Année politique Suisse 1999 : Parteien, Verbände und Interessengruppen
Verbände und übrige Interessenorganisationen
Die vom Vorort geplante Fusion der Spitzenverbände der Industrie stiess beim Arbeitgeberverband auf Widerstand. – Der Bauernverband nahm gemeinsam mit Gewerkschaften, Hilfswerken und Umweltschutzverbänden gegen die Globalisierung der Wirtschaft im Rahmen der WTO Stellung. – Der SGB konnte nur zwei der drei von ihm im Vorjahr lancierten Volksinitiativen einreichen. – Der Hauseigentümerverband unterlag in einer Volksabstimmung mit seiner Initiative, verzeichnete aber einen markanten Mitgliederzuwachs.
 
Für die Parolen der Spitzenverbände zu den eidgenössischen Volksabstimmungen siehe parolen_1999.pdf.
 
Unternehmer
Bei den eidgenössischen Wahlen vom Oktober schafften zwei prominente Repräsentanten von Unternehmerverbänden auf der Liste der FDP des Kantons Bern den Einzug in den Nationalrat: Pierre Triponez, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes, und Johann Schneider-Ammann, Präsident des Verbandes der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (Swissmem).
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Handel und Industrie
Der Ruf nach einer Fusion der drei Dachorganisationen der Industrie und des Handels, Vorort, Arbeitgeberverband und Wirtschaftsförderung (wf), zwecks Verbesserung der Schlagkraft in der politischen Auseinandersetzung, ertönte im Berichtsjahr etwas lauter. Namentlich die Schweizerische Gesellschaft der chemischen Industrie und der Präsident der wf, Heini Lippuner, machten sich für diese Idee stark [1]. Am „Tag der Wirtschaft“, einem erstmals gemeinsam durchgeführten öffentlichen Teil der Jahresversammlungen der drei Organisationen gab Vorortspräsident Leuenberger bekannt, dass seine Organisation diesen Plänen positiv gegenüberstehe und beschlossen habe, einen Zusammenschluss zu prüfen. Skeptisch gab sich hingegen der Arbeitgeberverband. Sein Vorstand sprach sich im Herbst sehr deutlich gegen eine Fusion aus. Nur die Vertreter der Chemie und der Maschinenindustrie stimmten zu; bei den übrigen dominierten die Befürchtungen, dass die Interessen der KMU in einem gemeinsamen Verband nicht mehr so gut berücksichtigt würden. Der Vorort und die wf (die heute weitgehend die Funktion einer Zentrale für Öffentlichkeitsarbeit für den Vorort, den Arbeitgeberverband und weiteren Wirtschaftsorganisationen wie etwa der Bankiervereinigung erfüllt) liessen sich davon nicht entmutigen und beschlossen, die Fusionsidee weiter zu verfolgen. Gegen Jahresende stimmten die Vorstände beider Organisationen einer Vereinigung zu. Dieser Entscheid muss noch von der Delegierten- resp. der Mitgliederversammlung abgesegnet werden; als Termin für den Zusammenschluss wurde der Herbst 2000 ins Auge gefasst [2].
 
Landwirtschaft
Die Delegiertenversammlung des Schweizerischen Bauernverbandes (SBV) sprach sich im November bei nur wenigen Gegenstimmen für die bilateralen Verträge mit der EU aus; das dagegen lancierte Referendum solle nicht unterstützt werden. Die Verträge würden zwar die Konkurrenz auf dem inländischen Agrarmarkt noch verstärken, böten der schweizerischen Landwirtschaft aber auch einen besseren Marktzugang in der EU, von welchem beispielsweise die Käseproduktion durchaus profitieren könnte. Allerdings verlangte der SBV von der Landesregierung, dass die einheimische Agrarwirtschaft mit gleich langen Spiessen kämpfen kann wie ihre ausländische Konkurrenz. Insbesondere sollen die Konsumenten obligatorisch über die Herkunft und die Produktionsmethoden von Agrarprodukten informiert werden müssen. Dies würde es den Verbrauchern erlauben, eine faire Wahl zwischen den inländischen und den nicht zuletzt wegen den in den EU-Staaten zum Teil wesentlich tieferen Standards (z.B. bezüglich Tierhaltung) billigeren ausländischen Erzeugnissen zu treffen. Eine entsprechende Eingabe hatte der SBV bereits zu Jahresbeginn zusammen mit dem Schweizer Tierschutz und Konsumentenorganisationen an den Bundesrat gerichtet [3]. Eine eher seltene Allianz entstand im Vorfeld der WTO-Konferenz in Seattle (USA) vom Dezember. Der SBV verlangte gemeinsam mit den Gewerkschaftsdachverbänden SGB und CNG, Umweltschutzorganisationen und Hilfswerken vom Bundesrat, sich im Rahmen der WTO nicht für eine weitere Liberalisierung der weltweiten Wirtschaftsbeziehungen einzusetzen [4].
 
Arbeitnehmer
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) hatte einige Mühe, die erforderlichen Unterschriften für die von ihm im Vorjahr lancierten resp. mitgetragenen fünf Volksinitiativen zusammenzubringen. Vier davon konnten fristgerecht eingereicht werden: die von ihm lancierten Initiativen für eine Verkürzung der Arbeitszeit resp. die Einführung einer Kapitalgewinnsteuer, sowie die vor allem von Jugendverbänden getragene Lehrstelleninitiative und die Krankenkasseninitiative, bei welcher die SP federführend war. Die vom SGB zusammen mit dem Christlichnationalen Gewerkschaftsbund (CNG) gestartete Initiative für eine obligatorische Krankentaggeldversicherung kam hingegen nicht zustande. Selbstkritisch gab man in Gewerkschaftskreisen zu, sich mit der Beteiligung an fünf mehr oder weniger gleichzeitig lancierten Volksinitiativen übernommen zu haben. Das unter der Bezeichnung „Bouquet für eine sozialere und gerechtere Schweiz“ laufende Paket habe zwar am Anfang motivierend gewirkt, später seien die Aktivisten und Aktivistinnen aber mit der Aufgabe, für fünf verschiedene Projekte Unterschriften zu sammeln, überfordert gewesen [5].
Das Referendum der Lega und der SD gegen die bilateralen Verträge mit der EU wurde von den Gewerkschaften nicht unterstützt. Es bestanden zwar in den Reihen der Gewerkschaften ernsthafte Befürchtungen über Lohndumping nach der Einführung der Freizügigkeit im Personenverkehr. Mit den vom Parlament beschlossenen Begleitmassnahmen, welche insbesondere eine erleichterte Allgemeinverbindlichkeitserklärung für Gesamtarbeitsverträge brachten, wurde diesen Ängsten aber weitgehend Rechnung getragen. Vor den Parlamentsverhandlungen hatte die Gewerkschaft Bau und Industrie (GBI) beschlossen, die Verträge mit einem Referendum zu bekämpfen, falls diese Begleitmassnahmen nicht zu ihrer Zufriedenheit ausfallen würden. Später doppelte der SGB nach, indem er unmittelbar vor Beginn der Ratsdebatten bekannt gab, dass er sein Sekretariat mit der Vorbereitung der Kampagne für ein allfälliges Referendum beauftragt habe [6].
Die Gewerkschaften nutzten die markant verbesserte Konjunkturlage zur Anmeldung von Lohnforderungen. Besonders aktiv waren die Beschäftigten der Baubranche. Ende September demonstrierten in Bern 18 000 Personen für die Forderung der GBI nach 200 Fr. mehr Monatslohn für alle. Es handelte sich dabei um die grösste Manifestation des Berichtsjahres [7].
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Organisation und Mitgliederbewegung
Die Umstrukturierungen beim Bundespersonal (Verselbständigung der Regiebetriebe, neues Personalrecht) und die damit verbundene Diskussion um dessen Rechte und Stellung begünstigten die Einsicht in die Notwendigkeit eines Zusammenschlusses der Verbände der Beschäftigten beim öffentlichen Dienst. Die Delegierten des Eisenbahnerverbandes (SEV) erklärten sich grundsätzlich mit einer Vereinigung mit dem Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) einverstanden. Als zeitliche Perspektive wurde eine Fusion in rund fünf Jahren angegeben. Obwohl einige Westschweizer Sektionen gegen die Vereinigung mit dem von ihnen als zu wenig kämpferisch kritisierten SEV protestierten, stimmten auch die Delegierten des VPOD der Ausarbeitung eines Fusionsprojekts klar zu. Dabei wurde angekündigt, dass man auch die Gewerkschaft Kommunikation des Post- und Telekommunikationspersonals für die neue Organisation gewinnen wolle [8]. Bereits fusioniert haben die im CNG organisierten Verbände des Bundespersonals. Am 29. November fand in Interlaken (BE) der Gründungskongress für die rund 20 000 Mitglieder zählende Gewerkschaft „transfair“ statt, welche die ehemaligen Organisationen ChPTT, Christliche Gewerkschaft Verkehr-Militär-Zoll und den Verband des christlichen Bundespersonals umfasst [9].
Die Mitgliederzahl des SGB war erneut rückläufig. Sie bildete sich um gut 7000 auf 380 139 zurück. Der SMUV wurde mit 92 860 Mitgliedern wiederum zur stärksten Einzelgewerkschaft vor der GBI (92 546), bei welcher der Mitgliederschwund überdurchschnittlich hoch war. Die einzige SGB-Organisation mit einem Wachstum war die 1996 gegründete Unia, welche im Dienstleistungssektor tätig ist und ihre Mitgliederzahl um rund 2500 auf 14 585 steigern konnte [10].
 
Andere Interessenorganisationen
Der Schweizerische Hauseigentümerverband (SHEV) unterlag im Februar mit seiner Initiative für steuerliche Ermässigungen für Hauseigentümer in der Volksabstimmung recht deutlich (58,7% Nein). Vergeblich hatten seine Verbandsspitzen (Präsident Dettling, fdp, SZ und Vorstandsmitglied Baumberger, cvp, ZH) versucht, die Delegiertenversammlungen der FDP und der CVP zur Fassung einer Ja-Parole zu bewegen. Obwohl das Anliegen des SHEV in beiden Parteien an und für sich positiv beurteilt wurde, sprach sich eine (bei der FDP allerdings knappe) Mehrheit für ein Festhalten am finanzpolitischen Ziel des Haushaltausgleichs und damit gegen Steuerreduktionen aus. Fast zwei Drittel der FDP-Kantonalparteien entschieden sich dann trotzdem für die Ja-Parole. Ein lohnender Nebeneffekt der Initiativkampagne ergab sich beim Mitgliederbestand. Dieser betrug Ende Januar 248 531, was einer Steigerung um gut 30 000 innert Jahresfrist entsprach [11]. Anstelle des im Frühjahr 2000 nach 25 Amtsjahren zurücktretenden Hanspeter Götte ernannte der SHEV Ansgar Gmür zum neuen Verbandsdirektor (Generalsekretär) [12].
Analog zu den Gewerkschaften drohten auch die Umweltschutzverbände und der VCS mit einem Referendum, falls die Auswirkungen der bilateralen Verträge mit der EU nicht mit begleitenden Massnahmen (in diesem Fall zum Landverkehrsabkommen) gemildert würden. Nachdem das Parlament diesen Forderungen durch zusätzliche Finanzspritzen für den Bahngütertransport wenigstens teilweise entsprochen hatte, verzichteten sie auf ein Referendum [13].
Die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS), welche nach eigenen Angaben über eine Kriegskasse von knapp 4 Mio Fr. verfügt, rüstete sich für einen weiteren Abstimmungskampf. Noch bevor der Bundesrat seine Botschaft über bewaffnete Armeeeinsätze im Ausland verabschiedet hatte, beschloss sie an ihrer Jahresversammlung vom 8. Mai in Bern, einen allfälligen zustimmenden Entscheid des Parlaments mit dem Referendum zu bekämpfen. Keine Unterstützung durch den AUNS-Vorstand fand das von den SD und der Lega dei Ticinesi lancierte Referendum gegen die bilateralen Verträge mit der EU. Sowohl AUNS-Sekretär Fehr als auch Präsident Blocher (beide svp, ZH) beurteilten die Abkommen zwar negativ, sprachen sich aber gegen eine Teilnahme der AUNS an der Referendumskampagne aus, da die Neutralität und die Souveränität der Schweiz durch die Verträge nicht beeinträchtigt würden [14].
Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) konnte ihre beiden im Frühjahr 1998 lancierten Volksinitiativen für eine Abschaffung der Armee resp. für den Aufbau eines „Zivilen Friedensdienstes“ fristgerecht einreichen. Im Herbst beschloss sie an einer Vollversammlung, das Referendum gegen bewaffnete Auslandeinsätze der Schweizer Armee vorzubereiten [15].
 
Weiterführende Literatur
Baumann, Werner / Moser, Peter, Bauern im Industriestaat, Zürich 1999 (behandelt die schweizerische Entwicklung 1918-1968).
Geissbühler, Simon, „Politische Orientierungen gewerkschaftlich organisierter Arbeiter- und Mittelschichten in der Schweiz“, in Schweizerische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 5/1999, Nr. 2, S. 39-65.
Giugni, Marco / Passy, Florence, Zwischen Konflikt und Kooperation: Die Integration der sozialen Bewegungen in der Schweiz, Chur 1999.
Mathieu Anthamatten, Amadea, Ein Jahrhundert katholische Arbeiterinnenbewegung: 1899-1999, Kriens 1999.
Vuichard, Florence, Das Verschwinden des Schweizers, Bern (Soziologisches Institut, Universität Bern, Lizentiatsarbeit) 1999. (Analyse der AUNS, insbesondere anhand von Interviews mit ihren Mitgliedern; vgl. auch Bund, 8.5.99).
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H.H.
 
[1] SoZ, 16.5.99; TA, 17.5.99; NZZ, 29.5.99.1
[2] Leuenberger: Presse vom 2.6.99. Arbeitgeberverband: LT, 18.9.99; NZZ, 20.9.99. Fusion Vorort/wf: TA, 6.11. und 30.11.99; NZZ, 2.12.99. Vgl. auch BaZ, 17.7.99, Ww, 11.11.99 sowie Lippuner in NZZ, 19.10.99.2
[3] DV: NZZ und TA, 25.11.99. Deklaration: NZZ, 9.1.99.3
[4] LT, 9.11.99.4
[5] Bund, 13.2.99; TA, 11.5. und 22.9.99; NZZ, 4.11.99. Vor Ablaufen der Sammelfristen engagierte der SGB erstmals auch bezahlte Unterschriftensammler (Lib., 14.7.99). Vgl. SPJ 1998, S. 396.5
[6] TA, 10.5.99 und 24h, 11.10.99 (GBI); NZZ, 26.8.99 und 24h, 19.10.99 (SGB). Zu den Begleitmassnahmen siehe oben, Teil I, 7a (Kollektive Arbeitsbeziehungen).6
[7] Bund, 25.9. und 27.9.99.7
[8] NZZ, 29.5.99 (SEV); Lib., 25.6.99 (Opposition im VPOD); NZZ, 26.6.99 (VPOD).8
[9] NZZ, 30.11.99. Vgl. SPJ 1998, S. 397.9
[10] LT, 20.4.00. Zur Gründung der Unia siehe SPJ 1996, S. 371 f.10
[11] Mitgliederzahl: TA, 2.3.99. Zur Abstimmung siehe oben, Teil I, 6c (Wohnungsbau und -eigentum).11
[12] NZZ, 19.11.99.12
[13] NZZ, 14.8. und 28.8.99 (Referendumsdrohung); 24h, 11.10.99 (Verzicht).13
[14] Armee: Presse vom 10.5.99. Bilaterale Verträge: TA, 8.10.99; NZZ, 9.10.99. Vgl. zur AUNS auch Lit. Vuichard.14
[15] NZZ, 27.10. (Initiativen) und 22.11.99 (Referendum). Vgl. SPJ 1997, S. 388 und 1998, S. 398. Siehe zur GSoA auch TA, 26.11.99.15
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