Année politique Suisse 1999 : Grundlagen der Staatsordnung / Föderativer Aufbau
 
Territorialfragen
Obwohl die politischen Aufgaben unbestrittenermassen immer komplexer werden und vor allem die kleinen Kantone manchmal an die Grenzen ihrer Problemlösungskapazitäten stossen, sieht eine Mehrheit des Nationalrats noch keinen Grund, die bestehenden Kantonsstrukturen durch neue, grössere politische Einheiten (Regionen) zu ersetzen. Ein Postulat Jutzet (sp, FR), das vom Bundesrat entsprechende Vorschläge verlangt hatte, fand zwar bei der Linken Unterstützung, wurde jedoch auf Antrag des Bundesrats mit 62:49 Stimmen abgelehnt. Die Landesregierung machte in ihrer Begründung nicht nur auf die noch ausbaubaren Instrumente überkantonaler Zusammenarbeit aufmerksam, sondern vertrat auch den Standpunkt, dass die Initiative zu einer derart eingreifenden Reform nicht vom Bund, sondern von den Kantonen aus kommen müsste [7].
Die Idee einer Ersetzung der Kantone durch grossräumigere politische Einheiten fand insbesondere bei den Grünen Anklang. Das vom Parteivorstand propagierte Projekt, dazu noch 1999 eine Volksinitiative zu lancieren, wurde allerdings von der Parteibasis nur lauwarm begrüsst. Die Delegiertenversammlung unterstützte die Idee zwar grundsätzlich, war aber für ein langsameres Vorgehen. Sie beschloss, das Thema vorerst von einer bereits bestehenden parteiinternen Arbeitsgruppe begutachten zu lassen. Im Nationalrat reichte die grüne Fraktion eine parlamentarische Initiative für die Ersetzung der Kantone durch sechs bis zwölf Grossregionen ein [8].
Etwas konkreter wurden derartige Bestrebungen in der Westschweiz. Die im Vorjahr angekündigte kantonale Volksinitiative für eine Fusion der Kantone Genf und Waadt wurde vorerst in der Waadt lanciert und mit rund 13 500 Unterschriften eingereicht. In Genf soll die Unterschriftensammlung im Frühjahr 2000 stattfinden [9].
In der Nordwestschweiz lancierten vier kantonale Parlamentarier aus Basel-Stadt, Basel-Land, Aargau und Solothurn die Idee eines neuen Kantons, der die beiden Basel, das aargauische Fricktal und die solothurnischen Bezirke Dorneck und Thierstein umfassen soll. In Basel-Stadt fand der Vorschlag eine gute Aufnahme: mehr als die Hälfte der Mitglieder des Grossen Rates unterzeichneten eine Motion, welche von der Regierung die Einleitung entsprechender Schritte verlangt. Diese zeigte sich allerdings sehr zurückhaltend und meinte, der Anstoss dazu müsste von den anderen involvierten Kantonen ausgehen. Sie schlug vor, den Vorstoss als Postulat zu überweisen und damit die grundsätzliche Bereitschaft zu einer Fusion anzuzeigen, ohne aber selbst dazu die Initiative zu ergreifen. Der Grosse Rat schloss sich dieser Meinung an [10]. Die Regierungen der drei anderen Kantone sprachen sich gegen entsprechende, von Vertretern der Grünen eingereichte Motionen aus und empfahlen, die kantonale und grenzüberschreitende Zusammenarbeit auszubauen. In den Parlamenten dieser Kantone wurden die Vorstösse mit sehr deutlichen Mehrheiten abgelehnt [11].
Der Kanton Freiburg verfügt seit 1995 als einziger Kanton über ein Agglomerationsgesetz. Dieses erlaubt es, neue, zwischen Gemeinden und Kanton eingeschaltete politische Einheiten zu schaffen, die, anders als Bezirke oder Gemeindeverbände, mit vollständigen demokratischen Institutionen (Exekutive, Legislative und Volksrechte) ausgestattet sind. Welche Aufgaben und Kompetenzen einer Agglomeration zugewiesen werden, ist dabei noch offen. In der Stadt Freiburg und in vier Vorortsgemeinden reichten die Linksparteien im Frühjahr Gemeindeinitiativen ein, welche die Kantonsregierung beauftragen wollen, die Grenzen einer derartigen Agglomeration festzulegen und den Konstituierungsprozess in Gang zu setzen. Gemäss dem Agglomerationsgesetz gelten diese Initiativen als direkter Auftrag, eine vorangehende kantonale Volksabstimmung oder eine parlamentarische Zustimmung ist in dieser vorbereitenden Phase noch nicht erforderlich [12].
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Jura
Die bernische und die jurassische Regierung kamen überein, selbst aktiv zu werden und der Interjurassischen Versammlung Vorschläge zur Stellungnahme zu unterbreiten. Im August legten sie eine Liste mit 26 Projekten vor, welche die beiden Kantone oder ihre Regionen gemeinsam durchführen könnten. Es handelt sich dabei insbesondere um die Zusammenlegung von politischen Institutionen und Ämtern (z.B. Gleichstellungsbüro, Jugenddelegierter), sowie um die gemeinsame Führung von Schulen, Spitälern und kulturellen Einrichtungen [13].
 
[7] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 669 ff. Vgl. allgemein dazu auch NZZ, 8.5.99.7
[8] NLZ, 11.1.99; Blick, 1.2.99; BaZ und TA, 22.3.99; Verhandl. B.vers., 1999, VI, Teil I, S. 38.8
[9] LT, 19.1.99; NZZ, 20.1.99; 24h, 21.1., 20.4., 20.5. (Einreichung) und 16.6.99 (GE). Vgl. SPJ 1998, S. 56.9
[10] Presse vom 4.2.99. BS: BaZ, 20.2. und 4.8.99 (Regierung BS); NZZ, 21.9.99 (Parlament).10
[11] SO: AZ, 13.8. und 16.9.99. AG: AZ, 3.9. und 15.9.99. BL: BaZ, 29.10.99.11
[12] AZ, 22.4.99. Siehe SPJ 1995, S. 48.12
[13] QJ, 28.8.99. Vgl. allg. zur Stimmungslage auch BaZ, 15.11.99.13