Année politique Suisse 1999 : Sozialpolitik / Gesundheit, Sozialhilfe, Sport / Gesundheitspolitik
In der Frühjahrssession lehnte der Ständerat einstimmig eine
Standesinitiative des Kantons Solothurn ab, welche verlangte, die direkte
Spitalsubventionierung der Kantone sei
abzuschaffen und durch eine volle Kostendeckung über die Versicherungspauschale zu ersetzen. Die kleine Kammer begründete ihre Ablehnung der Initiative, deren Stossrichtung durchaus als bedenkenswert erachtet wurde, mit der anlaufenden 2. Teilrevision des Krankenversicherungsgesetzes (siehe unten), bei welcher die Spitalfinanzierung ohnehin zur Diskussion steht. Sie überwies aber ein Postulat ihrer Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK), welches den Bundesrat bittet, die Auswirkungen einer Aufhebung der kantonalen Spitalsubventionierung zu prüfen
[14]. Der Nationalrat lehnte die Standesinitiative ebenfalls ab, nahm aber seinerseits ein analoges Postulat seiner SGK an
[15].
Die Vorschläge zur Spitalfinanzierung, welche der Bundesrat anfangs März im Rahmen der
zweiten Etappe der 1. Teilrevision des KVG in die
Vernehmlassung gab, zeigten, dass seine Vorstellungen zumindest für den Moment nicht in Richtung Abschaffung der kantonalen Beteiligung an den Gesundheitskosten zielen, sondern vielmehr eine
stärkere Einbindung der Kantone anpeilen. In konsequenter Weiterführung eines Urteils des Eidgenössischen Versicherungsgerichts von 1997 schlug er vor, dass die
Kantone inskünftig auch innerkantonal
mindestens die Hälfte der Hospitalisierungskosten in der Grundversicherung übernehmen müssen, selbst wenn der Patient oder die Patientin über eine Zusatzversicherung verfügt. Bisher schrieben die Kantone ihre diesbezüglich ausgerichteten Beiträge nur der allgemeinen Abteilung gut. Die neue Regelung gilt auch für die Behandlung in Privatkliniken, die auf der kantonalen Spitalliste aufgeführt sind. Damit werden die oft teuer produzierenden staatlichen Spitäler dem Konkurrenzdruck der privaten Anbieter ausgesetzt. Subventionsberechtigt sollen neu auch
teilstationäre Aufenthalte (zwischen 2 und 24 Stunden) sein. Damit würden inskünftig nicht mehr die Institutionen (Spital bzw. Klinik) an sich finanziert, sondern die
tatsächlich erbrachten Leistungen abgegolten, was zu mehr Kostentransparenz beitragen soll. Für die Kantone wird dies gemäss BSV zu einem Mehrbelastung zwischen jährlich 640 Mio und 1 Mia Franken führen. Den Krankenversicherern, die sich künftig an den Investitionskosten der Spitäler beteiligen müssten, stünden jährliche Mehraufwendungen zwischen 120 und 220 Mio Fr. ins Haus. Die Krankenkassenprämien in der Grundversicherung dürften sich dadurch um rund 2% erhöhen, wogegen bei den Zusatzversicherungen eine leichte Entspannung eintreten sollte
[16].
Eine im Vorjahr vom Nationalrat überwiesene Motion Gysin (sp, BS), welche vom Bundesrat verlangte, die kantonalen und regionalen
Spitalplanungen in einen gesamtschweizerischen Zusammenhang zu stellen und für die Spitzen- und Zentrumsmedizin einen eidgenössischen Zielkatalog zu erstellen, wurde von der kleinen Kammer, welche föderalistische Bedenken höher einstufte als mögliche Kostendämpfungsmassnahmen, lediglich als Postulat überwiesen
[17].
Erstmals wurden in der Schweiz
mehrere Spitäler wegen Überkapazitäten geschlossen. Den Anfang machte der Kanton
Zürich, welcher Spitäler mit nur geringem Einzugsgebiet ganz abschaffte und die Akutabteilungen von sechs Regionalspitälern aufhob. Der Bundesrat hiess diese Konzentration gut, da mit der Schliessung ganzer Spitäler mehr Kosten gespart werden könnten als mit einem linearen Bettenabbau
[18]. Zu Ende des Frühjahrs gab auch der Kanton
Bern bekannt, mehrere Regionalspitäler schliessen zu wollen
[19]. Einen ganz anderen Weg beschritt der Kanton Thurgau: ab 1.1.2000 sind die vier kantonalen Spitäler nicht mehr dem Gesundheitsdepartement unterstellt, sondern einer privatrechtlichen Aktiengesellschaft; von dieser grösseren Autonomie und unternehmerischen Freiheit erhofft man sich eine kostenbewusstere Führung der Spitäler
[20].
Als Richtungskampf innerhalb des Bundesrates wurde der
Beschwerdeentscheid des EJPD interpretiert, der Privatspitälern in den Kantonen St. Gallen und Basel-Stadt ohne Bedarfsnachweis für Halbprivat- und Privatbetten Anrecht auf Spitallistenplätze und somit auf einen Sockelbeitrag aus der sozialen Krankenversicherung zugestand. Dieser Entscheid löste bei Fachleuten Kopfschütteln aus. Sie meinten, eine sinnvolle und kostendämpfende Spitalplanung sei unter Ausschluss der Halbprivat- und Privatabteilungen nicht machbar. Bei den Kantonen zeigte man sich insbesondere verärgert darüber, dass der gleiche Bundesrat, der jetzt mit der Rechtsprechung des EJPD die
Planung der Kantone durchlöchere, im laufenden Projekt des EDI zur Revision des KVG eine umfassende Planung für alle Spitäler und Abteilungen verlange und vorsehe, dass die Kantone künftig öffentlichen und privaten Spitälern für alle Abteilungen gleiche Subventionen zu leisten haben. Informierte Quellen erklärten, es gebe im Bundesrat zwei widersprüchliche Tendenzen. Innenministerin Dreifuss verlange eine Gesamtplanung aller Spitäler, da nur so die Kosten in der sozialen Krankenversicherung kontrollierbar seien; demgegenüber wolle Bundesrätin Metzler – wie schon ihr Vorgänger Koller – mit der Beschwerdepraxis ihres Departements einen planungsfreien Privatspitalbereich schaffen
[21].
Kategorisch und ohne direkten oder indirekten Gegenvorschlag lehnte der Bundesrat die Denner-
Initiative „für tiefere Spitalkosten“ ab, welche die obligatorische Krankenversicherung auf Spitalaufenthalte beschränken möchte, für welche die Krankenversicherungen – unabhängig von den tatsächlichen Kosten – 250 Fr. pro Tag zu bezahlen hätten. Wer sich weiterhin für die ambulante oder teilstationäre Behandlung versichern möchte, müsste dafür eine freiwillige Zusatzversicherung abschliessen. Gemäss dem Bundesrat würde das Volksbegehren das soziale System der Krankenversicherung untergraben, ohne die Gesundheitskosten zu senken. Es fände eine Entsolidarisierung mit jenen (oft betagten) chronisch Kranken statt, die ständige ärztliche ambulante Betreuung brauchen. Zudem würden sich die Patientinnen und Patienten vermehrt im Spital behandeln lassen, was die Gesundheitskosten ungerechtfertigt anheben würde. Der
Nationalrat folgte in der Wintersession mit seltener Einmütigkeit dem Bundesrat und
verwarf die Initiative mit 154 zu 7 Stimmen
deutlich [22].
Ebenfalls ohne Wenn und Aber beantragte der Bundesrat dem Parlament, die
Volksinitiative „für eine freie Arzt- und Spitalwahl“ Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen, da damit ein wichtiges Steuerungsinstrument zur Dämpfung der Gesundheitskosten und Prämien wegfallen würde. Auch hier schloss sich der Nationalrat mit 151 zu 14 Stimmen ganz klar dem Bundesrat an. Die freie Wahl des Arztes sei zwar im Krankenversicherungsgesetz verankert und ein zutiefst liberales Anliegen, betonten vor allem freisinnige Parlamentarier. Auch die freie Spitalwahl über die Kantonsgrenzen hinweg sei wünschenswert, doch sei eine uneingeschränkte Zulassung von Leistungserbringern nicht bezahlbar, da im Gesundheitswesen der Wettbewerb nur bedingt spiele: nicht der Patient als Nachfrager, sondern der Arzt als Anbieter entscheide darüber, wie viele Leistungen erbracht werden. Der Mitbegründer der Initiative und frischgebackene Aargauer CVP-Nationalrat Zäch, Chef des Paraplegikerzentrums Nottwil (LU), wollte dem Rat zumindest einen indirekten Gegenvorschlag in Form einer gesamtschweizerischen Spitalplanung beliebt machen. Obgleich dieses Ansinnen in den Räten bereits mehrfach zur Diskussion gestanden hatte und durchaus auf Interesse gestossen war, wurde sein Antrag vom
Nationalrat mit 95 gegen 72 Stimmen
abgelehnt [23].
[14]
Amtl. Bull. StR, 1999, S. 174 ff. Der StR diskutierte zudem eine Interpellation Marty (fdp, TI) zu fehlenden Richtlinien über die Buchführung und die Statistiken der Spitäler sowie die Rolle des Preisüberwachers in diesem Zusammenhang (
ibid., S. 176 ff.).14
[15]
Amtl. Bull. NR, 1999, S. 807 f.15
[16]
BBl, 1999, S. 2477 (Einleitung des Vernehmlassungsverfahrens); Presse vom 9.3.99. Siehe
SPJ 1998, S. 236. Die Kantone protestierten umgehend gegen diese Pläne des BR (
LT, 11.3. und 3.4.99;
SHZ, 28.4.99). Die Resultate der Vernehmlassung fielen je nach Standpunkt sehr kontrovers aus. Der BR zeigte sich über die starke Opposition erstaunt, weil Krankenversicherer, Kantone, Ärzte und Spitäler in der vorbereitenden Arbeitsgruppe vertreten gewesen waren (Presse vom 5.5. und 15.6.99). Die Botschaft, die für den Herbst des Berichtsjahres angekündigt war, verzögerte sich deshalb über das Jahresende hinaus (
SHZ, 1.12.99).16
[17]
Amtl. Bull. StR, 1999, S. 568 f. Siehe
SPJ 1998, S. 236.17
[21] Presse vom 3.7.99;
NZZ, 14.12.99; Klaus Müller, „Die aktuelle Rechtsprechung des Bundesrates zur Spitalliste“, in
CHSS, 1999, S. 317-321. Besonders der Basler Regierungsrat kritisierte den Entscheid des EJPD in ungewöhnlich scharfer Weise und forderte den BR auf, darauf zurückzukommen (
BaZ, 9.9.99).21
[22]
BBl, 1999, S. 9679 ff.;
Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2432 ff. und 2484 ff.22
[23]
BBl, 1999, S. 8809 ff.;
Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2432 ff. und 2484 ff.23
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