Année politique Suisse 1999 : Sozialpolitik / Bevölkerung und Arbeit / Kollektive Arbeitsbeziehungen
Gestützt auf die vom Volk angenommene, zum Zeitpunkt des Urteils allerdings noch nicht in Kraft getretene neue Bundesverfassung sowie auf Bestimmungen des internationalen Rechts (1. Sozialpakt der UNO) bejahte das Bundesgericht einstimmig das
Recht der Arbeitnehmenden auf Streik als äusserstes, aber unentbehrliches Instrument des Arbeitskampfs zur Erzielung einer kollektivvertraglichen Regelung. Im konkreten Fall ging es darum, zu beurteilen, ob eine fristlose Kündigung nach einem Warnstreik zulässig ist oder nicht. Das Bundesgericht entschied, der Arbeitsvertrag bleibe während eines Streiks in seinen zentralen Elementen (Arbeitsleistung und Lohnzahlung) suspendiert, weshalb der Arbeitgeber nicht verpflichtet sei, für die ausgefallene Arbeitszeit ein Salär auszurichten, doch sei ein rechtmässiger Streik andererseits auch kein Grund für eine Kündigung, da er keine Verletzung der Arbeitspflichten darstelle. Das Bundesgericht hielt aber fest, dass ein Streik nur rechtmässig ist, wenn er von einer Gewerkschaft getragen wird und durch einen Gesamtarbeitsvertrag regelbare Ziele verfolgt. „Wilde“ und politische Streiks sind damit vom Schutz durch das Arbeitsrecht ausgeschlossen
[33].
Mit einem Freispruch endete der
erste
Strafprozess um einen Streik. Die Gewerkschaft Bau und Industrie (GBI), die 1995 in La-Chaux-de-Fonds (NE) eine Arbeitsniederlegung mit Betriebsblockade (Streikposten) organisiert hatte, wurde vom zuständigen Gericht vom Vorwurf der Freiheitsberaubung und Nötigung freigesprochen, da gemäss den Richtern rechtmässig Streikende gewaltlose Begleitmassnahmen wie das Aufstellen von Streikposten oder das Besetzen des Firmengeländes ergreifen dürfen, ohne gegen das Gesetz zu verstossen. Drei GBI-Funktionäre, die sich vier Wochen vor dem eigentlichen Streiktag anlässlich eines kurzen Warnstreiks illegal auf dem Firmengelände aufgehalten hatten, wurden hingegen wegen Hausfriedensbruchs zu geringfügigen Geldbussen verurteilt
[34].
Gemäss Angaben des seco fanden 1999 fünf
Arbeitsniederlegung statt, welche den Kriterien der Internationalen Arbeitsorganisation (Streik = Arbeitsverweigerung während mindestens eines Arbeitstags) entsprechen. Davon waren 129 Betriebe betroffen; maximal 2255 Personen beteiligten sich an diesen Ausständen und ungefähr 2675 Arbeitstage gingen verloren
[35].
[33] Presse vom 22.7.99. Siehe
SPJ 1998, S. 231 f.33
[35] „Kollektive Arbeitsstreitigkeiten der Jahre 1998 und 1999“, in
Die Volkswirtschaft, 2000, Nr. 7, S. 56-58.35
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