Année politique Suisse 2000 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
 
Volksrechte
print
Nutzung der Volksrechte
Im Berichtsjahr kam es zu zwei mit einem fakultativen Referendum verlangten Volksabstimmungen (bilaterale Verträge mit der EU, Bundespersonalgesetz). Beide Male bestätigte das Volk den Parlamentsentscheid.
Es wurden im Berichtsjahr sieben neue Volksinitiativen eingereicht. Dem Volk zum Entscheid vorgelegt wurden elf Volksinitiativen. Diese wurden alle abgelehnt; einige davon sehr deutlich mit Ja-Stimmenanteilen von weniger als 20% („tiefere Spitalkosten“ und „Geschlechterquoten in den Behörden“). Drei Initiativen wurden zurückgezogen (Mehrwertsteuer und Sport, Ökosteuer und gegen Wasserflugzeuge). Damit reduzierte sich auf Ende 2000 der Bestand der eingereichten, aber dem Volk noch nicht zum Entscheid vorgelegten Initiativen auf 23 (1999: 30). Neu lanciert wurden 2000 drei Volksinitiativen; alle drei konnten bereits im selben Jahr eingereicht werden (zweimal Tierschutz sowie Ausbau von Nationalstrassen) [44].
Volk und Stände hiessen eine von Regierung und Parlament vorgeschlagene Verfassungsänderung gut (Justizreform) und lehnten zwei ab (Energielenkungsabgabe und Energieförderungsabgabe). Insgesamt kam es somit zu 16 Volksabstimmungen (11 Initiativen, 3 obligatorische und 2 fakultative Referenden). Bei vierzehn dieser Entscheide folgten die Stimmberechtigten dem Antrag von Regierung und Parlament. Zum erstenmal kam das 1987 eingeführte neue Verfahren mit dem doppelten Ja und einer Stichfrage beim Entscheid über eine Initiative mit einem Gegenvorschlag zur Anwendung (Energieförderungsabgabe und Solarinitiative). Das Volk lehnte beide Vorschläge ab.
top
 
print
Reformpaket Volksrechte
Die damit befassten Subkommissionen der SPK beider Räte beschlossen, wie die im Sommer 1999 gescheiterten Pläne des Bundesrats für eine Reform der Volksrechte weiter verfolgt werden sollen. Auf die für das damalige Scheitern verantwortliche Erhöhung der Unterschriftenzahl für Initiative und Referendum soll ebenso verzichtet werden wie auf eine Verkürzung der Sammelfristen. Festhalten möchte man jedoch an der Einführung einer „allgemeinen Volksinitiative“. Damit könnte eine Forderung in allgemeiner Form eingebracht werden, über die genaue Formulierung und die Frage, ob das Anliegen auf Gesetzes- oder Verfassungsstufe zu behandeln sei, würde dann das Parlament entscheiden [45].
Nach dem Stände- lehnte auch der Nationalrat die 1997 eingereichten Volksinitiative der SP für die Einführung des konstruktiven Referendums (Referendum mit Gegenvorschlag) ab. Dafür stimmten neben der SP auch die Grünen und die EVP. Die Ratsmehrheit begründete ihre Ablehnung namentlich mit dem Argument, dass mit der Möglichkeit, einzelne Elemente aus einer Gesamtvorlage herauszupflücken, die Bemühungen der Regierung und des Parlaments um optimale Kompromisslösungen vereitelt würden. Damit würde auch die Funktion des Parlaments entwertet [46].
In der Kampagne zur anschliessenden Volksabstimmung betonten die Befürworter vor allem die Praktikabilität ihres Vorschlags, der in den Kantonen Bern und Nidwalden, wo dieses Recht existiert, noch nie zu Problemen geführt habe. Die Gegner warnten vor „Rosinenpickerei“. Eine breite Diskussion über die Volksrechte vermochte die Initiative jedoch nicht auszulösen [47].
Volksinitiative für ein „Konstruktives Referendum“
Abstimmung vom 24. September 2000

Beteiligung: 44,8%
Ja: 676 776 (34,1%) / 0 Stände
Nein: 1 308 030 (65,9%) / 206/2 Stände

Parolen:
Ja: SP, GP, EVP, PdA, Lega; SGB, CNG.
Nein: FDP, CVP, SVP, LP, SD , EDU, CSP; Economiesuisse (Vorort), SGV, SBV.
In der Volksabstimmung vom 24. September sprachen sich nur gut ein Drittel der Stimmenden für das Begehren aus. In der französischsprachigen Schweiz war die Ablehnung etwas weniger deutlich und im Tessin schnitt die Initiative mit 43% Ja am besten ab. Gemäss der Vox-Analyse hatte die politische Linke mehrheitlich zugestimmt. Obwohl es sich um eine SP-Initiative gehandelt hatte, waren die Sympathisanten der SP in ihrer Meinung hälftig geteilt. Praktisch einhellig erfolgte die Ablehnung durch Personen, welche der FDP nahestehen [48].
Am 12. März verwarfen die Stimmberechtigten die Volksinitiative „für eine Beschleunigung der direkten Demokratie“ deutlich. Diese von der Detailhandelskette Denner AG stammende Initiative hatte gefordert, dass Volksinitiativen spätestens ein Jahr nach ihrer Einreichung dem Volk zum Entscheid vorgelegt werden müssen. Das Begehren wurde in der Kampagne von den Rechtsaussenparteien FP, SD und Lega unterstützt. In ihren grossflächigen Inseraten appellierten die Initianten vor allem an Ressentiments gegen angeblich faule Bundesbeamte, welche die Anliegen des Volkes auf die lange Bank schieben würden. Die nationale Delegiertenversammlung der SVP hatte, gegen den Willen des Vorstands und der Fraktion, ebenfalls die Ja-Parole ausgegeben, allerdings nur mit 201:151 Stimmen. Zehn mehrheitlich dem traditionellen SVP-Flügel zuzuordnende Kantonalsektionen (AG, AR, BE, BL, GE, GL, GR, SH, TG, VD) empfahlen jedoch Ablehnung, und der Vorsitzende der Berner SVP, Nationalrat Weyeneth, übernahm das Präsidium des Kontra-Komitees. Im Gegensatz zu den Befürwortern der Initiative standen den Gegnern praktisch keine Mittel für bezahlte Werbung zur Verfügung. Hingegen empfahlen alle wichtigen Tageszeitungen in ihren redaktionellen Kommentaren ein Nein [49].
Die Ablehnung der Initiative fiel mit einem Anteil von 70% deutlich aus. Kein einziger Kanton hatte zugestimmt. Am besten schnitt sie im Tessin mit einem Ja-Anteil von 39% ab, am schlechtesten im Wallis mit 24%. Gemäss der Vox-Analyse sprach sich auch eine knappe Mehrheit der SVP-Sympathisanten dagegen aus. Bei Personen, welche der Regierung eher misstrauen, war der Ja-Anteil zwar überdurchschnittlich, zu einer Annahme reichte es aber auch bei ihnen nicht [50].
Volksinitiative für ein „Beschleunigung der direkten Demokratie“
Abstimmung vom 12. März 2000

Beteiligung: 42,1%
Ja: 573 038 (30,0%) / 0 Stände
Nein: 1 336 916 (70,0%) / 206/2 Stände

Parolen:
Ja: SVP (10*), FP, SD, Lega.
Nein: SP, FDP, CVP, LP, GP, EVP, EDU, CSP, PdA; Economiesuisse (Vorort), SGV, SGB, CNG.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Die im Vorjahr aus Kreisen um den Denner-Chef Schweri mit Unterstützung namhafter Exponenten der Zürcher SVP lancierte Volksinitiative „für Volksabstimmungen über Volksinitiativen innert sechs Monaten unter Ausschluss von Bundesrat und Parlament“ (von den Gegnern als „Maulkorb-Initiative“ apostrophiert) kam nicht zustande. Nach Angaben der Initianten waren zwar genügend Unterschriften gesammelt worden. Angesichts der deutlichen Ablehnung der Beschleunigungsinitiative sei dieses Anliegen zur Zeit aber offensichtlich nicht mehrheitsfähig, weshalb auf die Einreichung verzichtet werde [51].
Der Nationalrat beschloss, Wege zu suchen, um die politische Auseinandersetzung fairer und transparenter zu machen. Auf Antrag seiner SPK und gegen den Widerstand der FDP, der SVP und der Liberalen gab der Nationalrat der parlamentarischen Initiative Gross (sp, ZH) für eine grössere Transparenz bei der Finanzierung von Werbung für Initiativen und Abstimmungskampagnen mit 70:63 Stimmen Folge. Nach der sehr aufwändigen und diffamierenden Kampagne zugunsten der Beschleunigungsinitiative (siehe oben) gab der Bundesrat eine Studie zum Thema Fairness und Ausgewogenheit der Mittel in Abstimmungskämpfen in Auftrag. Ebenfalls weiterbearbeiten will der Nationalrat eine parlamentarische Initiative Stamm (cvp, LU), welche die Einrichtung einer Instanz fordert, die unrichtige Aussagen in Abstimmungskampagnen öffentlich richtigstellen kann. Solche falsche Behauptungen waren in den letzten Jahren (und wohl auch bereits früher) immer wieder aufgetaucht. So wurde etwa in Inseraten gegen die neue Bundesverfassung verkündet, diese bringe einen automatischen EU-Beitritt, oder im Frühjahr 2000 wurde die „Verkehrshalbierungsinitiative“ mit dem Argument bekämpft, diese verlange einen Fahrausweisentzug für über 65jährige [52]. Nachdem die Gegenpropaganda zu den Energieabstimmungen vom September nach Meinung der Befürworter mit Halbwahrheiten und Verzerrungen operiert hatte, doppelte der freisinnige Nationalrat Suter (BE) nach, und verlangte mit einem Postulat in sehr allgemeiner Form die Einführung einer Strafnorm zur Sanktionierung unwahrer Behauptungen in Abstimmungskampagnen [53].
 
[44] Die von uns in SPJ 1999 als zurückgezogen verzeichnete Initiative MwSt und Sport wurde offiziell erst 2000 zurückgezogen.44
[45] Bund, 26.7.00. Vgl. SPJ 1999, S. 47 ff.45
[46] AB NR, 2000, S. 389 ff. und 460; AB SR, 2000, S. 227; BBl, 2000, S. 2130 f. Vgl. SPJ 1999, S. 49. Siehe auch Lit. Säggesser.46
[47] Presse vom 20.7.00 (Pro); Presse vom 1.8.-23.9.00. Zu den Erfahrungen im Kanton Bern siehe auch Kurt Nuspliger, „Den Praxistest bestanden“, in NZZ, 18.8.00.47
[48] BBl, 2001, S. 183 ff.; Presse vom 13.3.00; Ballmer-Cao, Than-Huyen e.a., Vox. Analyse der eidgenössischen Abstimmungen vom 24. September 2000, Genf 2000.48
[49] Presse von 3.1.-11.3.00. Beispiele für Pro-Insrerate: TA, 9.2.00; Blick, 16.2.00; Blick, 17.2.00 und NZZ, 3.3.00 (Kommentare dazu). SVP: Bund, 15.1.00; TA, 31.1.00.49
[50] BBl, 2000, S. 2290 ff.; Presse vom 13.3.00; Milic, Thomas e.a., Vox. Analyse der eidgenössischen Abstimmungen vom 12. März 2000, Zürich 2000.50
[51] Bund, 13.3.00; NZZ, 16.12.00. Vgl. SPJ 1999, S. 49 f.51
[52] AB NR, 2000, S. 435 ff. (Gross) und 434 f. (Stamm); TA, 14.3.00 (BR). Zum Vorschlag von Stamm siehe auch Bund, 24.3.00; LT, 18.7.00.Vgl. SPJ 1999, S. 50.52
[53] TA, 4.7.00; (Po 00.3397).53