Année politique Suisse 2000 : Sozialpolitik / Gesundheit, Sozialhilfe, Sport / Suchtmittel
print
Revision des Betäubungsmittelgesetzes (BetmG)
In der Vernehmlassung befürworteten eine Mehrheit der Kantone und der Bundesratsparteien sowie der Verband Sucht- und Drogenfachleute Schweiz die Straffreiheit für den Erwerb, Besitz, Anbau und vor allem Konsum von Cannabisprodukten. Einzelne Kantone sprachen sich für den straffreien Konsum aller Drogen aus; die Mehrheit wollte bei harten Drogen aber eine Opportunitätsregelung, gemäss der in leichten Fällen auf eine Bestrafung verzichtet werden kann. Straffreiheit für den Konsum jeglicher Drogen verlangten SP und FDP, während die CVP diese nur auf Cannabis-Produkte beschränken möchte. Einzig die SVP lehnte jede Lockerung der Strafbestimmungen ab. Unbestritten war bei den Kantonen und den Parteien, dass im revidierten BetMG das Vier-Säulen-Prinzip (Prävention, Schadensverminderung, Therapie und Repression) sowie die medizinisch verordnete Heroinabgabe eine klare gesetzliche Grundlage erhalten sollen [69].
Nach dem Nationalrat befasste sich auch der Ständerat mit zwei Standesinitiativen der Kantone Baselland und Zürich, welche den straffreien Konsum von Cannabisprodukten verlangen. Er schloss sich dem Nationalrat an und hiess die beiden Standesinitiativen mit 26 zu 12 resp. 20 zu 19 Stimmen gut. Da die grosse Kammer im Vorjahr mit der gleichzeitigen Annahme einer noch weiter gehenden Standesinitiative des Kantons Solothurn, welche der Ständerat 1996 abgelehnt hatte, eine Differenz geschaffen hatte, musste sich dieser erneut mit diesem Begehren beschäftigen. Da die Solothurner Initiative im Nationalrat ebenfalls umstrittener gewesen war als die beiden anderen, blieb die kleine Kammer ihrem früheren Entscheid treu und verwarf sie mit 38 zu 1 Stimmen [70].
Die CVP-Abgeordneten des Kantons Tessin wiesen in Vorstössen in beiden Kammern auf die Problematik ihres Kantons hin, der in den letzten Jahren zum Drogenumschlagplatz für norditalienische Cannabis-Konsumenten wurde. Eine Motion von Ständerat Lombardi, die strengere Kontrollen für den Hanfanbau forderte, wurde nur als Postulat überwiesen. Das gleiche geschah mit einer identischen Motion Simoneschi im Nationalrat. In beiden Kammern wurde als Argument für die Umwandlung in das unverbindliche Postulat betont, es gehe darum, eine generelle Lösung zu finden; eine spezielle „lex Ticino“ wäre dieser eher hinderlich [71].
Anfang Oktober präzisierte der Bundesrat seine Vorstellungen zur anstehenden BetmG-Revision. Er will dem Parlament beantragen, den Konsum von Cannabis für straffrei zu erklären, den Konsum harter Drogen aber weiter unter Strafe zu stellen. Ob auch der Anbau von Cannabis und der Handel mit Hanfprodukten erlaubt werden sollen, liess er noch offen. Einen Entscheid in dieser Frage machte er von der Definition des Opportunitätsprinzips abhängig. Insbesondere soll bis zur Verabschiedung der Botschaft abgeklärt werden, ob trotz Verzicht auf Strafverfolgung in Bagatellfällen der Export von Cannabis bzw. das Aufkommen eines „Drogentourismus“ verhindert werden können. Das Opportunitätsprinzip möchte der Bundesrat auch beim Gebrauch harter Drogen anwenden; hier gedenkt er in einer Verordnung zu umschreiben, in welchen Fällen die Konsumierenden nicht strafrechtlich verfolgt werden. Die Prävention und der Jugendschutz sollen weiter ausgebaut werden [72].
 
[69] Presse vom 6.1.00. Zur Kontroverse um die Kassenpflicht der medizinisch verordneten Heroinabgabe siehe unten, Teil I, 7c (Krankenversicherung).69
[70] AB SR, 2000, S. 15 ff. Siehe SPJ 1996, S. 245 und 1999, S. 260.70
[71] AB SR, 2000, S. 23 f.; AB NR, 2000, S. 1338 ff. Im Vorjahr konnte eine Motion Bortoluzzi (svp, ZH), die eine generelle Bewilligungspflicht für den Hanfanbau verlangte und nur Sorten mit weniger als 3% THC-Gehalt zulassen wollte, wegen Opposition im Rat nicht behandelt werden. Der BR war bereit, die Motion als Postulat anzunehmen. Bortoluzzi bestand aber auf der Motionsform, worauf der Vorstoss mit 85:57 Stimmen abgelehnt wurde (AB NR, 2000, S. 888 ff.; SPJ 1999, S. 258).71
[72] Presse vom 3.10.00.72