Année politique Suisse 2000 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen / Flüchtlingspolitik
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Gesetzgebung
Die SVP reichte Ende Jahr ihre Volksinitiative „gegen Asylrechtsmissbrauch“ mit 107 438 gültigen Unterschriften ein. Das Begehren verlangt einheitliche Fürsorgeleistungen auf tiefem Niveau für alle Asylsuchenden, die Ausarbeitung einer konsequenten Drittstaatenregelung (Nichteintreten auf ein Asylgesuch, wenn eine Person über ein „sicheres“, d.h. menschenrechtlich unbedenkliches Land eingereist ist) sowie Massnahmen gegenüber Fluggesellschaften, welche ihre Kontrollaufgabe bei der Einreise ungenügend wahrnehmen. Wie Repräsentanten der SVP einräumten, würde namentlich durch die konsequente Drittstaatenregelung praktisch jedes Asylgesuch in der Schweiz verunmöglicht werden, da Einreisen auf dem Landweg nur über die als „sicher“ geltenden Nachbarländer erfolgen können [26].
Seit seinem Amtsantritt hatte der Direktor des Bundesamtes für Flüchtlinge (BFF), Jean-Daniel Gerber, immer wieder die Frage in den Raum gestellt, warum im Flüchtlingsbereich nicht stärker nach dem Bonus-Malus-Prinzip gearbeitet werde. Die Arbeitsgruppe „Finanzierung Asylwesen“, in welcher Bund und Kantone gleichermassen vertreten sind, nahm diese Anregung auf und stellte in einem Bericht neue Massnahmen im Asylbereich vor, die zu einer Teilrevision des Asylgesetzes führen sollen. Mit finanziellen Anreizen will man das Verhalten der Asylsuchenden beeinflussen und die Behörden dazu bringen, Ausschaffungen rascher zu vollziehen. Eine Arbeitserlaubnis soll nur noch erhalten, wer seine Identität dokumentiert darlegt oder durch glaubwürdige Angaben die nötigen Voraussetzungen schafft, um die entsprechenden Papiere zu erhalten. Zudem schlug die Arbeitsgruppe vor, den nicht mit den Behörden kooperierenden Asylsuchenden den Bezug einer eigenen Wohnung oder die Unterbringung bei Verwandten zu verweigern. Für Asylbewerber, die sich trotz abgelehntem Gesuch hartnäckig weigern, bei der Beibringung von Ausweispapieren zu helfen, um sich so der Ausschaffung zu entziehen, soll die Sozialhilfe auf ein Minimum reduziert werden. Die Kantone sollen allerdings auch verstärkt in die Pflicht genommen werden. Zögert ein Kanton mit der Ausschaffung, muss er die Fürsorgekosten, die ihm im Normalfall vom Bund über eine Globalpauschale entschädigt werden, selber tragen. Im Bereich der Sozialversicherungen wurde vorgeschlagen, dass Asylbewerber, die nicht arbeiten können oder dürfen, keine Beiträge mehr an AHV und IV leisten müssen, dafür aber auch später keinen Anspruch auf Leistungen haben. Um dies zu realisieren, müssten die Sozialversicherungsabkommen mit der Türkei und den Nachfolgestaaten Jugoslawiens geändert werden. Die Arbeitsgruppe erwog zudem, Asylbewerber vom Obligatorium in der Krankenversicherung auszunehmen und die medizinischen Leistungen auf akute Erkrankungen zu beschränken [27].
Gegen den Willen des Bundesrates, der für den gesamten Vorstoss Umwandlung in ein Postulat beantragte, überwies der Ständerat (wenn auch nur knapp) drei Punkte einer Motion Merz (fdp, AR) in der verbindlichen Form. Zur Straffung des Asylverfahrens sollen die Möglichkeiten für Wiedererwägungsgesuche und Rekurse von abgewiesenen Asylbewerbern eingeschränkt werden. Zudem soll die Asylrekurskommission (ARK) angewiesen werden, Wegweisungsentscheide in Drittstaaten rascher zu fällen. Bundesrätin Metzler wandte vergebens ein, derartige Weisungen liefen der Unabhängigkeit des obersten Asylgerichts zuwider. Die Landesregierung wolle bei einer neuerlichen Asylgesetzrevision lieber eine praktikable Drittstaatenregelung einführen, die keinen Ermessensspielraum bei der Anwendung mehr lasse. Der von Merz geforderte Einsatz medizinischer Massnahmen bei der Abklärung der Identität von asylsuchenden Personen werde bereits praktiziert, führte Metzler weiter aus, weshalb hier kein gesetzlicher Handlungsbedarf bestehe. Dem Ruf nach einer weiteren Beschleunigung des Asylverfahrens hielt die Bundesrätin entgegen, auch die schnellsten Verfahren würden nichts nützen, wenn die Wegweisung nicht vollzogen werden könne. Vier weitere eher technische Punkte der Motion wurden nur in Postulatsform angenommen. Bei der Forderung nach Nichteintreten auf ein Asylgesuch, wenn der Asylbewerber bereits in einem anderen europäischen Land ein solches eingereicht hat, verwies die Justizministerin auf den Umstand, dass dies ohnehin erst möglich wäre, wenn die Schweiz mit den Staaten der EU eine Parallelüberkunft zum Erstasylabkommen von Dublin schliessen könnte. Gleich verfuhr der Nationalrat mit einer analogen Motion der FDP-Fraktion, obgleich Bundesrätin Metzler erneut für Umwandlung des gesamten Vorstosses in ein Postulat plädierte [28].
Der Ständerat hiess mit 24 zu 12 Stimmen eine Standesinitiative des Kantons Aargau gut, welche geschlossene und zentral geführte Sammelunterkünfte für straffällige oder renitente Asylsuchende verlangte. Die Initiative nannte als mögliche Gründe für eine Einweisung unter anderem Nichtbefolgen von behördlichen Anweisungen, Vorenthalten von vorhandenen Ausweispapieren oder auch nur ein Verhalten, dass darauf schliessen lasse, dass sich die Person nicht in die im Gastland geltende Ordnung einfügen werde. Über diese mehrfach als rechtstaatlich mehr als nur bedenklich bezeichneten Haftgründe herrschte im Rat zwar einiges Unbehagen; ein Rückweisungsantrag Plattner (sp, BS), der derartige Sammelunterkünfte als „nicht so weit vom Konzentrationslager“ entfernt charakterisierte, hatte dennoch keine Chance, obgleich er von einzelnen Bürgerlichen unterstützt wurde. Plattner argumentierte auch vergebens, die Umsetzung der Initiative würde einer Prüfung durch die Organe der Europäischen Menschenrechtskonvention keinesfalls standhalten, weil damit eine „Vorstufe der Straffälligkeit“ geschaffen werde. Die Völkerrechtskonformität sei machbar, legte sich hingegen Büttiker (fdp, SO) ins Zeug: Es brauche lediglich eine klare Definition der Einweisungsgründe in einem Gesetz. Der Bundesrat äusserte sich in diesem Zeitpunkt nicht zu dieser Standesinitiative [29].
Das tat er auch dann nicht explizit, als diese vom Nationalrat behandelt wurde. Da gleichzeitig auch eine im Vorjahr vom Ständerat überwiesene Motion Loretan (fdp, AG) zur Diskussion stand, die ebenfalls eine Internierung abgewiesener Asylbewerber verlangte, gab Bundesrätin Metzler aber zu verstehen, dass ihre Äusserungen zur Motion beide Vorstösse beschlage. Sie erklärte, der Bundesrat lehne diese aus rechtlichen, praktischen, finanziellen und politischen Gründen ab. Internierung resp. Konzentration in Sammelunterkünften bedeute einen schweren Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit; bei dieser Massnahme würde das Verhältnismässigkeitsprinzip rasch einmal überstrapaziert. Zudem würde damit eine völkerrechtlich nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung zwischen Schweizern und Ausländern eingeführt. Abschliessend meinte sie, durch das Einsperren aller Asylsuchenden und Ausländer, welche die schweizerische Rechtsordnung nicht achteten, löse man die Probleme nicht in Art eines Rechtsstaates. Der Standesinitiative wurde mit 108 zu 63 Stimmen keine Folge gegeben, die Motion Loretan mit 109 zu 60 Stimmen ebenfalls abgelehnt [30].
Der Ständerat beharrte allerdings auf seiner harten Linie. In der Wintersession nahm er mit 22 zu 6 Stimmen eine parlamentarische Initiative Hess (fdp, OW) an, die verlangt, das Asylgesetz sei dahingehend zu ergänzen, dass bei der Ergreifung eines illegal anwesenden Ausländers umgehend die Vorbereitungshaft angeordnet werden kann, wenn die Gefahr besteht, dass er untertauchen könnte, bevor ein Wegweisungsentscheid im Asylverfahren gefällt ist. Die kleine Kammer wollte damit dagegen ankämpfen, dass Ausländer ohne Asylbewerberstatus, die vermutlich in krimineller Absicht eingereist sind, nach heutiger Gesetzgebung die Ausschaffungshaft durch die Einreichung eines Asylantrags umgehen resp. verzögern können [31].
 
[26] BBl, 2000, S. 6233 f.; Presse vom 14.11.00. Siehe SPJ 1999, S. 291 f. Vor der Einreichung war es zu Unregelmässigkeiten bei der Unterschriftensammlung sowie zu Strafklagen von Privatpersonen aufgrund der Antirassismusstrafnorm gekommen (NZZ, 10.7.00; NLZ, 22.7.00). 26
[27] Presse vom 10.3.00. 27
[28] AB SR, 2000, S. 270 ff.; AB NR, 2000, S. 1185 f. Zur Drittstaatenregelung siehe auch die Antwort des BR auf eine Frage Heberlein (fdp, ZH) in AB NR, 2000, S. 315. 28
[29] AB SR, 2000, S. 54 ff. 29
[30] AB NR, 2000, S. 1041 ff. (Standesinitiative) und 1047 (Motion). Siehe SPJ 1999, S. 299. 30
[31] AB SR, 2000, S. 916 f. 31