Année politique Suisse 2000 : Wirtschaft / Allgemeine Wirtschaftspolitik / Strukturpolitik
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Regionalpolitik
Im Herbst schlug der Bundesrat eine Verlängerung und Modernisierung des Mitte 2001 auslaufenden Beschlusses zugunsten wirtschaftlicher Erneuerungsgebiete (ehemaliger „Bonny-Beschluss“) vor. In einer Evaluation strich er den Wert dieser staatlichen Hilfe (Zinskostenbeiträge, Bürgschaften und Steuererleichterungen) für die Ansiedlung von namentlich ausländischen Betrieben in Randregionen heraus. Rund 100 Investitionsvorhaben seien auf diese Weise seit 1996 gefördert worden. Diese Massnahmen seien um so wichtiger, als die Deregulierung wichtiger Infrastrukturmärkte (Post, Telekommunikation, öffentlicher Verkehr) für die strukturschwachen Regionen zusätzliche Probleme bringen könnte (siehe dazu unten). Als neues Element soll die Förderung von überbetrieblichen und überregionalen Projekten und Institutionen aufgenommen werden. In der Vernehmlassung hatten sich die SVP sowie die Unternehmerverbände aus ordnungspolitischen Gründen gegen eine Verlängerung dieses Programms ausgesprochen. Die Westschweizer Kantone inkl. Bern und Solothurn hatten sich in einer gemeinsamen Eingabe für eine Weiterführung eingesetzt. Der Ständerat hiess das Geschäft einstimmig gut. Dabei nahm er die vom Bundesrat gestrichenen Zinskostenbeiträge wieder in den Beschluss auf. Während der Debatte gab der Bundesrat bekannt, dass in Zukunft weniger die aktuelle Arbeitslosenzahl als vielmehr die Unterversorgung einer Region mit modernen Infrastrukturen ein Kriterium für die Begünstigung sein werde [17].
Die Liberalisierung der früheren Staatsmonopolbereiche Eisenbahnverkehr, Post und Telekommunikation und die damit verbundenen Anpassungen der dort tätigen staatlichen Betriebe an die verschärfte Wettbewerbssituation wirkt sich tendenziell negativ auf die Randgebiete aus. Vorläufig waren die Auswirkungen vor allem beim in diesen Regionen ohnehin prekären Arbeitsplatzangebot spürbar, später könnte es auch Nachteile bei der Einrichtung neuer Infrastrukturen im Kommunikationsbereich und eine Differenzierung der Preisstruktur (sprich Verteuerung der Leistungen in peripheren oder dünn besiedelten Gebieten) geben. Von verschiedener Seite wurde deshalb die Idee eines sogenannten nationalen Kohäsionsfonds ins Spiel gebracht. Gemäss einer parlamentarischen Initiative Tschäppät (sp, BE) soll dieser Fonds aus den Dividenden des Bundes aus seinen Anteilen bei SBB, Swisscom und Post gespiesen werden und Konversions- und Innovationsprojekte im Infrastrukturbereich in den Randregionen finanzieren. Der Nationalrat lehnte diesen von der Linken und etwa der Hälfte der CVP-Fraktion unterstützten Vorschlag mit 88:84 Stimmen ab [18]. Standesinitiativen mit ähnlichem Inhalt hatten auch die Kantone Graubünden, Schaffhausen, Tessin und Wallis eingereicht. Auf Antrag seiner Kommission gab ihnen der Ständerat keine Folge. Eine wichtige Begründung war die, dass ein solcher Fonds mit seiner Zweckbindung zu starr wäre. Da der Rat dem Anliegen der peripheren Kantone aber seine Berechtigung zuerkannte, überwies er eine Motion für die flächendeckende Versorgung des Landes mit öffentlichen Infrastrukturen (sogenannter Service public). Der Nationalrat hatte bereits vorher, im Rahmen der Debatte über die Legislaturplanung 1999-2003, eine ähnliche, auch vom Ständerat übernommene Kommissionsmotion gutgeheissen [19]. Der Bundesrat reagierte im Sommer mit der Ankündigung, dass er dem Parlament einen Kredit von 80 Mio Fr. für vier Jahre zugunsten von Regionen beantragen werde, welche durch die Privatisierung der öffentlichen Betriebe besonders stark von Arbeitsplatzabbau betroffen sind. Die Mittel sollen gezielt zur verbesserten Stellenvermittlung und Umschulung, zur Förderung von Unternehmensgründungen, zur Vermittlung von Gebäuden und zur Ankurbelung von innovativen Tourismusprojekten eingesetzt werden. Nach den Plänen der Regierung soll aber kein neues regionalpolitisches Instrumentarium geschaffen, sondern die Kassen der bestehenden (IHG, Nachfolge des Bonny-Beschlusses, Innovation im Tourismus) belastet werden. Der Nationalrat überwies nach dieser Ankündigung ein Postulat Robbiani (cvp, TI), welches den Bundesrat auffordert, eine Strategie zur Unterstützung dieser Regionen vorzulegen [20].
 
[17] BBl, 2000, S. 5655 ff.; AB SR, 2000, S. 859 ff.; SGT, 26.5.00 (Westschweiz); NZZ, 6.6.00 (Beginn Vernehmlassung). Siehe auch SPJ 1995, S. 110.17
[18] AB NR, 2000, S. 440 ff.18
[19] AB SR, 2000, S. 711 ff. und 653 f. (Motion NR); AB NR, 2000, S. 768. Vgl. dazu auch die Interpellation Maissen (cvp, GR) zur zukünftigen Ausrichtung der Regionalpolitik in AB SR, 2000, S. 266 ff.19
[20] Kredit: Presse vom 24.8.00. Postulat: AB NR, 2000, S. 1603.20