Année politique Suisse 2000 : Sozialpolitik / Sozialversicherungen
 
Mutterschaftsversicherung
Nach Ablehnung der Mutterschaftsversicherung in der Volksabstimmung vom 13. Juni 1999 war eine Reihe parlamentarischer Vorstösse mit Vorschlägen für Ersatzlösungen eingereicht worden. Insbesondere freisinnige Politikerinnen machten sich für eine Regelung stark, die im Obligationenrecht die Lohnfortzahlung für den im Arbeitsrecht verankerten achtwöchigen Mutterschaftsurlaub festschreiben wollte. Das Parlament fand diese Vorschläge aber allzu bescheiden. Der Nationalrat lehnte in der Sommersession nach kurzer Diskussion eine diesbezügliche parlamentarische Initiative Egerszegi (fdp, AG) mit 99 zu 75 Stimmen ab. Stattdessen nahm er mit 114 zu 62 Stimmen eine Motion seiner SGK an, die einen vierzehnwöchigen bezahlten Mutterschaftsurlaub verlangte. Zur Lohnfortzahlung während der ersten acht Wochen sollen die Arbeitgeber durch eine obligationenrechtliche Regelung verpflichtet werden; für die nächsten sechs Wochen sieht die Motion eine Abgeltung über die Erwerbsersatzordnung vor, an welche die erwerbstätigen Frauen Beiträge bezahlen, obgleich sie normalerweise keinen Militärdienst leisten. Da die Motion die konkrete Ausgestaltung der Lohnfortzahlung zwischen der 8. und der 14. Woche der Mutterschaft dem Bundesrat überlassen möchte, hatte dieser vergeblich Umwandlung in ein Postulat beantragt, um die noch offenen Fragen eingehender prüfen zu können [76].
Der Ständerat zeigte sich vorerst weniger grosszügig. Einstimmig überwies er in der Herbstsession eine Motion Spoerry (fdp, ZH), nach welcher bloss die Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber während des achtwöchigen Arbeitsverbots vorgeschrieben werden sollte. Zwei Standesinitiativen der Kantone Genf und Jura sowie einer parlamentarische Initiative Brunner (sp, GE), die einen vierzehnwöchigen, vom Arbeitgeber bezahlten Mutterschaftsurlaub verlangten, wurde hingegen keine Folge gegeben, ebenso wenig wie einer parlamentarischen Initiative Beerli (fdp, BE), die während 14 Wochen eine Grundentschädigung zu Lasten der Erwerbsersatzordnung anregte. Im Anschluss an die Debatte verkündete Bundesrätin Metzler, dass ihr Departement bis Anfang 2001 im Auftrag des Bundesrates eine Vorlage ausarbeite, welche ebenfalls eine Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber vorsehe. Die Dauer der Fortzahlung werde voraussichtlich nach Dienstalter abgestuft sein [77]. Möglicherweise war es diese Drohung eines allein von den Arbeitgebern finanzierten Mutterschaftsurlaubs von mehr als acht Wochen, die den Ständerat in der Wintersession veranlasste, mit 24 zu 17 Stimmen die Motion des Nationalrates mit ihrem Modell einer Mischfinanzierung anzunehmen. Gleichzeitig überwies er ein Postulat seiner SGK mit der Bitte um einen Bericht über die verschiedenen Finanzierungsmöglichkeiten einer Mutterschaftsversicherung. Drei Standesinitiativen der Kantone Freiburg, Genf und Neuenburg, die verlangten, die Schweiz solle das ILO-Abkommen 103 über den Mutterschutz ratifizieren, wurde mangels gesetzlicher Grundlage keine Folge gegeben [78].
Wie Nationalrätin Teuscher (gp, BE) beim Elternurlaub (siehe unten, Teil I, 7d, Familienpolitik) wollte ihre Ratskollegin Fehr (sp, ZH) den Bund verpflichten, als Arbeitgeber Vorbildfunktion für die Privatwirtschaft zu übernehmen. Mit einer Motion verlangte sie, das Bundespersonalgesetz so anzupassen, dass – wenn ein Bundesangestellter Vater wird – der Bund die Hälfte der Kosten für den Mutterschaftsurlaub der Frau übernimmt. Damit sollte der Bund ein Beispiel dafür setzen, dass mangels einer echten Mutterschaftsversicherung die Kosten für den Mutterschaftsurlaub hälftig zwischen den Arbeitgebern beider Elternteile übernommen werden sollten, um eine Diskriminierung der Frauen im gebärfähigen Alter auf dem Arbeitsmarkt zu vermeiden. Der Bundesrat machte geltend, der Vorschlag wäre in der Praxis kaum durchführbar, weshalb er erfolgreich Umwandlung in ein Postulat beantragte [79].
Als erster Kanton wird Genf eine kantonale Mutterschaftsversicherung einführen. Der von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanzierte Mutterschaftsurlaub wird 16 Wochen dauern und Müttern, die seit mindestens drei Monaten im Kanton arbeiten, ein Einkommen von 80% des letzten Lohnes garantieren. Diese Lösung wurde sowohl von den linken wie den rechten Parteien sowie der Kantonsregierung unterstützt und Mitte Dezember vom Grossen Rat angenommen. Die Neuregelung tritt auf den 1. Juli 2001 in Kraft [80].
 
[76] AB NR, 2000, S. 834 ff. Siehe SPJ 1999, S. 278 ff. 76
[77] AB SR, 2000, S. 498 ff. 77
[78] AB SR, 2000, S. 901 ff. Zum ILO-Abkommen siehe auch die Antwort des BR auf eine diesbezügliche Interpellation der SP-Fraktion (AB NR, 2000, S. 1204). Die Ablehnung wurde auch mit dem Argument begründet, dass die ILO im Juni eine neue Konvention für den Mutterschutz verabschiedet habe, womit die Konvention 103 obsolet geworden sei. Zum neuen Abkommen siehe BaZ, 16.6.00. 78
[79] AB NR, 2000, S. 1077 f. 79
[80] TG, 22.3., 31.3. und 29.8.00; LT, 3.7.00; TA, 28.11.00; Presse vom 15.12. und 16.12.00; Ww, 21.12.00. Der Grosse Rat des Kantons VS nahm eine Motion an, mit welcher die Regierung beauftragt wird, eine aus Mitteln der öffentlichen Hand finanzierte Mutterschaftsversicherung einzuführen (LT, 10.2.00; 24h, 5.4.00). 80