Année politique Suisse 1999 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte / Regierung
print
Regierungsreform
Die Reaktion auf die vom Bundesrat im Vorjahr in die Vernehmlassung gegebenen Vorschläge für eine Regierungsreform fiel eher negativ aus. Die Variante mit einem gestärkten Bundespräsidenten fand bei den grossen Parteien keinen Anklang, da sich dessen Rolle nicht mit dem weiterhin vorgesehenen Kollegialitätsprinzip würde vereinbaren lassen. Einzig der Vorort und der Bauernverband sowie die Grünen und die Schweizer Demokraten sprachen sich dafür aus. Eine zweistufige Regierung mit Bundesräten als Regierungskollegium und ihnen unterstellten Fachministern fand in abgewandelter Form, d.h. mit einer gleichzeitigen Stärkung des Präsidialamtes, zwar bei der FDP Anklang, nicht aber bei der SVP. Die SP und die CVP wie auch der Gewerkschaftsbund und der Gewerbeverband beurteilten dieses Modell zwar grundsätzlich positiv, lehnten jedoch eine Verkleinerung des Bundesrates auf fünf Mitglieder ab [16]. Der Bundesrat beschloss in der Folge, dieses zweistufige Modell weiter zu verfolgen und sich mit den Details einer solchen Regelung, wie z.B. der Frage, ob die Fachminister vom Parlament oder der Regierung zu wählen seien, auseinanderzusetzen [17].
Die SVP, welche beide Vorschläge der Regierung abgelehnt hatte, versuchte vergeblich, ihr Konzept einer Volkswahl des Bundesrats in das Reformkonzept einzubringen. Keine Zustimmung fand auch eine von Nationalrat Schlüer (svp, ZH) eingereichte parlamentarische Initiative für die Einführung eines Referendums, welches es 50 000 Stimmberechtigten erlauben würde, eine Volksabstimmung über die Abwahl eines amtierenden Regierungsmitglieds anzuordnen. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats lehnte diesen Vorstoss mit 17:3 Stimmen ab und verurteilte ihn in ungewohnt scharfen Worten als Teil der „rechtspopulistischen Versuche, das politische System der Schweiz zu destabilisieren“. In der schriftlichen Begründung vermutete sie hinter dem Vorstoss, der in die gleiche Kategorie einzuordnen sei wie die von den selben Kreisen lancierte sogenannte „Maulkorbinitiative“, Bestrebungen zur Schaffung eines plebiszitären Staatskonzepts, in dem „starke Männer“ mit Berufung auf das Volk und unter Umgehung des Parlaments regieren würden. Das Ratsplenum schloss sich dieser Ablehnung diskussionslos an [18].
Die Funktionsfähigkeit der Landesregierung war weiterhin ein Thema parlamentarischer Vorstösse. Mit knappem Mehr gab der Nationalrat einer parlamentarischen Initiative Loeb (fdp, BE) Folge, welche anregt, dass der Bundesrat in departementübergreifenden Krisensituationen von nationaler Bedeutung einem seiner Mitglieder die Federführung überträgt und, falls er dies unterlässt, vom Parlament dazu aufgefordert werden kann. Die Opposition gegen diesen Entscheid richtete sich primär gegen das damit neu geschaffene Antragsrecht für das Parlament [19]. Der Ständerat überwies eine vom Nationalrat gutgeheissene Motion Müller (fdp, ZH), welche namentlich ein Gesamtkonzept für die Information der Bevölkerung in ausserordentlichen Lagen gefordert hatte, in Postulatsform [20].
Der Nationalrat beschloss auf Antrag seiner Geschäftsprüfungskommission, dass in Zukunft der Bundesrat einen der beiden Vizekanzler zum Regierungssprecher bestimmen soll. Der Bundesrat hatte die gesetzliche Fundierung dieser von ihm bereits ausgeübten Praxis begrüsst [21]. Die grosse Kammer überwies ebenfalls die vom Ständerat im Vorjahr gutgeheissene Motion Respini (cvp, TI) für ein Kommunikationskonzept des Bundes [22].
 
[16] TA, 28.4.99. Vgl. SPJ 1998, S. 41 f.16
[17] Presse vom 20.8.99.17
[18] NZZ und TA, 16.9.99; Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2588 f. Vgl. SPJ 1998, S. 41. Zur „Maulkorbinitiative“ siehe unten, Volksrechte.18
[19] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 180 ff.19
[20] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1320 f.; Amtl. Bull. StR, 1999, S. 1201.20
[21] BBl, 1999, S. 2538 f.; Amtl. Bull. NR, 1999, S. 169 ff.; NZZ, 9.3.99. Die Gesetzesänderung basiert auf einer pa.Iv. der GPK aus dem Jahr 1997 (vgl. SPJ 1997, S. 40 f.).21
[22] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 178 ff. Vgl. SPJ 1998, S. 42.22