Année politique Suisse 1999 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
Grundrechte
Ende März legte der Bundesrat einen Beschluss betreffend der Ratifizierung des Internationalen Übereinkommens von 1948 über die
Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vor. Gleichzeitig beantragte er entsprechende Strafgesetzänderungen. Diese Ratifizierung war 1996 vom Nationalrat angeregt worden und hatte in der Vernehmlassung ein durchwegs positives Echo erhalten. Es wird damit die Möglichkeit geschaffen, Völkermord nicht nur wie gemäss Genfer Konvention im Zusammenhang mit Kriegsverbrechen zu bekämpfen
[1]. Mit einer Strafe von zehnjährigem bis lebenslänglichem Zuchthaus soll bestraft werden, wer Angehörige verfolgter Menschengruppen tötet oder verletzt, oder wer versucht, solchen Gruppen ihre Lebensgrundlagen zu entziehen. Diese Form des Genozids ausserhalb eines eigentlichen bewaffneten Konflikts hatte in den letzten Jahren in Ex-Jugoslawien und in Ruanda besondere Aktualität erhalten und zur Einrichtung eines Internationalen Tribunals zur Verfolgung der in diesen beiden Ländern begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit geführt. Die neue Strafnorm soll auch gegen ausländische Staatsangehörige angewandt werden, die ihre Tat – was die Regel sein dürfte – im Ausland begangen haben und deren Staat keine Strafverfolgung wünscht. Mit dieser Gesetzesrevision würde ein erster Schritt zur Teilnahme der Schweiz am neu geschaffenen Internationalen Strafgerichtshof in Rom gemacht; erforderlich wäre dazu aber auch noch eine neue Gesetzesbestimmung zur Verfolgung weiterer „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“
[2].
Der
Nationalrat genehmigte in der Dezembersession diese Uno-Übereinkunft einstimmig und hiess auch die entsprechende Strafgesetzrevision gut. Zu diskutieren gab einzig ein Antrag der SVP-Fraktion. Um die Durchführung von Friedenskonferenzen in der Schweiz nicht zu gefährden, wollte sie den Vorbehalt einfügen, dass mutmassliche Täter, welche an einer derartigen Veranstaltung teilnehmen, nicht verfolgt werden müssen. Mit dem Argument, dass die Schweiz in solchen Fällen vom zuständigen Uno-Tribunal von der Verpflichtung zur Strafverfolgung entbunden werden könnte, lehnte die Ratsmehrheit den SVP-Antrag ab
[3].
Der Bundesrat beantragte dem Parlament, die 1974 bei der Ratifizierung der Europäischen Menschenrechtskonvention (
EMRK) gemachten
Vorbehalte und Auslegenden Erklärungen zurückzuziehen. Diese betrafen Art. 6 und bezogen sich auf die Garantie einer öffentlichen Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung, welche die Schweiz im Falle von nach kantonalem Recht durchgeführten Verhandlungen vor Verwaltungsbehörden nicht gewährleisten konnte. Die Auslegenden Erklärungen bezogen sich auf die Garantie einer gerichtlichen Überprüfung von Verwaltungsentscheiden und die Verpflichtung, Angeklagten unentgeltlich Verteidiger und Dolmetscher zur Verfügung zu stellen. Die Rechtssprechung sowohl des europäischen Gerichtshofs als in der Folge auch des Bundesgerichts hatte diese Vorbehalte und Erklärungen als unzulässig beurteilt. Da sie damit ihre Existenzberechtigung verloren haben, schlug der Bundesrat vor, sie auch formal fallenzulassen. Der Nationalrat stimmte diesem Antrag bei zwei Enthaltungen (Föhn, svp, SZ und Beck, lp, VD) zu
[4].
Im Nationalrat setzte sich eine Koalition aus SP und CVP durch und gab auf Antrag seiner Kommission einer parlamentarischen Initiative Fankhauser (sp, BL) Folge, welche – in Form einer Anregung – die Einrichtung einer
Ombudsstelle für Menschenrechte verlangte. Vertreter der SVP, der FDP und der LP hatten den Vorschlag als im Aufgabenbereich zu eingeschränkt und in der Funktionsbeschreibung zu vage bekämpft
[5].
Der Nationalrat lehnte eine von der SVP und der FP unterstützte Motion Gusset (fp, TG) für eine
Revision des Rassismusartikels im Strafgesetzbuch mit 96 zu 42 Stimmen ab. Gusset hatte dabei namentlich ein präzisere Fassung von einzelnen Bestimmungen wie etwa „Propagandaaktionen“ verlangt, da sowohl in der Bevölkerung als auch bei den Gerichten Unklarheit bestehe, welche Äusserungen in welchen Formen nun strafbar seien und welche nicht. Der Bundesrat teilte zwar die Meinung, dass der Rassismusartikel Auslegungsprobleme biete, dies sei jedoch bei neuen gesetzlichen Bestimmungen oft der Fall. Er beantragte, da ihm keine besser geeigneten Formulierungen bekannt seien, erfolgreich die Ablehnung der Motion
[6].
[1] Im April begann vor dem Lausanner Divisionsgericht 2 der Prozess gegen einen mutmasslichen Kriegsverbrecher aus Ruanda, der in der Schweiz um Asyl nachgesucht hatte (
TA, 12.4.99;
NZZ, 14.4. und 23.6.99).1
[2]
BBl, 1999, S. 5327 ff.;
LT und
NZZ, 8.4.99.2
[3]
Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2417 ff.3
[4]
BBl, 1999, S. 3658 ff.;
Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2118 f. Vgl
SPJ 1974, S. 13.4
[5]
Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1983 ff.5
[6]
Amtl. Bull. StR, 1999, S. 109 ff. Vgl. dazu auch die Antwort des BR auf eine Interpellation der Fraktion der FP, welche Massnahmen dagegen verlangte, dass gegen politische Gegner Anzeigen wegen Verstoss gegen das Rassismusgesetz eingereicht würden (
Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1377 ff.).6
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