Année politique Suisse 1999 : Wirtschaft / Geld, Währung und Kredit / Banken
Rund sechs Monate nach dem grundsätzlichen
Vergleich der beiden Schweizer Grossbanken Crédit Suisse und UBS mit den jüdischen Klägern regelten die beiden Seiten auch die Details des Übereinkommens. Die 1,25 Mia US$ sollen an folgende, nicht auf Juden beschränkte Personenkategorien verteilt werden: Anspruchsberechtigte für nachrichtenlose Konten – Personen, deren Vermögenswerte von den Nazis beschlagnahmt worden und zu schweizerischen Institutionen gelangt sind – Zwangsarbeiter in Firmen mit Geschäftbeziehungen zu Schweizer Banken – Zwangsarbeiter in Firmen mit Schweizer Hauptsitz – an der Schweizer Grenze zurückgewiesene und später in Konzentrationslager deportierte Personen. Im Sommer wurde weltweit in Zeitungsinseraten die eventuell Berechtigten aufgerufen, ihre Ansprüche anzumelden. Gleichzeitig wurden auch Personen, die mit dem Vergleich nicht einverstanden sind, und die privatrechtlich gegen Schweizer Institutionen klagen wollen, aufgefordert, sich beim New Yorker Richter Korman zu melden. Knapp 300 Personen machten von dieser „opting out-Klausel“ Gebrauch, während rund 450 000 Forderungen anmeldeten. Kormann erteilte Ende November den Auftrag, einen Verteilplan zu entwerfen
[20].
Der mit der Suche nach nachrichtenlosen Konten bei Schweizer Banken beauftragte „
Volcker-Ausschuss“ konnte die von internationalen Treuhandfirmen durchgeführte kostspielige Durchforstung der Archive und Kontenlisten abschliessen
[21]. Aufgrund von Indiskretionen entstand vor der auf November angekündigten Publikation des Schlussberichts eine Kontroverse in den Medien. Während eine internationale Agentur verbreitete, dass 48 000 nachrichtenlose Konten von Holocaustopfern gefunden worden seien, präzisierten Schweizer Medien, dass in dieser Zahl auch 34 000 geschlossene, also nicht nachrichtenlose Konten enthalten sind. Von den verbleibenden 14 000 habe sich bei 2800 eine Übereinstimmung mit Namen auf der Liste der Holocaustopfer ergeben
[22]. Am 6. Dezember präsentierte die Volcker-Kommission in Zürich ihren
Schlussbericht. Die Zahlen sahen darin nochmals etwas anders aus. In einem Eliminationsverfahren war die Kommission – d.h. die von ihr beauftragten rund 650 Spezialisten – auf 53 886 Konten mit ungeklärtem Schicksal gestossen, bei welchen ein Zusammenhang mit Holocaust-Opfern nicht ausgeschlossen werden kann
[23]. Rund 3200 davon stimmen mit Namen der Holocaustopferliste der Yad Vashem Gedenkstätte in Jerusalem überein und waren bis mindestens 1955 nachrichtenlos. Bei weiteren 7000 stehen zwar die Namen nicht in der Liste, andere Charakteristika (Wohnort in einem Staat der Achsenmächte oder besetzten Gebiet und zehn Jahre Nachrichtenlosigkeit nach Kriegsende) lassen jedoch die Vermutung zu, dass es sich um Holocaustopfer gehandelt haben könnte. Die restlichen 43 000 Konti sind solche, die zwischen 1933 und 1945 von Bewohnern der Staaten der Achsenmächte oder von ihnen besetzten Gebieten eröffnet und seither wieder geschlossen worden sind. Rund 31 000 davon lauteten auf Namen, die auch in der Liste der Holocaustopfer erscheinen; davon war bei rund der Hälfte die Übereinstimmung exakt, bei der anderen Hälfte ungefähr. Die übrigen 12 000 Konti wurden zwischen 1933 und 1945 von Ausländern eröffnet, bei denen sich nicht nachweisen lässt, dass sie aus einem der Staaten der Achsenmächte oder einem besetzten Gebiet stammen und deren Namen nicht mit solchen der Holocaustopferliste übereinstimmen. Über den Wert der Konten der verschiedenen Kategorien machte der Bericht keine konkreten Angaben. Aus den Schätzungen war aber ersichtlich, dass er – auch bei einer Anpassung an heutige Geldwerte und Verzinsung – die von Kritikern der Banken genannten Milliardensummen bei weitem nicht erreicht.
Von den gut 53 000 Konti waren zum Zeitpunkt der Untersuchung nur 2726 noch offen und damit nachrichtenlos; bei den geschlossenen Konti liessen sich grösstenteils (36 000) die Gründe für die Aufhebung nicht mehr rekonstruieren. Im weiteren befinden sich rund 12 000 darunter, bei welchen die Gebühren die Erträge überstiegen haben, und die deshalb in gebührenfreie Sammelkonti überwiesen wurden. Weiterer Abklärung bedürfen diejenigen geschlossenen Konti, welche auf Anweisung der Inhaber an die Behörden anderer Staaten ausbezahlt worden sind, und die 980 Konten, die zugunsten der Bank aufgelöst wurden, ohne dass ersichtlich ist, ob die Bank das Geld in die eigene Tasche gesteckt oder später sich meldenden Berechtigten oder karitativen Organisationen übergeben hat.
Die Volcker-Kommission empfahl der Eidgenössischen Bankenkommission, die
Namen von gut 25 000 Kontoinhabern zu publizieren, da sich darunter Holocaustopfer befinden könnten. Es handelt sich dabei um die Konten der beiden ersten oben erwähnten Kategorien und die rund 15 000 inzwischen aufgelösten Konti, bei denen der Name des Inhabers genau mit einem Namen in der Opferliste übereinstimmt. Grundsätzlich stellte die Volcker-Kommission den Banken ein gutes Zeugnis aus. Es hätten sich keine Hinweise auf systematische Veruntreuung von Guthaben von Holocaustopfern, Vernichtung von Akten oder Diskriminierung ihrer Erbberechtigter finden lassen. In Einzelfällen habe es allerdings bei gewissen Banken fragwürdige und unlautere Praktiken gegeben. Insbesondere sei sie auf 49 Fälle gestossen, in denen die Banken den Erben von Opfern ungenügende oder falsche Informationen gegeben hätten
[24].
Da auch
in Zukunft Probleme mit nachrichtenlosen Konten entstehen können, machte die Bankiervereinigung Vorschläge für eine
gesetzliche Regelung mit zusätzlichen brancheninternen Vorschriften. Auf Gesetzesebene soll eine Ablieferung an den Staat oder an eine gemeinnützige Institution nach einer nachrichtenlosen Frist von 30 bis 40 Jahren eingeführt werden. Als nachrichtenlos soll eine Anlage bereits dann gelten, wenn die Inhaber nicht mehr kontaktiert werden können. Derartige Konten sollen von den Banken weiterhin bewirtschaftet werden und alle Akten müssten über die gesetzliche Frist von zehn Jahren hinaus aufbewahrt werden
[25].
[20] Abschluss: Presse vom 23.1.99;
24h, 28.1. und 11.2.99;
NZZ, 3.4.99. Inserate:
NZZ, 22.6. und 30.6.99. Opting out:
LT, 6.11.99;
NZZ, 30.11.99;
24h, 29.12.99. Vgl.
SPJ 1998, S. 123 ff. Zum Ablauf und den Hintergründen der Affäre siehe
Lit. Weill.20
[21] Die den Banken entstandenen Kosten wurden auf rund 800 Mio Fr. geschätzt (davon 300 Mio Fr. für die externen Revisoren):
Bund, 7.12.99.21
[22]
LT, 4.9.99;
NZZ, 6.9., 7.9. und 10.9.99 (Abdruck der Agenturmeldung);
TA, 10.9.99. Kommissionspräsident Volcker wies die Agenturmeldung als unzutreffend zurück (
TA, 11.9.99).22
[23] Die früher ermittelten nachrichtenlosen Konti von Holocaustopfern (rund 3000 vor 1970 an Behörden der Schweiz, Ungarns oder Polens überwiesene und knapp 7000 in den neunziger Jahren von den Banken publizierte) sind in diesen Zahlen nicht enthalten.23
[24] Presse vom 7.12.99.24
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