Année politique Suisse 1999 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen
 
Kinder- und Jugendpolitik
Mitte Juni unterzeichneten die 174 Mitgliedstaaten der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) einstimmig das Übereinkommen Nr. 182 zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit. Damit sollen die zwangsweise Rekrutierung von Kindern zum militärischen Einsatz, die Sklaven- und Zwangsarbeit von Kindern, die Kinderprostitution und der Gebrauch von Kindern für illegale Handlungen wie den Drogenhandel sowie die Übertragung gefährlicher Arbeiten an Kinder international geächtet werden. Für diese besonders verwerflichen Formen der Kinderarbeit wurde das Schutzalter auf 18 Jahre festgesetzt. Um das Übereinkommen ratifizieren zu können, muss die Schweiz Art. 82 des Militärgesetzes anpassen. Zukünftig soll wie in Friedenszeiten auch im Landesverteidigungsdienst die Stellungspflicht erst in jenem Jahr beginnen, in welchem der Jugendliche das 19. Altersjahr vollendet; auf eine Herabsetzung des Alters um einen Jahrgang im Kriegsfall wird verzichtet. Weiterhin möglich bleiben die militärische Vorschulung sowie die vorgezogene Rekrutierung, da diese auf freiwilliger Basis erfolgen. Die Änderung des Militärgesetzes entspricht der schweizerischen Ratifizierungspraxis für ILO-Abkommen. Während generell das innerstaatliche Recht im Zeitpunkt der Ratifizierung bereits angepasst sein muss, können bei der Ratifizierung von fundamentalen Abkommen wie dem vorliegenden kleinere Gesetzesanpassungen gleichzeitig vorgenommen werden. Mit der für internationale Abkommen unüblich kurzen Zeitspanne zwischen Unterzeichnung und Ratifikationsbegehren machte der Bundesrat deutlich, dass ihm dieses Thema ganz besonders wichtig ist. In der Wintersession stimmte der Ständerat der Ratifizierung einstimmig zu [91].
Gleich wie im Vorjahr der Ständerat gab auch der Nationalrat grünes Licht für die Ratifikation des ILO-Übereinkommens Nr. 138 über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung sowie der ergänzenden Empfehlung Nr. 146. Gleichzeitig verabschiedete er die dadurch notwendig werdenden punktuellen Änderungen des Arbeitsgesetzes [92].
Kinder sollen inskünftig bei internationalen Adoptionen besser vor Missbräuchen geschützt sein. Der Bundesrat leitete Mitte Mai dem Parlament seine Botschaft zur Ratifizierung des Haager Adoptionsübereinkommens und zu einem entsprechenden Bundesgesetz zu. Die Vermittlung von Kindern aus der Dritten Welt hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Mittlerweile übersteigt sie die Zahl der rein schweizerischen und innereuropäischen Adoptionen. Das Haager Abkommen ist laut Bundesrat der bisher chancenreichste Anlauf, die Rechtslage dieser Kinder zu verbessern. Es verpflichtet unter anderem zur internationalen Zusammenarbeit. So teilen sich der Herkunfts- und der Aufnahmestaat in die Abklärungen, ob das Kind und die neuen Eltern füreinander geeignet sind. 32 Staaten haben das Übereinkommen ratifiziert, 11 weitere unterzeichnet [93].
Die Stadt Luzern hatte als erste Ortschaft in der Schweiz ein Kinderparlament eingeführt, welches über ein eigenes Budget befinden konnte. Anfangs Februar nahmen die Stimmberechtigten mit dem deutlichem Mehr von über 80% die neue Gemeindeordnung an, welche den Jungen ein Antragsrecht im Stadtparlament sichert. Das Luzerner Kinderparlament ist somit das erste in Europa, welches bei den „Grossen“ mitreden darf. Gegen die von den Grünen eingebrachte Neuerung hatte sich lediglich die SVP gestemmt [94].
 
[91] BBl, 2000, S. 330 ff.; Amtl. Bull. StR, 1999, S. 1150 f. Ende Juni empfing BR Dreifuss von ausbeuterischer Arbeit betroffene Kinder aus Afrika, Südamerika und Asien, welche sich auf einem internationalen Sternmarsch nach Genf, dem Sitz der ILO befanden (Presse vom 28.5.99).91
[92] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 407 ff. Siehe SPJ 1998, S. 297 f. Auch diese Vorlage gehört zu den fundamentalen Abkommen der ILO.92
[93] BBl, 1999, S. 5795 ff.93
[94] Presse vom 8.2.99.94