abzug gebracht werden. Das Hauptargument Steineggers und Villigers waren jedoch die enormen Kosten, die mit der Annahme der Initiative verbunden wären; ausserdem würden die Erleichterungen hauptsächlich denjenigen zugute kommen, die bereits über Wohneigentum verfügten
[11].
Mit 85 zu 73 Stimmen votierten die Delegierten in Brig Ende April
gegen die Mutterschaftsversicherung und erzürnten mit diesem Entscheid die Mehrheit der Freisinnigen in der Romandie. Viele Westschweizer Parteidelegierte verliessen aus Protest den Saal. Nach den Abstimmungen über die LSVA, die Neat und die Wohneigentumsinitiative war die Partei nun zum vierten Mal innerhalb eines Jahres gespalten. Für Triponez (BE), Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes, war die Vorlage aus Gründen der Finanzierbarkeit nicht akzeptabel. Dagegen bat Ständerätin Lili Nabholz (ZH) um Zustimmung. Die letzte Lücke im schweizerischen Sozialsystem müsse gestopft werden. Alle nichtdeutschsprachigen Kantonalsektionen der FDP beschlossen in der Folge die Ja-Parole zur Mutterschaftsversicherung
[12].
Wohl auch mit dem Hintergedanken, im Wahljahr 1999 ihre Finanzpolitik ins rechte Licht zu setzen, kündigte die FDP die Lancierung einer
Volksinitiative für ein Steuer-Moratorium an. Die FDP befürchtete, dass in Zukunft zu viele einzelne Steuerprojekte an die Urne kämen, deren Auswirkungen auf das Steuersystem insgesamt nicht genügend berücksichtigt würden. Obwohl es in den Kantonen Genf und Jura einige Vorbehalte gab, beschloss die Delegiertenversammlung vom August in Freiburg einstimmig und ohne grosse Diskussion die Lancierung der Initiative
[13].
Mitte Juni gab der Genfer Nationalrat
Tschopp seinen Rücktritt als Vizepräsident der FDP bekannt. Er nannte berufliche Gründe, nutzte die Gelegenheit aber auch zur Kritik an seiner Partei; diese würde die Anliegen der Romandie zu wenig ernst nehmen. Dabei sprach er sich auch für eine Fusion der Westschweizer bürgerlichen Parteien aus, um die Deutschschweizer SVP besser bekämpfen zu können
[14].
Als an der Delegiertenversammlung in Weinfelden (TG) zwei Wochen vor den eidgenössischen Wahlen die FDP-Delegierten einstimmig
die Ja-Parole zu den bilateralen Verträgen mit der EU beschlossen, wurde die Gelegenheit auch zu Attacken auf die SVP genutzt. Nationalrat Mühlemann (TG) forderte seine Parteikolleginnen und -kollegen dazu auf, sich gegen die "Irrläuferpartei" SVP zu wenden und eine geeinte Haltung zu den Bilateralen zu offenbaren. Parteipräsident Steinegger führte an, die wirtschaftliche Situation der Schweiz sei wieder eine "Erfolgsstory", und dies sei in erster Linie der Verdienst der FDP. Die SVP sei an diesem Aufbau nicht beteiligt gewesen; sie habe sich in "Elendspropaganda" und Kampfbereitschaft gegen die angebliche sozialistische Machtübernahme verfangen
[15].
Nachdem die FDP in der ersten Jahreshälfte bereits in den Kantonen Zürich, Luzern und Basel-Land Wählerstimmen und Parlamentssitze an die SVP verloren hatte, überstand sie auch die Nationalratswahlen vom Herbst nicht unbeschadet. Die Verluste hielten sich allerdings mit 2 Sitzen und -0,3% Wähleranteil in Grenzen.
[11] Presse vom 11.3.99. 11
[12]
NZZ, 10.4.99;
Bund, 19.4.99; Presse vom 26.4.99;
SGT, 11.6.99. 12
[13]
BZ, 9.2.99;
SGT, 10.2.99;
SHZ, 23.6.99; Presse vom 30.8.99. Die Unterschriftensammlung begann Ende August. 13
[14] Presse vom 22.5. und 2.6.99. 14
[15] Presse vom 11.10.99. 15
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