Année politique Suisse 2000 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen
 
Ausländerpolitik
Der Nationalrat überwies ein Postulat Rennwald (sp, JU), das den Bundesrat zu prüfen bittet, ob in Zusammenarbeit mit den Kantonen, den Sozialpartnern und den geeigneten Forschungsinstanzen eine Stelle zur Überwachung der Freizügigkeit im Personenverkehr geschaffen werden könnte. Diese Stelle hätte die Aufgabe, die globalen Auswirkungen der mit der EU vereinbarten Freizügigkeit – namentlich in den Bereichen des Arbeitsmarktes, der Entlöhnung, der Arbeitsbedingungen, der Bevölkerungsentwicklung, der Ausbildung, des Wohnens, der Umwelt und des Verkehrs – laufend zu untersuchen und den Behörden zur Kenntnis zu bringen [1].
Anfangs Juli gab der Bundesrat seinen Vorentwurf für ein neues Ausländergesetz (AuG) in die Vernehmlassung, welches das alte Gesetz über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern (ANAG) ersetzen soll. Die neue Regelung wird in erster Linie für jene heute rund 40 Prozent in der Schweiz lebenden Ausländerinnen und Ausländer Geltung haben, die nicht aus einem EU- oder EFTA-Staat stammen. Der Gesetzesentwurf regelt nicht alle Bereiche der Migrationspolitik in gleicher Dichte – klar ausgenommen ist die Asylgesetzgebung –, er skizzierte aber den Gesamtrahmen. Eine Migrationsaussenpolitik soll der unfreiwilligen Wanderung entgegenwirken, indem die Herkunftsländer in ihrer Entwicklung unterstützt, die Menschenrechte gefördert und Konflikte bekämpft werden. Hinzu kommt die Zusammenarbeit mit anderen Staaten im Bereich Asyl und Rückübernahme von Personen, wozu der Bundesrat entsprechende Vertragskompetenzen erhalten möchte. Die Integration wird zum (Querschnitts-)Anliegen erklärt, das Bund und Kantone bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu berücksichtigen haben.
Über die Zulassung von Ausländern heisst es grundsätzlich, die Immigration dürfe eine ausgeglichene demographische und soziale Entwicklung nicht beeinträchtigen – der Begriff „Überfremdung“ befindet sich nicht mehr im Gesetz. Die Rekrutierung von Arbeitnehmenden soll im Interesse der Gesamtwirtschaft erfolgen, also nicht wie bisher teilweise einseitig nach den Wünschen bestimmter (strukturschwacher) Sektoren und Regionen. Aufenthaltsbewilligungen für nicht EU- oder EFTA-Staatsangehörige sollen an Führungskräfte, Spezialisten und andere ausgebildete Arbeitnehmende erteilt werden können, deren Qualifikation, berufliche Anpassungsfähigkeit, Sprachkenntnisse und Alter eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt erwarten lassen. Abweichende Regeln sollen für Investoren, anerkannte Personen aus Wissenschaft, Kultur und Sport sowie bei speziellem Bedarf möglich sein. Die Nachfrage nach weniger qualifizierten Arbeitskräften muss im EU- und EFTA-Raum gedeckt werden. Die Kurzaufenthaltsbewilligung wird neu definiert (ein Jahr mit Verlängerungsmöglichkeit), das Saisonnierstatut definitiv aufgehoben.
Die Ausländer, welche die Eintrittshürden genommen haben, sollen gegenüber heute mehr Rechte erhalten. Kurzaufenthaltern kann der Familiennachzug bewilligt werden. Personen mit (befristeter) Aufenthaltsbewilligung haben nach fünf Jahren Anspruch auf deren Verlängerung und nach zehn Jahren grundsätzlich das Recht auf die Niederlassung. Die Zulassung zur Erwerbstätigkeit ist nicht mehr an eine bestimmte Stelle gebunden; der Wechsel des Wohnsitzkantons erfordert nach wie vor eine Bewilligung, muss unter gewissen Bedingungen aber gewährt werden. Vorgesehen sind schärfere Sanktionen für Scheinehen und für die Beschäftigung illegal anwesender Personen [2].
In der Vernehmlassung wurde die Vorlage arg zerzaust. Einzig die CVP und die FDP stimmten grundsätzlich zu und begrüssten die vorgeschlagenen Massnahmen zur Integration. Die SVP verlangte eine noch deutlichere Unterscheidung zwischen Angehörigen von EU/EFTA-Staaten und dem Rest der Welt. Immigranten von ausserhalb Westeuropas sollten auch nach erfolgter Einreise schlechter gestellt bleiben: den Familiennachzug für Kurzaufenthalter lehnte sie als zu grosszügig geregelt ab. SP, GP sowie die Gewerkschaften kritisierten generell die diskriminierende Unterscheidung in zwei unterschiedliche Ausländerkategorien. Die im neuen AuG vorgesehenen Verschärfungen beim Widerruf einer Aufenthaltsbewilligung und bei der Ausschaffungshaft sowie die vorgeschlagenen Massnahmen gegen Transportunternehmen, die Personen befördern, denen wegen fehlender Papiere die Einreise verweigert wird (Übernahme der Aufenthalts- und der Rückreisekosten) erachtete das links-grüne Lager als inakzeptabel. Dessen Vertreter verlangten deshalb eine Neubearbeitung des Entwurfs, da dieser „den Geist der 18-Prozent-Initiative atme“ (siehe unten) [3].
Der NR überwies eine Motion Hasler (svp, AG), die eine bessere Information der Migrationswilligen in den Herkunftsländern verlangte, als Postulat. Eine Motion Freund (svp, AR), welche die Voraussetzungen für den Familiennachzug drastisch verschärfen wollte, wurde auf Antrag des Bundesrates abgelehnt. Strengere Massnahmen gegen Scheinehen forderte eine Motion Baumann (svp, TG), die von Garbani (sp, NE), Goll (sp, ZH) und Vermot (sp, BE) bekämpft und deshalb im Nationalrat noch nicht behandelt wurde [4]
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Ausländische Bevölkerung
Der Ausländeranteil stieg im Berichtsjahr von 19,2 auf 19,3%. Die ständige ausländische Bevölkerung (ohne Asylbewerber, internationale Funktionäre, Saisonniers und Kurzaufenthalter) belief sich Ende Dezember auf 1 384 383 Personen. 75% hatten eine Niederlassungs-, 25% eine Jahresbewilligung. Den grössten Zuwachs verzeichneten die Deutschen (+5,9%), die stärkste Abnahme die Spanier (-3,9%) und Italiener (-2,5%), was neben der Rückwanderung vor allem auf die sprunghaft gestiegene Zahl von Einbürgerungen (30 452) zurückzuführen ist. Die Zunahme der ausländischen Wohnbevölkerung kam fast ausschliesslich durch Personen von ausserhalb der EU (Balkan und Sri Lanka) zustande. Den höchsten Ausländeranteil hatte Genf mit 34,6%, den tiefsten Uri mit 8%. Ende Jahr waren insgesamt 885 789 Ausländerinnen und Ausländer im Arbeitsprozess integriert, 3,5% mehr als im Vorjahr. Die erwerbstätigen Jahresaufenthalter und Niedergelassenen verzeichneten gegenüber Ende 1999 einen leichten Anstieg von 2,3%, die Grenzgänger nahmen um 7,7% und die Saisonniers um 25,1% zu. Diese Zahlen widerspiegeln den anhaltenden Konjunkturaufschwung. Weitaus am meisten Arbeitsplätze wurden im Sektor Handel/Banken/Versicherungen neu mit Ausländerinnen und Ausländern besetzt. Es folgten die Metall- und Maschinenindustrie und das Gesundheitswesen [5].
Gemäss einer Statistik des BFS unterscheiden sich die ausländischen Erwerbstätigen deutlich von der einheimischen Bevölkerung. 60% der ausländischen Arbeitskräfte sind jünger als 40 Jahre (gegenüber 49% bei den Schweizern), während der Frauenanteil lediglich bei 37% (44% der Schweizerinnen) liegt. Vollzeitstellen sind dabei der Normalfall. Eine Erklärung bietet das insgesamt tiefere Lohnniveau: Ausländerinnen und Ausländer (ohne Asylbewerber, Grenzgänger, Saisonniers und Kurzaufenthalter) verdienen im Monat durchschnittlich 14% weniger als ihre Schweizer Kollegen, so dass sich viele eine Teilzeitarbeit gar nicht leisten können. Noch grösser sind allerdings die Unterschiede innerhalb der Ausländerbevölkerung selber. Nord- und Westeuropäer, die in der Schweiz arbeiten, verdienen rund 9% mehr als Schweizer, 27% mehr als Beschäftigte aus Südeuropa und 50% mehr als Personen aus nicht EU- oder EFTA-Ländern. Der Grund für ihre höheren Gehälter sind eine bessere Ausbildung und in der Folge eine bedeutendere Position auf der beruflichen Karriereleiter [6].
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Zulassung
Am 24. September gelangte die 1995 von einem rechtsbürgerlichen Komitee eingereichte Volksinitiative „für eine Regelung der Zuwanderung“ („18-Prozent-Initiative“) zur Abstimmung. Bundesrat und Parlament hatten in den Vorjahren diese Initiative einhellig abgelehnt. Sie waren der Auffassung, die verlangte Begrenzung des Ausländeranteils (inklusive Asylbewerber, die seit mehr als einem Jahr in der Schweiz leben) auf 18% der Wohnbevölkerung würde das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU torpedieren, sei inpraktikabel, ethisch fragwürdig und wirtschaftsfeindlich. Die Interessen der Wirtschaft waren denn auch das Hauptargument, mit dem das überparteiliche Gegenkomitee, dem anfänglich 181 eidgenössische Parlamentarier und Parlamentarierinnen von CVP, FDP, SP, SVP, EVP, LP und GP angehörten, den Abstimmungskampf führte. SP, Gewerkschaften, Grüne sowie einzelne Abgeordnete der CVP distanzierten sich dann aber im Lauf der Wochen immer stärker von der Wirtschaftslastigkeit der Argumentation und gründeten schliesslich ein zweites Komitee, das unter dem Titel „Appell für eine tolerante Schweiz“ in erster Linie die Achtung der Menschenrechte, die Integration und die erleichterte Einbürgerung als Ziele der Ausländerpolitik betonte. Die Ablehnung in den Reihen der SVP wurde allerdings immer brüchiger. Nachdem die Zürcher Kantonalpartei mit ihrer Nein-Parole vorerst die Wirtschaft beruhigt hatte, scherten die SVP-Frauen als erste aus und empfahlen ein Ja. Gegen die Parteileitung beschloss dann auch die SVP-Basis an ihrer Delegiertenversammlung Zustimmung zur Initiative [7].
Mit 63,8% Neinstimmen wurde die Initiative deutlich abgelehnt. Kein einziger Kanton stimmte der geforderten Ausländerbegrenzung zu. Am knappsten war der Ausgang im Kanton Schwyz mit 48,4% Zustimmung, gefolgt von Aargau mit 47,5%. Am deutlichsten verwarf der Kanton Genf mit 76,1%. Ganz allgemein wurde die Initiative in der Romandie stärker abgelehnt als in der Deutschschweiz. Die vier welschen Kantone und das Wallis wiesen Neinstimmenanteile von über 70% aus, das zweisprachige Freiburg kam auf 69,2%. Bundesrätin Metzler zeigte sich sehr erfreut, dass die von den Initianten geschürten Fremdenängste nicht verfangen hätten. Sie interpretierte das klare Nein als Signal gegenüber dem Ausland, dass die Schweiz ihre internationale Verantwortung weiterhin wahrnehmen wolle [8]. im Anschluss an die Von-Wattenwyl-Gespräche der Bundesratsparteien präzisierte sie allerdings ihre Aussagen vom Abstimmungsabend. Es wäre falsch, aus der Ablehnung der Initiative eine Zustimmung der Bevölkerung zu einer verstärkten Zuwanderung aus Staaten ausserhalb der EU und der EFTA herauszulesen. Der Bundesrat wolle an einer restriktiven Zulassungspraxis festhalten. Zudem müsse eine konsequente Missbrauchsgesetzgebung geschaffen und eine effiziente Integrationspolitik betrieben werden [9].
Volksinitiative „für eine Regelung der Zuwanderung“ („18-Prozent-Initiative“)
Abstimmung vom 24. September 2000

Beteiligung: 45,3%
Ja: 754 626 (36,2%) / 0 Stände
Nein: 1 330 224 (63,8%) / 20 6/2 Stände

Parolen:
Ja: SVP (11*), SD, EDU, FP, Lega.
Nein: FDP, CVP, SP, LP, EVP, CSP, PdA, GP; ZSA, Economiesuisse, SGV, SBV, SGB, CNG, VSA.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Gemäss der Vox-Analyse dieser Abstimmung fand die Initiative bei zwei Dritteln der SVP-Sympathisanten Unterstützung. Von den Anhängern der anderen bürgerlichen Bundesratsparteien stimmte je ein Drittel für eine Beschränkung der Einwanderung. Bei der SP lag die Zustimmung bei 12%. Vergleicht man die Ergebnisse mit früheren Abstimmungen zur Einwanderungspolitik, lässt sich eine zunehmende Polarisierung zwischen Links und Rechts nachzeichnen. In den siebziger und achtziger Jahren lagen die Ja-Stimmenanteile von SVP-Sympathisanten bei Überfremdungsinitiativen jeweils im Durchschnitt der anderen Parteien, oft sogar leicht darunter. Die Resultate der jüngsten Abstimmung zeigten nun erstmals eine deutliche Abgrenzung von den anderen bürgerlichen Parteien. Das gleiche gilt umgekehrt für die SP: Noch 1988 hatten laut Vox 36% der SP-Anhänger der Initiative für eine Beschränkung der Einwanderung zugestimmt, ein Anteil, der damals sogar leicht über dem Durchschnitt von 32,7% lag. Anders als im Vorfeld der Abstimmung teilweise prognostiziert, verwarfen die Frauen mit 71% Nein die Initiative deutlich stärker als die Männer (59%). Auffällig war die überdurchschnittlich hohe Zustimmung bei den jungen Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern in der Altersgruppe zwischen 18 und 29 Jahren [10].
Im Rahmen der Legislaturplanung wollte Nationalrat Pfister (svp, SG) den Bundesrat verpflichten, trotz der bilateralen Verträge mit der EU Bestimmungen in das neue Ausländergesetz aufzunehmen, mit denen eine Stabilisierung des Ausländeranteils erreicht werden soll. Trotz anfänglicher Opposition von Vermot (sp, BE) und Garbani (sp, NE) wurde der Vorstoss schliesslich als Postulat verabschiedet [11].
Auf den 1. August wurden alle Ausländerinnen und Ausländer, die ein dauerhaftes Anwesenheitsrecht in einem EU- oder EFTA-Staat, in Andorra, San Marino, Monaco, Kanada oder den USA haben, von der Visumspflicht befreit, wenn sie in die Schweiz einreisen wollen. Reisende aus Thailand, Saudi-Arabien, Oman, Kuwait, Bahrein, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten müssen sich nicht mehr um ein Schweizer Visum bemühen, wenn sie über einen gültigen Pass und ein sogenanntes Schengen-Visum verfügen. Das Schengener Übereinkommen, dem sich der Bundesrat mit der neuen Regelung annähern möchte, wurde zwischen den EU-Staaten zur Abschaffung der Grenzkontrollen im Binnenverkehr geschlossen [12].
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Gesellschaftliche Integration
Im Rahmen der Legislaturplanung 1999-2003 deponierte die vorberatende Kommission des Nationalrates eine Richtlinienmotion, die den Bundesrat beauftragen wollte, im Rahmen der Beratungen des neuen Ausländergesetzes (AuG) den eidgenössischen Räten einen ausführlichen Bericht über die Integration der Ausländerinnen und Ausländer mit Arbeitsbewilligung C (Niederlassung) zu unterbreiten. Dieser sollte auch eine eingehende Untersuchung über den Beitrag dieser Arbeitskräfte an die Wirtschaft und die soziale Sicherheit enthalten. Der Bericht sollte insbesondere darlegen, welche Massnahmen der Bund unternimmt, um die rasche berufliche Eingliederung von ausländischen Personen sicher zu stellen, die arbeitslos sind und allenfalls Leistungen der Sozialhilfe beziehen. Zudem sollte er Aufschluss darüber geben, wie gross der Bedarf an ausländischen Arbeitnehmenden in wirtschaftlicher und demographischer Hinsicht in den nächsten 15 Jahren sein dürfte. Die Kommission begründete ihren Vorstoss mit dem Anliegen, dass die Schweiz als eigentliches Einwanderungsland, in dem einmal mehr mit einer Volksinitiative Überfremdungsängste geschürt würden (siehe oben), daran gehen müsse, die migrationsbedingten Vorurteile sowie die Lücken ihrer Migrationspolitik einer objektiven Analyse zu unterziehen. Der Bundesrat verwies auf sehr differenzierte bereits geleistete oder anstehende Arbeiten in diesem Bereich (insbesondere das Nationale Forschungsprogramm 39 zu den vielfältigen Aspekten der Migration) und beantragte Umwandlung des Vorstosses in ein Postulat. Mit 97 zu 88 Stimmen wurde er allerdings in die Minderheit versetzt, nicht aber so im Ständerat, der die Motion lediglich als Postulat überwies [13].
Ebenfalls zur Legislaturplanung reichte Hollenstein (gp, SG) eine Motion ein, mit welcher der Bundesrat verpflichtet werden sollte, Massnahmen einzuleiten, damit die Schweizer Bevölkerung die hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer nicht nur akzeptiert, sondern ihrerseits einen Beitrag zum besseren Zusammenleben leistet. Da der Bundesrat darauf verwies, dass dies dank dem neuen Integrationsartikel im revidierten ANAG durchaus so vorgesehen sei, wurde der Vorstoss lediglich als Postulat angenommen [14].
Weil der Bundesrat entgegen den Empfehlungen der Eidgenössischen Ausländerkommission (EKA) beschloss, deren Sekretariat in das dem EJPD unterstellte Bundesamt für Ausländerfragen (BFA) einzugliedern, traten sowohl der EKA-Präsident, alt Nationalrat Fulvio Caccia (cvp, TI), wie auch die Vizepräsidentin und die Vertreter der Gewerkschaften und der Ausländerorganisationen Mitte Januar unter Protest und mit sofortiger Wirkung zurück. Die EKA hatte mehrmals betont, sie halte es für verfehlt, eine auf Integration ausgerichtete Kommission an ein Bundesamt zu binden, das vor allem polizeiliche Aufgaben wahrnimmt; die Unterstellung der EKA unter das BFA sei nicht dazu angetan, das Vertrauen der Ausländerinnen und Ausländer zu gewinnen. Sie hatte vorgeschlagen, für die Ausländerintegration einen Delegierten oder ein ausserhalb des BFA stehendes Büro vorzusehen. Die Zurücktretenden kritisierten auch das geringe finanzielle Engagement des Bundes. Obgleich das teilrevidierte ANAG mit dem Integrationsartikel auf den 1. Oktober 1999 in Kraft getreten war, hatte der Bundesrat darauf verzichtet, die nötigen Kredite in den Voranschlag für das Jahr 2000 aufzunehmen. Er machte für diese Verzögerung geltend, zuerst müsse eine Verordnung die künftigen Aufgaben der EKA präzisieren. Diese stellte er für den Herbst des Berichtsjahres in Aussicht. Entgegen den Forderungen der EKA (15 Mio Fr.) wollte er dem Parlament lediglich 5 Mio Fr. zur Förderung von Integrationsprojekten beantragen [15].
Der Bundesrat besetzte umgehend die Leitung der EKA neu. Mit der ehemaligen Solothurner CVP-Ständeratin Rosmarie Simmen als Präsidentin und dem Zürcher Sozialamtsvorsteher Walter Schmid fand er zwei Persönlichkeiten, die auch unter den Kritikern der bisherigen Integrationspolitik Anerkennung geniessen. Die anderen zurückgetretenen Mitglieder der Kommission wurden nicht ersetzt, da deren Mandat ohnehin Ende 2000 ausgelaufen wäre. Simmen und Schmid bezeichneten es als vordringliche Aufgabe der EKA, das Vertrauen der Ausländervertreter wiederherzustellen. Die Anbindung ans BFA fanden sie gerechtfertigt. Damit verschaffe sich die EKA in jenem Amt Gehör, das für die ausländerpolitisch relevantesten Fragen (Einbürgerungen, Arbeitsmarktregelungen, Fremdenpolizei) zuständig ist [16].
Die neue Führungscrew der EKA publizierte Ende März den von ihren Vorgängern erstellten Integrationsbericht. Simmen erklärte, dieser Bericht sei durch die Rücktritte keineswegs zur Makulatur verkommen, sondern bilde die Grundlage für die weitere Arbeit der Kommission [17]. Die Priorität will die EKA auf den Spracherwerb legen. Sie wies aber auch auf die Schwierigkeiten der Umsetzung hin. Der gesetzliche Handlungsspielraum, Ausländer nach Ende der obligatorischen Schulzeit zu Kursen in einer Landessprache zu zwingen, wie dies bürgerliche Politiker immer wieder verlangt hatten, sei eher klein. Bei EU-Bürgerinnen und -Bürgern würde das bilaterale Abkommen über den freien Personenverkehr solche Bedingungen sowieso ausschliessen. Die EKA empfahl deshalb, bei Neurekrutierungen von ausländischem Personal das Erlernen der Sprache schon im Arbeitsvertrag vorzusehen. Im Schulbereich warnte die Kommission vor einer Ausgrenzung der Ausländerkinder durch getrennte Klassen [18].
Die zurückgetretenen Ausländervertreter äusserten sich im Juni an einer Pressekonferenz zu ihren Vorstellungen über das weitere Vorgehen. Sie baten den Bundesrat noch einmal, einen eigentlichen Integrationsdelegierten im EJPD einzusetzen, der nicht dem BFA, sondern direkt der Amtsvorsteherin unterstellt wäre. Als Pendant zur „Fremdenpolizeikommission“ schlugen sie die Gründung eines breiten Forums zur Ausländerintegration vor, in dem analog zum Dachorgan der Schweizerischen Flüchtlingshilfe nicht nur die ehemals in der EKA vertretenen Organisationen und Gewerkschaften Einsitz nehmen sollten, sondern alle Institutionen, die sich mit Integrationsaufgaben befassen [19]. Eine Mitte Juli stattfindende Aussprache der Ausländervertreter mit Bundesrätin Metzler brachte keine Einigung, deutete aber an, dass sich die Fronten aufzuweichen begannen. Der Durchbruch erfolgte Anfang September. In einem Memorandum machte Metzler in mehreren Punkten Zugeständnisse. Sie beharrte zwar auf der Einbindung des EKA-Sekretariats ins BFA, wo eine neue Sektion „Integration“ geschaffen wird, die Kommission an sich wird jedoch direkt dem Gesamtbundesrat unterstellt und zur Hälfte mit Vertretern der Ausländerorganisationen besetzt. Die der EKA für 2001 zur Verfügung stehende Summe wurde auf 10 Mio Fr. verdoppelt [20].
Diese Zusagen bildeten die Eckpunkte der Integrationsverordnung, die der Bundesrat auf den 1. Oktober in Kraft setzte. Sie definiert die Integration als Querschnittsaufgabe, die von der Gesellschaft sowie von den Behörden von Bund, Kantonen und Gemeinden gemeinsam mit den Ausländerorganisationen wahrgenommen werden müsse. Diese Bestrebungen sollen das gegenseitige Verständnis zwischen der schweizerischen und der ausländischen Bevölkerung fördern. Zentrale Anliegen der Integration sind ein Zusammenleben auf der Basis gemeinsamer Grundwerte und Verhaltensweisen, die Information der Ausländer über schweizerische Einrichtungen und Lebensbedingungen sowie deren Chancengleichheit und Teilnahme am Gesellschaftsleben [21].
Mit einer Motion forderte die SP-Fraktion, im Bereich der Aus- und Fortbildung eine Offensive zur Integration der ausländischen Bevölkerung zu lancieren. Sie verlangte insbesondere die Einrichtung eines Systems zur beruflichen Orientierung sowie das Recht auf das Erlernen einer Landessprache und eines Berufs. Die Arbeitgeber sollten verpflichtet werden, die Arbeit der ausländischen Beschäftigten so zu organisieren, dass diese während ihrer Arbeitszeit die entsprechenden Angebote wahrnehmen können; zudem sollten die Arbeitgeber einen Drittel oder die Hälfte der Kosten tragen. Der Bundesrat war bereit, die Motion in Postulatsform anzunehmen. Da ihr das Anliegen äusserst wichtig erschien, beharrte die SP aber auf der verbindlichen Form, worauf die Motion mit 82 zu 61 Stimmen abgelehnt wurde [22].
 
[1] AB NR, 2000, S. 843.1
[2] Presse vom 6.7.00. Gemäss Personenfreizügigkeitsabkommen kann die Schweiz nach dessen Inkrafttreten noch während 5 Jahren Kontingente festlegen; geeinigt hat man sich auf 15 000 Einheiten für Dauer- und 115 000 für Kurzaufenthalter. Zu einem Problem könnten allenfalls bereits illegal in der Schweiz anwesende Schwarzarbeitende werden: In der EU verletzen sie lediglich eine „Meldepflicht“ und können deshalb bei ihrer Entdeckung den Antrag auf Legalisierung ihres Aufenthalts stellen, während sie nach geltendem schweizerischen Recht ausgewiesen werden (SHZ, 13.12.00).2
[3] Presse vom 15.11.00.3
[4] AB NR, 2000, S. 676, 1180 und 1599. Vgl. SPJ 1999, S.285.4
[5] Presse vom 21.1.01. Ende Juni 2000, im Zeitpunkt des saisonalen Höchststandes der Arbeit waren 966 000 Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz beschäftigt, 10 000 mehr als im Vorjahr, aber immer noch 95 000 weniger als 1991, dem letzten Jahr vor dem Konjunktureinbruch.5
[6] NZZ, 12.1.01.6
[7] Presse vom 13.7.-23.9.00. Siehe auch: „Der Schweizerische Arbeitmarkt – ein wachstumslimitierender Faktor?“, in Credit Suisse, Economy Briefing, Nr. 19, September 2000 (längerfristige Auswirkungen einer Annahme der Initiative auf die Schweizer Wirtschaft). Vgl. SPJ 1999, S. 287.7
[8] BBl, 2001, S. 183 ff.; Presse vom 25.9.00.8
[9] Presse vom 11.11.00. Zur erleichterten Einbürgerung von Ausländern der zweiten und dritten Generation, die Metzler in diesem Zusammenhang ebenfalls ansprach, siehe oben, Teil I, 1b (Bürgerrecht und Stimmrecht).9
[10] Ballmer-Cao, Than-Huyen e. a., Analyse der eidgenössischen Abstimmungen vom 24. September 2000, Vox Nr. 71, Genf 2000. Vgl. SPJ 1988, S. 211 ff. 10
[11] AB NR, 2000, S. 841 und 1052. 11
[12] Presse vom 29.7.00. Siehe dazu auch die Antwort des BR auf eine Interpellation Hess, fdp, OW (AB SR, 2000, S. 44 ff.). 12
[13] AB NR, 2000, S. 803 f.; AB SR, 2000, S. 657. Zu ersten Ergebnissen des NFP 39 „Migration und interkulturelle Beziehungen“ siehe Bund, 27.5.00. 13
[14] AB NR, 2000, S. 841. 14
[15] Presse vom 13.1., 14.1. und 28.1.00. Siehe SPJ 1998, S. 280 und 1999, S. 288 f. 15
[16] Presse vom 3.2.00; LT, 16.3.00. Bund, 18.3.00 (Interview Simmen). Siehe dazu die Antwort auf eine Interpellation Brunner (sp, GE) (AB SR, 2000, S. 272 f.). Ein Postulat Zisyadis mit der Anregung, die EKA vom EJPD ins EDI zu transferieren, wurde auf Antrag des BR abgelehnt (AB NR, 2000, S. 1604). 16
[17] Siehe SPJ 1999, S. 288 f. 17
[18] Lit. Eidgenössische; Presse vom 28.3.00. Der NR nahm eine Motion des nicht mehr dem Rat angehörenden Aargauers Bircher (cvp) zur Förderung der Sprachschulung als Postulat an. Der Vorstoss entsprach einer im Vorjahr vom NR angenommenen Motion von alt SR Simmen (cvp, SO): AB NR, 2000, S. 674 ff. Siehe SPJ 1999, S. 289 f. 18
[19] Presse vom 20.6.00. Das Forum wurde im November gegründet, wird aber erst Ende 2001 seinen Betrieb aufnehmen (CdT, 13.11.00). 19
[20] NZZ, 14.7.00; Presse vom 8.9.00. 20
[21] Presse vom 14.9. und 24.11.00. Mit einer Motion wollte die SP-Fraktion den BR verpflichten, eine landesweite Informationskampagne zur Ausländerintegration zu finanzieren. Der Vorstoss wurde als Postulat überwiesen (AB NR, 2000, S. 448). 21
[22] AB NR, 2000, S. 482 f. 22