Année politique Suisse 2000 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung / Bürgerrecht und Stimmrecht
Der Nationalrat stimmte mit 77:44 einer Motion Hubmann (sp, ZH) zu, welche fordert, dass in der Schweiz geborene und aufgewachsene ausländische Staatsangehörige auf Gesuch hin
automatisch das Bürgerrecht erhalten. Für andere seien die Wohnsitzerfordernis von zwölf auf sechs Jahre zu reduzieren und die Einbürgerungsgebühren auf tiefem Niveau zu harmonisieren. Zu weit ging dem Nationalrat hingegen eine parlamentarische Initiative Zisyadis (pda, VD) für eine einmalige Masseneinbürgerungsaktion. Er hatte verlangt, dass alle Ausländer, welche die gesetzlichen Minimalbestimmungen für eine Einbürgerung (d.h. vor allem die minimale Wohnsitzdauer von zwölf Jahren) erfüllen, auf Gesuch hin das Bürgerrecht ohne weitere Formalitäten erhalten sollen. Der Vorschlag fand nur bei der Linken Unterstützung und wurde vom Rat abgelehnt
[12].
Im Zusammenhang mit den
in Volksabstimmungen getroffenen ablehnenden Einbürgerungsentscheiden im Vorjahr war von Juristen und Politikern auch die Verletzung von verfassungsmässigen Grundrechten vermutet worden. Namentlich gegen den Widerstand der SVP überwies der Nationalrat im Berichtsjahr eine Motion, welche vom Bundesrat gesetzliche Vorkehrungen für ein
diskriminations- und willkürfreies Einbürgerungsverfahren verlangt. Der Ständerat wandelte den Vorstoss in ein Postulat um. Unter grosser Medienbeachtung wiederholte sich in der Luzerner Vorortsgemeinde Emmen das Geschehen des Vorjahres: Wiederum lehnten die Stimmberechtigten sämtliche Einbürgerungsgesuche von Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien ab und stimmten gleichzeitig den Gesuchen von italienischen Staatsangehörigen zu
[13]. In der Basler Vorortsgemeinde Pratteln (BL) war es 1999 zu ähnlichen negativen Einbürgerungsentscheiden gegen Personen aus Südosteuropa gekommen. Eine Beschwerde eines Anwalts der Abgelehnten wegen Willkür und Verstoss gegen das Diskriminierungsverbot war von der Kantonsregierung mit dem Argument abgewiesen worden, dass kein Rechtsanspruch auf Einbürgerung bestehe. Das in der Folge angerufene kantonale Verwaltungsgericht gab den Klägern jedoch Recht und stellte fest, dass der Entscheid der Bürgergemeinde Pratteln willkürlich und diskriminierend gewesen sei. Es hob deshalb das Verdikt auf und wies die Gemeinde an, die Einbürgerungsgesuche nochmals zu beurteilen
[14].
Die Exekutive der
Stadt Zürich beantragte dem Parlament, die im Dezember
1999 von der SVP eingereichte Volksinitiative für Volksabstimmungen über Einbürgerungsgesuche für ungültig zu erklären. Sie stützte sich dabei auch auf ein Rechtsgutachten, das unter anderem festhielt, dass sich die Ansprüche der Stimmenden auf eine vollständige Information und diejenigen der Gesuchsteller auf Datenschutz nicht vereinbaren liessen. Zudem fehlten im zürcherischen Recht die Voraussetzungen für Urnenabstimmungen über Einbürgerungen (im Gemeindegesetz erwähnt sind als zuständige Organe nur Parlament, Exekutive oder Gemeindeversammlung). Der Gutachter Andreas Auer und auch andere Staatsrechtler vertraten zudem die Meinung, dass bei Volksentscheiden über Einbürgerungen keine Gewähr für ein diskriminierungs- und willkürfreies Verfahren gegeben sei, und sie deshalb der Bundesverfassung widersprechen würden
[15]. Auf Antrag der Exekutive lehnte das städtische Parlament zudem die ebenfalls von der SVP eingereichte Volksinitiative für eine Erhöhung der Dauer, welche Einbürgerungswillige in der Stadt Wohnsitz haben müssen, auf zehn Jahre ab. Zu einer Volksabstimmung über diese Initiative wird es aber nicht kommen, da es die SVP unterliess, gegen diesen Beschluss das Referendum zu ergreifen
[16].
Die
Zahl der Einbürgerungen erreichte mit 30 452 (1999: 21 698) einen neuen Höchststand. Das grösste Kontingent stellte wie bereits in früheren Jahren Italien (6938) gefolgt von Personen aus den Staaten des ehemaligen Jugoslawien (6089) und aus der Türkei (3133)
[17]. Die in den letzten Jahren eingetretene massive Zunahme der Einbürgerungsgesuche führte namentlich bei den Bundesstellen zu enormen Pendenzen und entsprechenden Verzögerungen bei der Bearbeitung. Der Nationalrat und nach ihm auch der Ständerat überwiesen ohne Gegenstimme eine Motion der GPK-NR, welche vom Bundesrat Gegenmassnahmen fordert. Kurzfristig könnte dies mit der Einstellung von zusätzlichem Personal geschehen, langfristig sei eine Vereinfachung des heute dreistufigen Verfahrens anzupeilen. Der Ständerat verabschiedete im Rahmen der Budgetdebatte in der Wintersession zudem eine Empfehlung für eine Aufstockung der personellen Ressourcen zum Abbau des Pendenzenbergs
[18].
[12]
AB NR, 2000, S. 676 ff. (Hubmann) und 1538 ff. (Zisyadis). Allg. zur Einbürgerungsproblematik siehe
NZZ, 15.8.00 sowie eine vom BfS veröffentlichte Studie (vgl. Presse vom 7.11.00 und
Lit. Piguet).12
[13]
AB NR, 2000, S. 813 f.;
AB SR, 2000, S. 657 f. Emmen:
Blick, 24.2. und 13.3.00;
TA, 21.3.00. Zur These der Grundrechtsverletzung siehe auch
TG, 24.3.00 und
NZZ, 27.3.00 (Andreas Auer) sowie
Lit. Auer.Vgl. auch die Diskussionen im Parlament im Anschluss an Interpellationen zur Einbürgerungspraxis in Emmen in
AB NR, 2000, S. 677 ff. und
AB SR, 2000, S. 274 f. Siehe
SPJ 1999, S. 24 f.13
[14]
BaZ, 25.3., 30.3. und 20.5.00;
NZZ, 30.3.00.14
[15]
TA, 7.1., 14.1., 3.11. (Staatsrechtler) und 16.12.00;
NZZ, 31.8.00 (Exekutive). Vgl.
SPJ 1999, S. 25.15
[16]
NZZ, 7.4. und 2.11.00;
TA, 13.12.00 (Referendum). Gemäss Zürcher Gemeindeordnung kommen Volksinitiativen nicht automatisch vor das Volk. Vgl.
SPJ 1999, S. 25.16
[18]
AB NR, 2000, S. 412;
AB SR, 2000, S. 560 (Motion) und 846 (Empfehlung).18
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