Année politique Suisse 2000 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Politische Manifestationen
Die Zahl der Grossdemonstrationen mit 1000 und mehr Beteiligten belief sich auf 16 und hat sich im Vergleich zum Vorjahr halbiert (1999: 31). Verantwortlich dafür war der massive Rückgang der Anlässe, an welchen Tausende in der Schweiz lebende Ausländer gegen die Verhältnisse in ihren Herkunftsländern protestiert hatten. Ihre Zahl ging von 17 auf eine einzige, von Tamilen durchgeführte Kundgebung zurück. Die Zahl der Demonstrationen von Ausländern blieb zwar hoch; da sich daran aber jeweils bloss höchstens einige hundert Personen beteiligten, sind sie hier nicht registriert. Wie bereits im Vorjahr hatten die grössten Demonstrationen die Arbeitsverhältnisse zum Thema. Die mit 20 000 Teilnehmenden am besten besuchte, führten die Gewerkschaften des SGB zugunsten von allgemeinen Lohnerhöhungen und gegen einen Stellenabbau bei den Staatsbetrieben durch. Am häufigsten kam es in der Bundesstadt Bern zu Grossdemonstrationen (5); in Zürich waren es 4, in Genf 2, in Biel, Lausanne, Liestal und St. Gallen je eine [31].
Die öffentlichen Auftritte von Anhängern rechtsradikaler und faschistischer Ideen häuften sich. Bereits in seinem Staatsschutzbericht für 1999 hatte das EJPD zunehmende Aktivitäten der gewaltbereiten rechtsextremen Szene konstatiert. Die Anzahl der dazugehörenden Personen wurde auf 6-700 geschätzt. Nicht zuletzt dank dem Internet seien diese im entsprechenden internationalen Umfeld gut verankert. Für grosses Aufsehen sorgte das Erscheinen von ca. 100 rechtsextremen Skinheads an der Bundesfeier zum 1. August auf dem Rütli, wo sie die Rede von Bundesrat Villiger mit Zwischenrufen störten [32]. Im Nationalrat führten Interpellationen der Fraktionen der SP, der CVP und der Grünen, welche sich nach Massnahmen gegen den Rechtsradikalismus erkundigten, zu einer angeregten Diskussion. Der Bundesrat hielt fest, dass Rassismus und anderes intolerantes Verhalten bekämpft werden müssen. Auf internationaler Ebene seien neue Massnahmen zur Verhinderung der grenzüberschreitenden Propagierung derartiger Ideen namentlich via Internet erforderlich. Die Gefahr, welche von diesen Gruppierungen ausgehe, schätze er in Übereinstimmung mit dem Staatsschutzbericht momentan aber nicht als gross ein. Sie seien jedoch unter Beobachtung der Bundespolizei, und Verstösse gegen einschlägige Gesetze (v.a. Antirassismusnorm) würden selbstverständlich geahndet [33].
Während es in der Schweiz auch früher zu Aktionen von gewaltbereiten Rechtsradikalen gekommen war (v.a. Angriffe auf Asylbewerber und ihre Unterkünfte), war das demonstrative öffentliche Auftreten doch relativ neu. Diese Präsenz führte auch zu Gegenmanifestationen. An mehreren Orten der Deutschschweiz wurden, meist nach provokativen Auftritten von Skinheads, Protestdemonstrationen gegen Rassismus und Rechtsradikalismus durchgeführt (u.a. in Basel, Burgdorf, Liestal, Luzern, Malters/LU und St. Gallen). Vereinzelt kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Skinheads und der linksextremen Szene zuzuordnenden sogenannten „Antifa“-Gruppen (als selbst gewähltes Kürzel für antifaschistisch). In Bern konnte die Polizei Ausschreitungen zwischen rund 800 Teilnehmern an einem „Antifaschistischen Spaziergang“ und 250 rechtsradikalen Gegendemonstranten verhindern. Einen ähnlichen Einsatz hatte die Polizei auch in Zürich zu leisten [34].
Zu Auseinandersetzungen mit der Polizei und Sachbeschädigungen kam es anlässlich einer unbewilligten Protestdemonstration gegen das Weltwirtschaftsforum in Davos. An diesem privaten Kongress nahmen neben Wirtschaftsführern auch US-Präsident Clinton und weitere hochrangige Politiker teil. An diesem gegen die Globalisierung gerichteten Protest beteiligten sich zum Teil dieselben Kreise, welche im Vorjahr mit Demonstrationen und anderen Aktionen versucht hatten, die Durchführung der WTO-Tagung in Seattle (US) zu verhindern [35]. Zu Ausschreitungen kam es wie üblich auch bei der sogenannten Nachdemo des linksextremen „Schwarzen Blocks“ am 1. Mai in Zürich [36].
 
[31] Bern: So-Blick, 23.1. (1500/gegen Adtranz-Schliessung); Bund, 9.6. (2000/gegen kantonale Sparmassnahmen in der Bildung); Bund, 10.7. (3000/Homosexuelle für gleiche Rechte); Bund, 7.9. (1200/Angestellte von Kraftwerken gegen AKW-Verbot); Bund, 6.11. (20 000/Gewerkschafter für Lohnerhöhungen und gegen Abbau des Service public). Zürich: NZZ, 5.5. (7000/Spitalpersonal); NZZ, 26.6. (2000/Homosexuelle für gleiche Rechte); NZZ, 11.9. (1500/für Haschisch-Legalisierung); TA, 28.9. (5000/Staatspersonal). Genf: NZZ, 4.4. (4000/Tamilen); 24h, 26.6. (5000/Gegen WTO und Globalisierung). Lausanne: Lib,. 4.2. (7000/Staatsangestellte). Luzern: NZZ, 18.9. (2500/gegen Rechtsradikale). St. Gallen: Blick, 30.8. (1500/gegen Rechtsradikale). Biel: Bund, 15.11. (1200/Lehrer für mehr Lohn). Liestal: BaZ, 11.9. (1000/gegen Rechtsradikale). 31
[32] Bericht: NZZ und TA, 16.5.00; NZZ, 20.9.00. Rütli: Blick, 2.8.00. Allg. zu den Skinheads siehe auch NZZ, 10.8.00; Baz, 15.8.00; Lit. Schweiz. Bundespolizei.32
[33] AB NR, 2000, S. 1156 ff. Zur Bekämpfung illegaler Inhalte auf dem Internet siehe unten, Teil I, 8c (Neue Kommunikationstechnologien).33
[34] Bern: Bund, 24.1.00. Zürich: NZZ, 25.9.00.34
[35] Presse vom 31.1.00.3
[36] NZZ und TA, 2.5.00.36