Année politique Suisse 1999 : Grundlagen der Staatsordnung / Wahlen / Eidgenössische Wahlen
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Kandidaturen und Listen
Für die Gesamterneuerungswahlen im Parlament stellten sich rund 3000 Kandidatinnen und Kandidaten zur Verfügung. Für die Nationalratswahlen der Proporzkantone [4] wurden insgesamt 2845 (1995: 2834) Anwärterinnen und Anwärter portiert. Bei den Kandidatenzahlen verzeichnete Bern einen markanten Rückgang um 140 Personen; hingegen traten in Zürich 87 Kandidaten mehr an als noch vor vier Jahren. Rund ein Drittel der zur Wahl Stehenden rekrutierte sich aus den Kantonsparlamenten und Kantonsregierungen. Unter den Kandidierenden waren auch 20 Achtzehnjährige. Der älteste Kandidat zählte 90 Jahre und liess sich auf der Zürcher Seniorenliste aufstellen. Das Durchschnittsalter aller Kandidierenden lag bei rund 43 Jahren. Ebenfalls aufstellen liessen sich sechs Auslandschweizerinnen und -schweizer; 26 Personen traten in einem anderen als ihrem Wohnsitzkanton an; der bekannteste davon war der 65jährige Genfer SP-Nationalrat Ziegler, der für die Zürcher Jungsozialisten antrat.
Beinahe in allen Kantonen wurden in diesem Jahr weniger Listen eingereicht als vor vier Jahren. Der stärkste Rückgang vollzog sich im Kanton Bern (-7). Deutlich zugelegt hat dagegen die Listenzahl im Jura (+6); in den Kantonen Solothurn, Wallis und Thurgau wurden jeweils drei Listen mehr eingereicht als noch vor vier Jahren. Insgesamt sank die Listenzahl von 278 Listen im Jahr 1995 auf 268 Listen. Am meisten Listen aufgestellt hatten die SP (39) und die FDP (37). Beide Parteien traten in allen 21 Proporzkantonen an. Die SVP, die vor vier Jahren erst in 16 Kantonen mit Listen präsent war, weitete ihr Engagement auf 20 Kantone aus, allein in Neuenburg traten sie nicht zu den Wahlen an. Die CVP verzichtete auf Kandidaturen in Appenzell-Ausserrhoden, Neuenburg und Schaffhausen. Die Grünen gingen in 13 Kantonen an den Start. In Basel-Stadt, Graubünden und Freiburg waren sie ausserdem auf gemischten Listen anzutreffen. Die SD beschränkten sich auf elf, FP und EVP auf je acht Kantone. Mit der grösseren Listenvielfalt in verschiedenen Kantonen ist auch die Zunahme der Listenverbindungen auf 63 (1995: 56) einfache Verbindungen und 42 (1995: 40) Unterverbindungen zu erklären [5].
983 der Kandidierenden waren Frauen, was einem Anteil von 34,5% entsprach. 1995 erreichte der Frauenanteil 34,9% und war damit unwesentlich höher ausgefallen. Dem grossen Zuwachs an Frauenkandidaturen in den Kantonen Schwyz (+11%) und Baselland (+8%) standen markante Rückgänge in Graubünden (-15%), Luzern (-14%), Solothurn (-7%), Zug und Basel-Stadt (je -6%) gegenüber. Unter den Parteien wiesen die Grünen mit 50,0% die meisten Frauenkandidaturen auf, gefolgt von SP (46,7%), PdA (40,5%), EVP (36,8%), CVP (34,3%), FDP (31,1%), SVP (22,3%), LP (29,8%), SD (24,2%) und schliesslich der Freiheitspartei mit 19,8%. Nationalrätin Franziska Teuscher (gp, BE) hatte in der Frühjahrssession mit einer dringenden Anfrage an den Bundesrat auf die Problematik der Untervertretung von Frauen im Parlament aufmerksam gemacht. In der Wahlanleitung für Kandidierende wurden unter der Federführung des eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann Empfehlungen im Hinblick auf eine Förderung von Frauen bei den Wahlen abgegeben. Auch der "Leitfaden für kandidierende Gruppierungen" der Bundeskanzlei sowie das Kreisschreiben des Bundesrates an die Kantone enthielt solche Empfehlungen [6].
Wie bereits vor vier Jahren trat die linken und grünen Parteien bei den diesjährigen Wahlen geschlossener auf als die Bürgerlichen. Konsequent verbanden SP und Grüne ihre Listen; erweitert wurden die Listenverbindungen in beiden Basel, in Zürich und der lateinischen Schweiz mit PdA, Solidarités oder Alternative. In Zug vereinten sich SP und links-alternative Kräfte auf derselben Liste, während es in Freiburg zu einer Links-Mitte-Allianz zwischen SP, CSP, DSP und Indépendant-Solidarité kam. FDP, CVP und SVP verbanden ihre Listen in den Kantonen Aargau, Baselland und Graubünden, im Thurgau wurde die EVP und in der Waadt die LP zusätzlich in das Wahlbündnis aufgenommen. Zwischen FDP und SVP kam es ausserdem in den Kantonen Bern, Jura und Schaffhausen, zwischen FDP und CVP in den Kantonen Basel-Stadt, Freiburg, Genf und St. Gallen zu Allianzen. Wie bereits vor vier Jahren lehnte die FDP im Kanton Zürich eine Listenverbindung mit der SVP ab. In Bern, Luzern und Zürich schloss sich die CVP mit kleineren Mitte-Parteien (LdU, EVP und CSP) zusammen, hingegen gingen im Wallis Christlichdemokraten und Christlichsoziale, die beide zur CVP gehören, für einmal getrennte Wege. Im Tessin suchte die SVP die Nähe zur Lega, in Zug verband sie sich mit den Unabhängigen Senioren, in Zürich zusätzlich mit der Freiheitspartei. Zu LdU-EVP-Listenverbindungen kam es in Zürich und im Aargau, wo sie ausserdem mit CVP und Europa-Partei resp. mit der EDU zusammenspannten. Die EVP verband sich in Basel-Stadt mit der DSP. Bei den kleinen Rechtsaussenparteien ging die FP, sofern sie nicht mit der SVP verbunden war, mit den SD ein Wahlbündnis ein. Die EDU zog teils mit LdU und EVP (AG, ZH) teils mit kleineren Rechtsbewegungen in den Wahlkampf – so in Bern (mit der „Neuen Liste“), St. Gallen (mit FP und SD) und im Thurgau (mit FP, SD, KVP und KMU) [7].
Im Frühjahr wurde im Nationalrat eine Motion Alder (sp, SG) behandelt, die bei einem Parteiwechsel eines Parlamentariers die Rückgabe des Mandats an die ursprüngliche Wahlliste forderte. Dies hätte zur Folge, dass ein Mitglied nach einem Parteiaustritt aus dem Rat ausscheiden würde. Seit 1995 hatten drei Mitglieder des Nationalrates die Partei- resp. Fraktionsfarbe gewechselt. Die jüngsten Beispiele Giezendanner (svp, AG) und Borer (svp, SO) verursachten der FP durch ihren Übertritt in die SVP zwei Mandatsverluste. Der Bundesrat vertrat die Auffassung, die Kandidatenstimmen seien in aller Regel wesentlich und führten letztlich auch im Proporzwahlsystem zum Mandatsgewinn der Partei. Das Parlament folgte dem Antrag des Bundesrates und wies die Motion mit 71 gegen 12 Stimmen zurück [8].
 
[4] Die Proporzkantone hatten insgesamt 195 Nationalratssitze zu vergeben. Die Kantone AI, GL, OW, NW und UR besetzen jeweils nur einen Sitz und wählen daher im Majorzsystem. Ausser in Innerrhoden kandidierten in allen Majorzkantonen die bisherigen Nationalräte. In Obwalden wurde CVP-Präsident Durrer mangels Gegenkandidaten in stiller Wahl bestätigt (NZZ, 25.10.99).4
[5] NZZ, 14.9.99; TA, 1.7.99; SPJ 1995, S. 51 f.; Lit. SDA/SRG.5
[6] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 778 (Teuscher); NZZ, 14.9.99; TA, 1.7.99; SPJ 1995, S. 51 f.; Lit. SDA/SRG. Vgl. zu Vorschriften bezüglich Frauenanteil auf den Listen oben, Teil I, 1c (Einleitung).6
[7] NZZ, 26.1., 10.8. und 26.10.99; Lit. SDA/SRG.7
[8] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 196 f.8