Année politique Suisse 1999 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte / Gerichte
Das Parlament beseitigte im Berichtsjahr die letzten Differenzen beim Reformpaket Justizreform. Als erster war der Nationalrat an der Reihe. Bei der Hauptdifferenz, der Einführung einer limitierten Verfassungsgerichtsbarkeit, beantragte die von der SP, der CVP und der FDP-Mehrheit unterstützte Kommissionsmehrheit eine Kompromissformel, welche die im Anwendungsfall zugelassene gerichtliche Überprüfung auf die Konformität mit Grundrechten (anstelle der vom Ständerat beschlossenen Verfassungsmässigkeit) und mit dem direkt anwendbaren Völkerrecht beschränkt hätte. Eine von der SVP und einer Minderheit der FDP gebildete Kommissionsminderheit sprach sich gegen jegliche Verfassungsgerichtsbarkeit aus, während die EVP/LdU-Fraktion die etwas weitere Fassung des Ständerates (Verfassungskonformität) befürwortete. Durchsetzen konnte sich mit 95:56 Stimmen die Version der Kommissionsmehrheit. Bei der Einführung einer Zugangsbeschränkung setzte sich im Sinne eines Kompromisses mehr oder weniger der im Vorjahr von Gross (sp, TG) eingebrachte und damals noch unterlegene Vorschlag durch. Für bestimmte Sachgebiete darf auf gesetzlichem Weg der Zugang zum Bundesgericht ausgeschlossen werden, und bei Auseinandersetzungen, die keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung betreffen, kann eine Streitwertgrenze eingeführt werden. Offensichtlich unbegründete Beschwerden dürfen hingegen nicht ausgeschlossen, sondern müssen mit einem vereinfachten Verfahren beurteilt werden.
Der
Ständerat schloss sich dem Kompromiss bei der Verfassungsgerichtsbarkeit an. In der letzten Runde der Differenzbereinigung vollzog dann jedoch der Nationalrat eine Kehrtwende. Die Angst überwog, dass die Reform in der Volksabstimmung wegen dieser umstrittenen Normenkontrolle scheitern könnte und damit auch die unbestrittenen Anliegen – namentlich die Vereinheitlichung des Prozessrechts und die Entlastungsmassnahmen für die Bundesgerichte – nicht verwirklicht würden. Der Vorschlag, entweder dem Volk eine Variantenabstimmung zu präsentieren oder eine Trennung in zwei Teilbeschlüsse durchzuführen, scheiterte am Veto des Ständerats. Auf Antrag seiner Kommissionsmehrheit beschloss der Nationalrat deshalb die
Streichung der Verfassungsgerichtsbarkeit in jeglicher Form. In der Einigungskonferenz setzte sich dieses Vorgehen durch, womit der Schlussabstimmung nichts mehr im Wege stand. Diese fiel mit 165:8 resp. 37:0 Stimmen deutlich aus. Die LdU/EVP-Fraktion hatte sich aus Protest gegen den Verzicht auf die Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit der Stimme enthalten, und ihr Sprecher, der Berner Zwygart (evp), deponierte eine parlamentarische Initiative für eine Normenkontrolle
[43].
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Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1011 ff., 2048 ff., 2130 und 2305 f.;
Amtl. Bull. StR, 1999, S. 606 ff., 979 f. und 993;
BBl, 1999, S. 8633 ff.;
Verhandl. B.vers., 1999, VI, Teil I, S. 57 (pa.Iv.). Zur Kehrtwende des NR siehe auch
TA, 7.10.99. Vgl.
SPJ 1998, S. 48 f.43
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