Année politique Suisse 2000 : Sozialpolitik / Gesundheit, Sozialhilfe, Sport
Sport
Die Schweiz ist eine sportliche Nation:
Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung sind regelmässig sportlich aktiv, die Männer mehr in jüngeren Jahren, die Frauen stärker in der zweiten Lebenshälfte. Zu diesem Ergebnis kam eine im Auftrag des Schweizerischen Olympischen Verbandes erstellte Studie. Dabei zeigte sich auch, dass das Leistungsmotiv in den Hintergrund getreten ist. Weit wichtiger sind die Aspekte Gesundheit, Geselligkeit und Körpererfahrung. Als beliebteste Sportarten erwiesen sich Wandern, Schwimmen, Radfahren/Mountainbike, Skifahren, Jogging und Turnen/Gymnastik
[80].
Ende 1999 hatte Bundesrat Ogi die Eckpfeiler für ein künftiges
nationales Sportkonzept vorgestellt. Das Modell, das Ende Jahr vom Bundesrat unter dem Namen
„Spirit of Sport“ verabschiedet wurde, sieht ein stärkeres Engagement des Bundes in zahlreichen Bereichen vor: Breitensport, Nutzung der Bildungsmöglichkeiten des Sports, Nachwuchsförderung, Einsatz für einen doping- und gewaltfreien Sport, sportliche Grossanlässe und Attraktivitätssteigerung der Schweiz als Sitz von internationalen Sportverbänden, bessere Kommunikation der Bedeutung des Sports für eine sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft, effiziente Nutzung bestehender und allenfalls neuer Ressourcen sowie Einrichtung eines Observatoriums, das den Bundesrat periodisch über Entwicklungen im Sport orientiert
[81].
Der Nationalrat lehnte zwei Motionen – Ostermann (gp, VD) und Grobet (sp, GE) –, die ein Bundesgesetz zur
Dopingbekämpfung verlangten, ab. Er bekräftigte damit die bereits im Vorjahr von Bundesrat und Parlament geäusserte Ansicht, das unbestrittene Ziel könne rascher erreicht werden durch die Einfügung von Dopingbestimmungen in bestehende resp. behandlungsreife Gesetze (Bundesgesetz über die Förderung von Turnen und Sport, neues Heilmittelgesetz)
[82].
Die Kontroverse um den
obligatorischen Turnunterricht in den Schulen dauerte weiter an. Nachdem 23 Kantone beim Bundesrat interveniert hatten mit der Bitte, aus finanziellen Überlegungen den wöchentlichen Unterricht in der
Volksschule von drei auf zwei Stunden reduzieren zu können, hatte die Landesregierung im Vorjahr zu erkennen gegeben, dass sie sich angesichts dieses Drucks einer Flexibilisierung nach unten kaum verschliessen könne. Diese Ankündigung hatte sowohl Politiker wie Sportverbände auf den Plan gerufen. Ein Kompromissvorschlag aus dem VBS beruhigte die Gemüter etwas: Danach sollen die Kantone zwei Wochenstunden Turnunterricht garantieren und die dritte mit Sonderangeboten (Skilager oder Sportwochen) kompensieren können
[83]. Noch längst nicht alle Kantone haben die Vorgaben für den Turnunterricht an den
Berufsschulen umgesetzt, oder sie haben beim Lehrlingsturnen in den letzten Jahren wieder Abstriche gemacht. Aus Protest dagegen reichten betroffene Turn- und Sportlehrer sowie tangierte Eltern und Schüler beim Bundesrat eine Aufsichtsbeschwerde gegen den Kanton Solothurn ein
[84].
Gegen den Willen des Bundesrates, der den Vorschlag als zu eng auf den Skirennsport zugeschnitten erachtet, hatte der Ständerat im Vorjahr knapp eine Motion angenommen, die den Bund verpflichtet, die
Sportmittelschulen in Davos (GR), Engelberg (OW), Brig und Martigny (beide VS) finanziell zu unterstützen. Im Nationalrat bat Bundespräsident Ogi, das Gesamtkonzept Spitzensport abzuwarten, weshalb er erneut Umwandlung in ein Postulat beantragte. Bezzola (fdp, GR) als Vertreter eines Standortkantons und Engelberger (fdp, NW) als Präsident des Schweizerischen Skiverbandes setzten sich hingegen wortreich für die Motion ein. Wenig für das Anliegen übrig hatte hingegen Fehr (sp, ZH). Sie fand, es sei nicht Sache des Bundes, Privatschulen zu unterstützen; zudem sei es absurd, den Turnunterricht in den Schulen und der Lehrlingsausbildung aus finanziellen Überlegungen abzubauen und andererseits den Spitzensport derart zu fördern. Sie beantragte deshalb, den Vorstoss gänzlich abzulehnen. Die Motion wurde deutlich mit 102 zu 47 Stimmen angenommen
[85].
Den Sportmittelschulen möchte der Bundesrat die vierjährigen
Berufslehre für Spitzensportler entgegen stellen. Gemäss seinem im Herbst in die Vernehmlassung gegebenen Projekt würden besonders talentierte Jugendliche sowohl auf die Karriere als auch auf die für viele Sportler besonders problematische Zeit danach vorbereitet. Für die sportliche Ausbildung sind in diesem Konzept weiterhin die Sportvereine und -verbände zuständig; vorerst soll sich das Angebot auf Fussball, Eishockey und Skifahren beschränken
[86].
In einer Sonderbotschaft beantragte der Bundesrat, die für die nicht zustande gekommenen Olympischen Winterspiele 2006 im Wallis bereits vom Parlament genehmigten 20 Mio Fr. anderweitig zu verteilen. Konkret schlug er vor, damit
Sportanlagen von nationaler Bedeutung zu unterstützen. Rund drei Viertel kommen dem
Wintersport zugute, der Rest fliesst in
polysportive Einrichtungen, beides Sparten, die im Rahmen der 1998 gesprochenen 60 Mio Fr. für das Nationale Sportanlagenkonzept (Nasak) unterdurchschnittlich berücksichtigt worden waren. Im Kredit für Sion 2006 waren 20 Mio Fr. explizit für die Infrastruktur bestimmt und schon damals als Teil des Nasak deklariert worden. Anstatt gebündelt im Wallis, kann dieser Kredit nun dezentral verwendet werden. Die Vorlage wurde von beiden Kammern einstimmig angenommen
[87].
Trotz der gescheiterten Olympiakandidatur von Sion 2006 erlosch in der Schweiz das olympische Feuer keineswegs. Gleich zwei Regionen bewarben sich um eine Kandidatur für die Winterspiele 2010. Als erstes präsentierte ein Komitee
„Bern-Montreux 2010“ sein Projekt. Es pries seine Bewerbung als „Brückenschlag über den Röstigraben“ und unterstrich die zentrale Verkehrslage, den nationalen Charakter durch den Einbezug von sieben Kantonen sowie den Umstand, dass aufgrund der bestehenden Infrastruktur kaum Neubauten geplant seien, was auch die Kosten tief halten würde. Wenige Tage später stellte ein Komitee
„Olympische Winterspiele 2010 Zürich/Graubünden“ sein Dossier gleichzeitig in Chur und Zürich vor. Auch hier versicherten die Promotoren glaubhaft, nur bereits bestehende oder ohnehin geplante Einrichtungen nutzen zu wollen. Beide Kandidaturen wurden Anfang November beim Schweizerischen Olympischen Verband eingereicht. Dieser wies nach einer ersten Prüfung beide Projekte zur
Überarbeitung an die Komitees zurück und verlangte eine weniger breite Streuung der vorgesehenen Austragungsorte
[88].
Für die
Ski-WM 2003 in St. Moritz erklärte sich die Regierung des Kantons
Graubünden bereit, 7 Mio Fr. (5,5 Mio Fr. als à-fonds-perdu-Beitrag, 1,5 Mio Fr. als Defizitgarantie) lockerzumachen; durch eine Änderung der Wirtschaftsförderungsverordnung von 1990 wollte sie die Mitsprache des Volkes dabei ausschliessen. Der Grosse Rat befand aber, dass heute sportliche Grossanlässe ohne Rückhalt in der Bevölkerung keine Chance mehr haben, und entschied, den Kredit dem Souverän zu unterbreiten. Die Befürchtungen der Regierung erwiesen sich als berechtigt: Ende September wurde der Kredit an der Urne knapp abgelehnt. Graubünden kann nach wie vor auf 4 Mio Fr. aus dem Nasak-Kredit des Bundes zählen; die ursprünglich vom Bundesrat versprochene Defizitgarantie von 1,5 Mio Fr. wollte Sportminister Ogi allerdings von einem „Zeichen“ des Kantons (konkret 3 Mio Fr.) abhängig machen
[89].
Der Bundesrat reichte die Schweizer Kandidatur für die Beherbergung der
Internationalen Anti-Doping-Agentur (Wada) ein, die ihren provisorischen Sitz in Lausanne hat. Er stellte der Wada 200 000 Fr. Starthilfe sowie steuerliche Erleichterungen in Aussicht. Als Hauptargument für die Bewerbung nannte er Synergieeffekte mit dem Internationalen Olympischen Komitee, welches seinen Sitz ebenfalls in Lausanne hat, und mit mehreren internationalen Sportverbänden, die sich am Genfersee niedergelassen haben, sowie die Nähe zu zwei Universitäten mit naturwissenschaftlichen Abteilungen. Weiter beschloss der Bundesrat, die Beziehungen zum
Internationalen Olympischen Komitee (IOK) in einem Abkommen zu regeln. Damit sollen die bereits früher dem IOK gewährten Erleichterungen steuerlicher Art vertraglich verankert werden
[90].
Nachdem es zu mehreren tödlichen Unfällen im Bereich des
Adventure-Sports gekommen war, drängte das Bundesamt für Sport auf strenge Richtlinien für die Organisatoren von Abenteuer- und Risikosportarten. Diese sollen verbindliche Sicherheitsstandards festlegen, die Ausbildung der Leiter regeln sowie die Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Veranstalter umschreiben. Im Mai legte das VBS einen
Canyoning-Kodex vor
[91].
[80]
Lit. Lamprecht / Stamm; Presse vom 1.9.00.80
[81] Presse vom 30.6. und 2.12.00. Siehe
SPJ 1999, S. 263.81
[82]
AB NR, 2000, S. 738 ff. Siehe
SPJ 1999, S. 263.82
[83] Presse vom 9.2. und 26.9.00;
LT, 30.8.00. Siehe dazu die Ausführungen des BR zu einer Interpellation Kofmel (fdp, SO) in
AB NR, 2000, S. 454. Vgl.
SPJ 1999, S. 263.83
[85]
AB NR, 2000, S. 33 ff. Siehe
SPJ 1999, S. 263.85
[86] Presse vom 26.9. und 12.12.00;
Ww, 5.10.00.86
[87]
BBl, 2000, S. 1615 ff.;
AB NR, 2000, S. 718 ff.;
AB SR, 2000, S. 648 ff. Siehe
SPJ 1997, S. 258,
1998, S. 252 f. und
1999, S. 262.87
[88] Presse vom 31.10, 3.11. und 6.12.00.88
[89]
BüZ, 9.8., 14.9., 25.9., 26.9., 29.9., 4.10. und 14.10.00. Die Nachanalyse der Abstimmung ergab, dass die Ablehnung aus einer Kombination von finanziellen sowie regional- und umweltpolitischen Gründen erfolgte (
NZZ, 14.12.00).89
[90] Presse vom 19.9. und 15.11.00. Zu Fragen der Besteuerung von Sportverbänden resp. -anlässen siehe oben, Teil I, 5 (Indirekte Steuern).90
[91]
BüZ, 10.1. und 17.5.00;
LT, 25.5.00;
NZZ, 28.11. und 18.12.00. Siehe dazu auch die Antwort des BR auf eine Einfache Anfrage Günter (sp, BE) in
AB NR, 2000, I, Beilagen, S. 252 f. sowie
CHSS, 2000, S. 275 ff. NR Cina (cvp, VS) reichte eine im Parlament noch nicht behandelte pa.Iv. ein, die ein Rahmengesetz für kommerziell angebotene Risikoaktivitäten und das Bergführerwesen verlangt (Geschäft 00.431).91
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