Année politique Suisse 1999 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Politische Manifestationen
Die Zahl der Grossdemonstrationen mit 1000 und mehr Beteiligten war mit 31 im Vergleich zum Vorjahr (32) stabil. Gut die Hälfte davon wurden von in der Schweiz lebenden Ausländern durchgeführt und hatten die Zustände in ihren Herkunftsländern im Visier (9 von Kurden, 5 von Kosovo-Albanern, 2 von Tamilen und 1 von Serben). Zehn Grossdemonstrationen – darunter die beiden grössten mit 18 000 resp. 15 000 Teilnehmern, beide in Bern durchgeführt – betrafen Arbeitsverhältnisse; die Hälfte davon wurde von Staatsangestellten organisiert. Zur grössten Zahl von Grossdemonstrationen kam es auch 1999 in der Bundesstadt Bern (9); in Genf waren es 8, in Zürich 7, in Basel, Lausanne und Neuenburg je 2 und in Liestal (BL) eine [26].
Die Zuspitzung des Konflikts im Kosovo führte in der Schweiz, wo mehr als 200 000 Kosovo-Albaner und rund 40 000 Serben wohnhaft sind, zu einer verstärkten Demonstrationstätigkeit der beiden Volksgruppen und auch zu Befürchtungen über ein Überschwappen der Auseinandersetzung auf schweizerischen Boden. Die Kosovo-Albaner führten, wie seit Jahren üblich, Dutzende von Manifestationen durch, darunter auch wieder einige Grossdemonstrationen [27]. Das Eingreifen der NATO und die Bombardierung von serbischen Städten veranlasste dann auch die Serben, in mehreren Städten auf die Strasse zu gehen. Dabei kam es an einigen Orten zu handgreiflichen Auseinandersetzungen mit Gegendemonstranten aus dem Kosovo; in Genf forderten sie ein (serbisches) Todesopfer [28].
Nach der Verhaftung des Führers der PKK, Öcalan, durch die türkischen Behörden kam es in der Schweiz, wo sich besonders viele kurdische Flüchtlinge aufhalten, zu massiven Protesten. Es fanden, wie auch in mehr als einem Dutzend anderer europäischer Länder, Besetzungsaktionen mit Geiselnahmen statt. Betroffen waren davon die griechische Botschaft resp. das Konsulat in Muri bei Bern resp. Zürich, UNO-Räume und ein SP-Sekretariat in Genf sowie das Sekretariat der FDP-Schweiz in Bern. Nach längeren Verhandlungen konnten diese Besetzungen ohne Gewalt beendet werden. In der Region Basel wurden auch mehrere Brandanschläge auf türkische Geschäfte verübt. Diese Protestaktionen kamen für die Polizei absolut unerwartet. Der Bundesrat wies aber die Kritik von Nationalrat Schlüer (svp, ZH), dass die Geheimdienste anderer Länder besser orientiert gewesen seien als die schweizerischen und deshalb Besetzungen haben verhindern können, als nicht haltbar zurück. Anschliessend an diese unmittelbar nach der Festnahme Öcalans ausbrechenden Gewalttätigkeiten führten Kurden in mehreren Städten Grosskundgebungen durch, die allesamt friedlich abliefen [29].
 
[26] Bern: NZZ, 22.3. (1000/Kurden); TA, 3.4. (5000/Kosovo-Albaner); Bund, 1.6. (3000/Kurden); Bund, 5.7. (2000/Kurden); Bund, 2.9. (15 000/Staatsangestellte); Bund, 20.9. (6000/Homosexuelle); Bund, 27.9. (18 000/Gewerkschafter); Bund, 29.11. (3000/Kurden); Bund, 6.12. (10 000/Tamilen). Genf: TG, 20.1. (2000/Kosovo-Albaner); NZZ, 1.4. (2000/Kosovo-Albaner); TA, 22.2. (3500/Kurden); LT, 5.5. (2500/Schweizer und Kosovaren für liberalere Flüchtlingspolitik); TG, 10.8. (6000/Tamilen); TA, 23.11. (1500/Bauarbeiter); LT, 29.11. (3000/gegen WTO); 24h, 14.12. (2000/Bauarbeiter). Zürich: NZZ, 1.3. (5000/Kurden); NZZ, 15.3. (4000/Serben gegen NATO); Bund, 22.3. (1000/Kurden); TA, 3.4. (1200/Kosovo-Albaner); NZZ, 28.6. (4000/Homosexuelle); TA, 22.11. (3000/gegen ADtranz-Schliessung); TA, 10.12. (3000/Pflegepersonal). Basel: BaZ, 8.3. (3000/Kurden); Bund, 22.3. (1500/Kurden). Lausanne: 24h, 25.5. (2500/Christen); LT, 16.12. (6000/Staatspersonal). Neuenburg: 24h, 14.9. (1500/Staatsangestellte gegen Leistungslohn); Express, 17.9. (1500/Staatsangestellte gegen Leistungslohn). Liestal (BL): BaZ, 13.12. (1500/gegen ADtranz-Schliessung).26
[27] Zu den Quellen für Demonstrationen siehe FN 26.27
[28] NZZ, 30.3. und 1.4.99.28
[29] Presse vom 17.2.-18.2.99; Presse vom 20.2.99 (FDP und Basel). Siehe dazu auch die parlamentarische Debatte in Amtl. Bull. NR, 1999, S. 387 ff. sowie 160 (Schlüer) und die Position des BR in Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1408 f. und Amtl. Bull. StR, 1999, S. 202 ff. Siehe auch die Stellungnahme des BR zur Tätigkeit und Kontrolle von ausländischen extremistischen Organisationen in der Schweiz (Amtl. Bull. NR, 1999, 2670 und Beilagen, VI, S. 268 ff.).29