Année politique Suisse 2000 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Verbände und übrige Interessenorganisationen
 
Arbeitnehmer
Zu einem zunehmend wichtigen Kampffeld für den Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) wurde die Privatisierung bisher vom Staat oder seinen Betrieben erbrachter Leistungen, die Liberalisierung von Märkten und die Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen beim Staatspersonal. Bereits im Januar beantragte der VPOD dem SGB, das Referendum gegen das in der Frühjahrssession von der Bundesversammlung fertig zu beratende neue Personalrecht des Bundes zu ergreifen. Der VPOD bemängelte insbesondere den ungenügenden Kündigungsschutz infolge der Aufhebung des Beamtenstatus, die Einführung einer Leistungskomponente bei der Lohnfestsetzung und die Möglichkeit, bestimmte Personalkategorien dem OR zu unterstellen. Nach der parlamentarischen Verabschiedung des Gesetzes ergriffen der VPOD und der Föderativverband des Personals öffentlicher Verwaltungen und Betriebe das Referendum; der SGB unterstützte sie dabei. Der Christlichnationale Gewerkschaftsbund (CNG) und die ihm angehörende Organisation des Personals öffentlicher Dienste (transfair) beteiligten sich hingegen nicht daran; sie begrüssten das neue Gesetz als notwendigen und auch für die Beschäftigen positiven Modernisierungsschritt. Gleich argumentierte auch die Vereinigung der schweizerischen Angestelltenverbände (VSA). In der Volksabstimmung unterlag der SGB, welcher nur bei der SP und der GP Unterstützung fand, deutlich. Gegen Jahresende zeichnete sich ab, dass die Gewerkschaften des SGB auch die von Bundesrat und Parlament angestrebte Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes mit einem Referendum bekämpfen würden [11].
Nachdem der SGB bereits während der parlamentarischen Beratungen im Herbst 1999 gedroht hatte, die bilateralen Verträge mit der EU zu bekämpfen, wenn die arbeitsmarktlichen Begleitmassnahmen unbefriedigend ausfallen würden, erneuerte er seine Drohung im Berichtsjahr, als die Verhandlungen im Baugewerbe über einen neuen Gesamtarbeitsvertrag ins Stocken gerieten. Nachdem die Situation dank der Vermittlung durch Wirtschaftsminister Couchepin deblockiert war, und die Vertragsverhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden konnten, gab der SGB die Ja-Parole zu den Abkommen mit der EU aus [12].
Umstritten war im SGB die Parole zur Verkehrshalbierungsinitiative, über welche das Volk im März abstimmte. Verbände der Angestellten des öffentlichen Verkehrs (Eisenbahner, VPOD) waren für die Initiative, der SMUV, bei dem auch die Beschäftigten der Automobilbranche organisiert sind, sprach sich für Ablehnung aus; der SGB entschied sich für Stimmfreigabe [13]. Die Volksinitiative der SP für eine Halbierung der Militärausgaben (Umverteilungsinitiative) wurde hingegen vom SGB geschlossen unterstützt. Dies war bei früheren vergleichbaren Armeevorlagen (z.B. Halbierungsinitiative) noch nicht der Fall gewesen; die Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen war nach der massiven Reduktion der schweizerischen privaten und staatlichen Rüstungsindustrie offensichtlich nicht mehr sehr gross [14].
Wie bereits 1999 war auch im Berichtsjahr der SGB für die Durchführung der landesweit grössten Demonstration verantwortlich. Anfangs November protestierten auf dem Bundesplatz in Bern rund 20 000 Gewerkschafter für Lohnerhöhungen sowie für eine Flexibilisierung des AHV-Alters und gegen das neue Bundespersonalgesetz (die beiden letzten waren Abstimmungsthemen im Dezember) [15].
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Organisation und Mitgliederbewegung
Der Mitgliederbestand des SGB hat 2000 erstmals seit 1990 wieder zugenommen. und zwar um 6795 (+1,8%) auf 386 979 Personen. Zu verdanken war dieser Zuwachs dem Beitritt des knapp 15 000 Mitglieder zählenden Bankpersonalverbandes als assoziiertes Mitglied. Die beiden grössten Einzelgewerkschaften, GBI und SMUV, mussten weitere Einbussen verzeichnen und zählten noch je ca. 91 000 Organisierte [16].
Das unter dem Namen Gewerkschaftshaus seit einiger Zeit laufende Projekt einer Fusion des SMUV und der GBI kam im Berichtsjahr einen kleinen Schritt voran. An den parallel abgehaltenen Jahreskongressen beschlossen die Verbände, das Projekt weiter zu verfolgen. Beim SMUV geschah dies allerdings in sehr zurückhaltender Weise und mit der Zusicherung, dass ein Entscheid über eine Fusion frühestens in vier Jahren zu fällen sei. Mit einer sehr offenen Formulierung, welche praktisch allen Bedenken der Gegner eines Zusammenschlusses Rechnung trug, konnte der Entscheid nahezu einstimmig gefällt werden. Dass dies aber nicht als ein Sieg der Fusionsbefürworter ausgelegt werden darf, zeigte die gleich anschliessende Wahl für das SMUV-Präsidium (siehe unten). Auch bei der GBI war im Abstimmungsergebnis (158:33) Gegnerschaft gegen eine Vereinigung auszumachen. Die Opposition gegen eine Fusion gründet in beiden Fällen auf der unterschiedlichen Mentalität und Taktik der zwei Gewerkschaften, und der Angst, in Zukunft auf diese verzichten zu müssen. Während beim SMUV spätestens seit dem Friedensabkommen in den 30er Jahren grosses Gewicht auf sozialpartnerschaftliche Verhandlungslösungen gelegt wird, dominiert beim GBI eine kämpferische Kultur, welche sich auch im Berichtsjahr wieder mit Demonstrationen und Streikdrohungen manifestierte [17].
Der Schweizerische Kaufmännische Verband (SKV) beschloss, auf Ende Jahr aus der Vereinigung der schweizerischen Angestelltenverbände (VSA) auszutreten. Dieser Dachverband sei zu heterogen, um eine kämpferische Politik zu vertreten und beeinträchtige damit auch die Profilierung der ihm angehörenden Organisationen [18]. Der Bankpersonalverband (SBPV) trat, wie bereits erwähnt, als assoziiertes Mitglied dem SGB bei. Er wird damit an Sitzungen des SGB teilnehmen können, hat aber kein Stimmrecht wenn es sich nicht um Fragen des Bankbereichs handelt [19].
Die Präsidentin des SMUV, die Genfer Ständerätin Christiane Brunner (sp), gab Ende März bekannt, dass sie im Oktober von ihrem Amt zurücktreten werde. Ein Zusammenhang mit ihrer späteren Wahl zur SP-Vorsitzenden bestand offensichtlich nicht, erfolgte doch der alle überraschende sofortige Rücktritt der SP-Präsidentin Ursula Koch (ZH) erst einige Wochen nach dieser Ankündigung Brunners [20]. Der Entscheid über einen Nachfolger von Brunner stand im Zeichen der Vereinigungspläne mit der GBI. Dabei wählten die Delegierten mit 123 Stimmen den Tessiner Renzo Ambrosetti, welcher sich als Gegner eines Zusammenschlusses profiliert hatte, und gaben dem Berner Fusionsbefürworter André Daguet (106 Stimmen) das Nachsehen [21].
 
[11] NZZ, 27.1., 30.9. (SGB), 10.10. (CNG), 24.10. (VSA) und 20.12.00 (Elektrizitätsmarkt); Lib., 6.4.00. Vgl. oben, Teil I, 1c (Verwaltung).11
[12] CdT, 11.3.00; LT, 11.3. und 13.3.00; NZZ, 4.4.00; AZ, 12.4.00. Vgl. SPJ 1999, S. 399 f. Siehe auch oben, Teil I, 7a (Gesamtarbeitsverträge).12
[13] Blick, 10.2.00.13
[14] NZZ, 12.10.00.14
[15] Presse vom 6.11.00.15
[16] NZZ, 23.3.01.16
[17] Presse vom 28.10.00. Zum Hintergrund siehe auch WoZ, 7.9.00; TA, 9.10.00. Vgl. SPJ 1996, S. 372.17
[18] BüZ, 17.6.00.18
[19] NZZ, 27.11.00.19
[20] LT, 24.3.00. Zur SP siehe oben, Teil IIIa.20
[21] Presse vom 30.10.00.21