Année politique Suisse 1999 : Bildung, Kultur und Medien / Medien
 
Neue Kommunikationstechnologien
Gemäss einer Studie der AG für Werbemedienforschung (Wemf) verbringt die Schweizer Bevölkerung durchschnittlich 9,3 Stunden pro Woche im Cyberspace. In der Deutschschweiz nutzten 1999 bereits 2,2 Mio Personen zwischen 15 und 64 Jahren das Internet oder verfügten über einen Personal Computer, was 71% der Gesamtbevölkerung entsprach. Als Eliten-Medium liess sich das Internet also nicht mehr bezeichnen [64].
Der Bundesrat genehmigte den Bericht der Koordinationsgruppe Informationsgesellschaft (KIG), welche 1998 mit dem Auftrag eingesetzt worden war, konkrete Vorschläge mit den jeweiligen Zuständigkeiten für eine Vitalisierung des Telematikstandortes Schweiz und die Abwehr einer Zweiklassengesellschaft bei der Nutzung moderner Informationstechnologien zu präsentieren. Die hundertköpfige Gruppe, der Mitglieder verschiedener Bundesämter, Verbände, Wirtschafts- und Konsumentenschutzorganisationen angehören, legte ein Massnahmenbündel in 75 Aktionsfeldern vor. Die Bildungspolitik, der Umgang mit Kulturgütern, der Daten- und Verbraucherschutz sowie der Verkehr zwischen Bevölkerung und Behörden wurden darin prioritär behandelt. Eine eigentliche Bildungsoffensive zur Sensibilisierung der Nutzerinnen und Nutzer neuer Technologien hinsichtlich deren Chancen und Risiken wollte die Gruppe als Dauerauftrag mit hohem Koordinationsbedarf verstanden wissen; im Kulturbereich sah sie einen Aufwand von 50 Mio Fr. vor, um in den nächsten zehn Jahren rund 12 Millionen Kunstobjekte aus dem Bundesarchiv, der Landesbibliothek, dem Landesmuseum, dem Archiv für Denkmalpflege und den bundeseigenen Kunstsammlungen zu digitalisieren, katalogisieren und so dem Publikum über Internet zugänglich zu machen. Geplant war im weiteren die Einrichtung eines elektronischen „Schalters“ – eine Website, die Bürgerinnen und Bürger an die zuständigen Verwaltungsstellen verweist; vor der Realisierung stand zudem das Ausfüllen der Steuererklärung via Internet. Aus datenschützerischen Gründen nach wie vor umstritten blieb hingegen die Gültigkeit digitaler Unterschriften; eine Verordnung zur Regelung der digitalen Signatur befand sich in Vernehmlassung [65].
Angesichts der befürchteten Schwierigkeiten, die der Jahrtausendwechsel provozieren könnte, beauftragte der Bundesrat das VBS im Oktober relativ kurzfristig mit der Einrichtung eines Lagezentrums, dem hauptsächlich die Informationssammlung auf gesamtschweizerischer Ebene obliegen sollte [66]. Der Mitte 1998 als Delegierter für das Jahr-2000-Problem eingesetzte Ulrich Grete zog Ende Jahr Bilanz über seine Tätigkeit, bei der die Sensibilisierung von öffentlichen und privaten Unternehmen sowie der Bevölkerung für das Problem im Vordergrund gestanden hatte. Grete gab sich – wie schon in seinen im Februar und Mai abgegebenen Prognosen – zuversichtlich, schloss grössere Probleme im Zusammenhang mit dem Sprung der Computer ins Jahr 2000 aus und hielt zu möglichst „normalem“ Verhalten an. Mit seinen Prognosen sollte er Recht behalten. Es kam zu keinen nennenswerten Vorfällen [67].
Bundespolizei, Provider und betroffene Bundesämter setzten angesichts der rechtlichen Unsicherheiten, die sich im Zusammenhang mit der Sperrung von rassistischen und pornographischen Websites ergaben, eine Kontaktgruppe „Zugang zu strafbaren Inhalten im Internet“ ein. Denn trotz dem 1998 in Kraft getretenen neuen Medienstrafrecht standen noch zahlreiche Fragen offen. So sollte die Gruppe nach Lösungen suchen zwischen einer generellen Sperrung gewisser Websites – was einer staatlichen Vorzensur gleichkäme – und einem Delegieren der Überprüfung entsprechender Sites an die Provider – was diesen strafrechtliche Überprüfungssaufgaben auferlegen würde. Besonders umstritten war, ob Provider nur für Websites verantwortlich sind, die auf ihren Servern abgespeichert werden, oder auch für solche, zu denen sie nur den Zugang verschaffen [68].
Im Dezember wurde erstmals ein Provider von einem Schweizer Gericht für den Inhalt, der über seine Anlagen via Internet der weltweiten Benützung zugeführt wird, zur Mitverantwortung gezogen. Das Baselbieter Strafgericht befand eine Providerfirma der Gehilfenschaft zur Datenzerstörung für schuldig und büsste sie mit 300 Fr., nachdem das Bundesamt für Informatik bei der Suche nach einem Virenherd auf die Firma gestossen war. Anleitungen zur Herstellung und Streuung von Viren waren von Kunden des Providers über dessen Leitung ins Internet gelangt. Die Anklage betonte, dass vor allem ein kleiner Daten-Provider, der seine Kundschaft persönlich kenne, Verantwortung für deren Daten mittrage [69].
Seit September fahnden die Schweizerischen Polizeidienste neu gemeinsam und mit internationaler Vernetzung im Internet nach Kriminellen. Der Polizei-Auftritt im Netz dient laut Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) als gesamtschweizerische Anlaufstelle und soll die Kommunikation zwischen Polizei und Bevölkerung erleichtern [70]. Hingegen brach das BAP das rund zweijährige Pilotprojekt „Internet-Polizei“ ab, in dessen Rahmen zwei Beamte – die ersten „Cybercops“ – mit der Beobachtung der Internetkriminalität bzw. dem Absuchen des Internets nach Kinderpornographie und rassistischer Propaganda beauftragt worden waren. Als Grund für den Abbruch gab das BAP Personalknappheit an [71].
Vor dem Hintergrund der offensichtlich werdenden Risiken einer wachsenden Vernetzung der Informatik gründeten Ende Jahr Vertreter von Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft die unabhängige Stiftung InfoSurance mit dem Ziel, Krisen und Gefahren der neuen Informationstechnologien zu erkennen und zu analysieren. Die Stiftung soll als vertrauliche Meldestelle und als Frühwarnorgan fungieren sowie langfristig den Aufbau eines Kontakt- und Alarmnetzes ermöglichen. Neben dem Bund gehören führende Kommunikations- und Transportunternehmen zu den ersten Geldgebern der neuen Institution [72].
 
[64] NZZ, 15.12.99 und 8.2.00. Betreffend Informatik-Ausbildungsprogramme in der obligatorischen Schulzeit und in der Berufsbildung sowie Schule und Internet siehe oben, Teil I, 8a (Grundschulen/Berufsbildung).64
[65] Presse vom 23.7.99; NZZ, 24.7.99; Bund, 2.8.99; vgl. SPJ 1998, S. 344 sowie oben, Teil I, 1b (Zivilrecht).65
[66] TA, 31.12.99.66
[67] Presse vom 12.2., 27.5. und 30.9.99; NZZ, 10.12.99; Bund 17.12.99; Pressemitteilung des EFD vom 25.1.2000; vgl. SPJ 1998, S. 344. Siehe auch die Stellungnahmen des BR zu diversen parlamentarischen Anfragen in diesem Zusammenhang (Amtl. Bull. NR, 1999, S. 781 f. und 2474 sowie Amtl. Bull. SR, 1999, S. 394 ff.).67
[68] SZ, 29.1. und 5.8.99; Bund, 30.1.99; NZZ, 21.5.99; TA, 17.11.99.68
[69] BaZ, 17.12.99.69
[70] LT, 16.9.99; NZZ, 17.9.99.70
[71] TA, 30.12.99.71
[72] Bund, 9.8.99; TA, 17.11.99; SGT, 24.11.99.72