Année politique Suisse 1999 : Sozialpolitik / Bevölkerung und Arbeit
 
Schutz der Beschäftigten
Gleich wie der Ständerat beschloss auch der Nationalrat, drei Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) betreffend den Arbeitsschutz in Bergwerken, die Arbeitsaufsicht in Handel und Gewerbe sowie die Arbeitsüberwachung der Heimarbeit nicht zu ratifizieren, da diese zwar dem schweizerischen Arbeitsrecht entsprechen, in Detailbestimmungen aber nicht mit diesem übereinstimmen. Zum Abkommen Nr. 177 über die Heimarbeit bat der Rat allerdings in einem überwiesenen Postulat den Bundesrat, zu prüfen, ob nicht durch einen Ausbau der Arbeitsüberwachung in diesem Bereich die Voraussetzungen für eine Ratifizierung geschaffen werden könnten [44].
Auf Antrag des Bundesrates verwehrte der Ständerat der Ratifizierung des Übereinkommens Nr. 181 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über private Arbeitsvermittler seine Zustimmung. Das Abkommen war 1997 abgeschlossen worden und sollte den Schutz der Arbeitnehmerinteressen sichern sowie günstige Rahmenbedingungen für private und öffentliche Arbeitsvermittler schaffen. Bei seinem Antrag berief sich der Bundesrat einmal mehr darauf, dass er – mit Ausnahme der fundamentalen Abkommen der ILO – nur jene Übereinkommen ratifizieren möchte, welche im Zeitpunkt der Ratifizierung bereits dem innerstaatlichen Recht entsprechen. Beim Übereinkommen Nr. 181, dessen generelle Stossrichtung der Bundesrat nicht in Frage stellte, widerspricht das geltende Recht beim Fehlen eines bezahlten Mutterschaftsurlaubs und bei den nicht vorhandenen Vorschriften über einen Mindestlohn den Forderungen des Abkommens [45].
Mit zwei parlamentarischen Initiativen versuchten die beiden SP-Nationalrätinnen Thanei (ZH) und Keller (BS) die grosse Kammer für das Problem der missbräuchlichen Kündigungen zu sensibilisieren. Thanei stellte die Änderungskündigungen zur Diskussion, welche es den Arbeitgebern ermöglichen, den Beschäftigten Lohnreduktionen oder anderweitige Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen aufzuzwingen. Keller verlangte eine Beweislasterleichterung zu Gunsten der gekündigten Person, falls die Entlastung ohne klare Angabe des Kündigungsgrundes erfolgt. Beide Vorstösse wurden abgelehnt, jener von Thanei mit 94 zu 61 Stimmen, jener von Keller mit 87 zu 67 Stimmen, obgleich die vorberatende Kommission beantragt hatte, der Initiative der Baslerin Folge zu geben [46].
Das Gleichstellungsgesetz (GIG), das seit Juli 1996 in Kraft ist, nimmt die Arbeitgeber ausdrücklich in die Pflicht, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor sexueller Belästigung zu schützen. Diese Verpflichtung setzt nicht erst dann ein, wenn in einem Betrieb bereits ein sexueller Übergriff stattgefunden hat und es nur noch nachträglich darum gehen kann, gegen den Belästiger vorzugehen. Vielmehr muss ein Arbeitgeber bereits durch vorbeugende Massnahmen für ein Arbeitsklima sorgen, in dem Sexismus und sexuelle Nachstellungen keine Chance haben. Diesen Grundsatz verdeutlichte das Zürcher Arbeitsgericht, als es zwei von ihrem direkten Vorgesetzten sexuell belästigten Arbeitnehmerinnen nicht nur eine Entschädigung wegen diskriminierender Kündigung und eine Genugtuung zusprach, sondern den Arbeitgeber darüber hinaus zu einer Entschädigung an die Opfer verurteilte, weil er keine Präventivmassnahmen getroffen hatte [47].
Das Bundesgericht befasste sich erneut mit der Arbeit auf Abruf, welche den Gewerkschaften schon lange ein Dorn im Auge ist. Es befand, dass das Gesetz diese prekäre Form der Teilzeitarbeit zwar zulässt, im Gegenzug aber auch den Bestimmungen über den Arbeitsvertrag unterstellt. Selbst wenn sich das Arbeitsvolumen plötzlich verringert, müssen die Kündigungsfristen eingehalten und bis zu deren Ablauf ein Durchschnittsgehalt ausbezahlt werden, auch wenn der betroffene Arbeitnehmer praktisch nicht mehr zum Einsatz kommt [48].
Streitigkeiten wegen fristloser Entlassung gehören zum täglichen Brot der Arbeitsgerichte, um so mehr, als das Obligationenrecht in dieser Frage sehr vage ist. Eine gewisse Klärung brachte hier ein weiteres Urteil des Bundesgerichtes. Danach ist eine schlechte Arbeitsleistung kein Grund für eine fristlose Entlassung. Diese könnte höchstens dann gerechtfertigt sein, wenn dem Arbeitnehmer entweder ein völliges berufliches Versagen nachgewiesen werden kann, oder wenn die schlechte Leistung auf grobem Verschulden beruht. Nicht zulässig ist eine fristlose Kündigung insbesondere dann, wenn der Beschäftigte von Anfang an die nötige berufliche Qualifikation nicht mitbrachte, der Arbeitgeber aber dennoch über längere Zeit das Arbeitsverhältnis aufrecht erhält. Das gleiche gilt, wenn das berufliche Unvermögen darauf zurückzuführen ist, dass am fraglichen Arbeitsplatz die fachlichen Anforderungen gestiegen sind. Dies hat aus Sicht des Bundesgerichtes allein der Arbeitgeber zu verantworten, der sich deshalb an die ordentlichen Kündigungsfristen zu halten hat [49].
 
[44] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 407 ff. Siehe SPJ 1998, S. 233. Zur Ratifizierung von weiteren ILO-Übereinkommen siehe auch oben (kollektive Arbeitsbeziehungen) sowie unten, Teil I, 7d (Kinder und Jugendliche).44
[45] BBl, 2000, S. 330 ff.; Amtl. Bull. StR, 1999, S. 1150 f.45
[46] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1993 ff.46
[47] NZZ, 10.3.99.47
[48] Presse vom 18.2.99. Siehe auch SPJ 1998, S. 223.48
[49] NZZ, 29.1. und 5.5.99.49