Année politique Suisse 1999 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Bürgerrecht und Stimmrecht
Die Sozialdemokratin Hubmann (ZH) nahm mit der Ende 1998 erfolgten Einreichung einer von 120 Abgeordneten aus allen Bundesratsparteien unterzeichneten Motion im Nationalrat einen neuen Anlauf für die Erleichterung der Einbürgerungsprozedur. In der Schweiz aufgewachsene Ausländer und Ausländerinnen sollen gemäss diesem Vorschlag auf ein blosses Gesuch hin eingebürgert werden. Für die anderen soll die verlangte Wohnsitzdauer von heute zwölf Jahren halbiert werden; die lokal unterschiedlichen Gebühren sollen zudem auf tiefem Niveau harmonisiert werden. Der Bundesrat kündigte in seiner Antwort im Frühjahr an, dass er in der kommenden Legislaturperiode eine neue Vorlage für die Erleichterung der Einbürgerung von in der Schweiz aufgewachsenen Ausländern präsentieren werde [11].
In der Deutschschweiz, wo in den kleinen Gemeinden und in einigen Kantonen auch in grösseren Orten an der Gemeindeversammlung oder an der Urne über Einbürgerungen entschieden wird, kam es vermehrt zur Ablehnung von Gesuchen von Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien und, allerdings seltener, aus der Türkei, bei gleichzeitiger Einbürgerung von Angehörigen anderer Staaten. Der Präsident der eidgenössischen Rassismuskommission, Georg Kreis, sah darin eine unzulässige und im Widerspruch zur neuen Verfassung stehende Diskriminierung. Er schlug deshalb ein Rekursrecht der Abgewiesenen beim Bundesgericht vor. In seiner Antwort auf eine Interpellation de Dardel (sp, GE) mit ähnlicher Stossrichtung antwortete der Bundesrat, dass die bestehende Rechtsordnung den Bundesbehörden keine Interventionskompetenzen einräume, dass aber eine aus Vertretern des Bundes und der Kantone zusammengesetzte Arbeitsgruppe neue Lösungen für die Einbürgerung von in der Schweiz aufgewachsenen Ausländern überprüft [12]. In der Stadt Zürich tat sich die SVP mit einer Kampagne „gegen die Verschleuderung des Zürcher Bürgerrechtes“ hervor. Ihrer Meinung nach ist der starke Anstieg der Einbürgerungen (von 314 im Jahre 1992 auf 1255 im Jahre 1998) auf eine zu lasche Politik der dafür zuständigen, mehrheitlich linken Gemeindeexekutive zurückzuführen. Zuerst reichte die SVP eine Volksinitiative ein, welche die Wohnsitzpflicht in der Stadt von sechs auf zehn Jahre erhöhen will. Einige Monate später lancierte sie auch noch eine Volksinitiative, die verlangt, dass in der Stadt Zürich das Volk an der Urne über jede einzelne Einbürgerung entscheiden muss. Diese wurde im Dezember eingereicht [13].
Die Zahl der Einbürgerungen blieb mit 21 698 stabil. Wie üblich stammte die Mehrheit der Neubürger und –bürgerinnen aus europäischen Staaten (rund 16 000, davon die Hälfte aus EU- oder EFTA-Staaten). Das grösste Kontingent stellte wie in den vergangenen Jahren Italien (5510), gefolgt von ex-Jugoslawien (2365) und der Türkei (2260) [14].
Als erste Gemeinde in der Deutschschweiz führte das rund 850 Einwohner zählende Wald (AR) das Ausländerstimmrecht ein. Wer seit mindestens zehn Jahren in der Schweiz und davon fünf im Kanton Appenzell Ausserrhoden wohnt, hat dort Anrecht auf das aktive und passive Wahl- und Stimmrecht [15].
 
[11] Verhandl. B.vers, 1999, IV, Teil II, S. 94 f.; TA, 4.3.99.11
[12] TA, 25.6. und 26.6.99; Bund, 16.9.99; LT, 8.11.99; Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2674. Im Kanton Luzern lehnten die Stimmberechtigten in zwei grösseren Gemeinden (Horw und Kriens) Volksinitiativen der SVP resp. der SD für Urnenabstimmungen über Einbürgerungen ab, in einer (Emmen) stimmten sie zu (NLZ und TA, 14.6.99). Vgl. als Beispiele für die Ablehnung von jugoslawischen Gesuchen auch BüZ, 20.4.99 und NZZ, 8.9.99.12
[13] Wohnsitzdauer: TA, 14.4.99. Urnenabstimmung: TA, 22.7.99; NZZ, 7.1.00; SoZ, 26.3.00. Zur Einbürgerungsstatistik der Stadt Zürich siehe NZZ, 8.9.99.13
[14] TA, 23.2. und 1.4.00.14
[15] NZZ, 14.12.99. Vgl. SPJ 1996, S. 23.15