Année politique Suisse 2000 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen / Familienpolitik
print
Schwangerschaftsabbruch
Der Bundesrat verabschiedete seine Botschaft zur Volksinitiative „für Mutter und Kind – für den Schutz des ungeborenen Kindes und für die Hilfe an seine Mutter in Not“, die eine äusserst restriktive Regelung der Schwangerschaftsabbruchs verlangt, der lediglich noch bei akuter Lebensgefahr für die Mutter erlaubt sein sollte. Er beantragte dem Parlament, die Initiative ohne Gegenvorschlag abzulehnen. Er erklärte dazu, die Initiative, die praktisch ein Abtreibungsverbot in der Verfassung verankern würde, lasse die Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse und Werte der letzten 30 Jahre ausser Acht. Zudem zeigte er sich überzeugt, dass das Parlament in der zur Debatte stehenden Frage der Fristenlösung ein mehrheitsfähiges Ergebnis vorlegen werde [67].
Im Berichtsjahr nahm der Ständerat die Beratung der 1993 eingereichten parlamentarischen Initiative Haering (sp, ZH) auf, welche einen straffreien Abbruch in den ersten 14 Wochen der Schwangerschaft verlangt, und die vom Nationalrat 1998 in diesem Sinn verabschiedet worden war. Neben einem Nichteintretensantrag Hofmann (svp, ZH) lag dem Plenum ein Antrag Schmid (svp, BE) auf Rückweisung an die Kommission vor, um die parlamentarische Initiative koordiniert mit der Volksinitiative behandeln sowie noch offene Fragen zwischenzeitlich abklären resp. nach weiteren möglichen Lösungen suchen zu können. Nach längerer Diskussion, die sich vor allem um ethische Fragen drehte, und in der Epiney (cvp, VS) erneut das von seiner Partei favorisierte „Schutzmodell“ einer Fristenlösung innerhalb der ersten 12 Wochen mit obligatorischer Beratungspflicht durch eine staatliche Stelle ins Spiel brachte, wurde mit 35 zu 6 Stimmen zwar Eintreten beschlossen, aus Rücksicht gegenüber der CVP, die im Fall einer Ablehnung ihres Modells bereits offen mit dem Referendum drohte, aber der Rückweisungsantrag Schmid mit 25 zu 18 Stimmen angenommen [68].
Die Rechtskommission des Ständerates ging daraufhin noch einmal über die Bücher. Sie hielt an ihrer liberalen Haltung (14 Wochen straffreier Abbruch) fest, schlug aber einen Mittelweg zwischen den Beschlüssen des Nationalrates (Fristenlösung ohne Wenn und Aber) und dem CVP-Schutzmodell vor. Demnach sollte die Frau schriftlich eine körperliche oder seelische Notlage geltend machen, und die behandelnden Ärzte gesetzlich verpflichtet werden, die betroffenen Frauen eingehend auf die medizinischen Risiken und auf die bestehenden Beratungsmöglichkeiten hinzuweisen; ein Zwang zur Beratung sollte aber nicht bestehen [69]. In letzterem Punkt folgte die kleine Kammer mit 21 zu 19 Stimmen und gegen den erneut von Bundesrätin Metzler zum Ausdruck gebrachten Wunsch des Bundesrates, der sich bereits im Vorjahr für das Modell der CVP ausgesprochen hatte, ihrer Kommission. Im Entgegenkommen an die CVP fügte sie aber noch einige Verschärfungen ein. Der straffreie Schwangerschaftsabbruch soll nur in den ersten 12 Wochen erlaubt sein (Antrag Pfister, svp, SG), und die zu einem Abbruch berechtigten Stellen seien von den Kantonen zu bezeichnen (Antrag Schmid, svp, BE) [70].
Um die Vorlage nicht zu gefährden, schwenkte der Nationalrat teilweise auf die Ständeratslinie ein. Der Schwangerschaftsabbruch wird in den ersten zwölf Wochen seit Beginn der letzten Periode straffrei. Für den Abbruch braucht es eine ärztliche, aber keine staatliche Beratung. Für diesen Kompromiss setzte sich eine Koalition aus FDP, SP, LP und GP ein; der neuerliche Versuch der geschlossen auftretenden CVP, eine Mehrheit hinter ihr „Schutzmodell“ zu scharen, scheiterte mit 116 zu 40 Stimmen klar. Die Bedingung der schriftlich formulierten Geltendmachung einer Notlage lehnte der Nationalrat ebenso ab wie die Erstellung kantonaler Listen von Abtreibungskliniken [71].
Mit einer Motion wollte die Rechtskommission des Ständerates den Bundesrat beauftragen, im Einvernehmen mit den Kantonen Massnahmen zu treffen, um dem medizinischen Personal das Recht einzuräumen, die Mitwirkung an Schwangerschaftsabbrüchen aus ethischen Gründen zu verweigern. Der Bundesrat vertrat die Auffassung, persönliche religiöse und weltanschauliche Überzeugungen seien im Grundkatalog der Bundesverfassung weitgehend geschützt. Zudem liege das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis, dem die meisten Medizinalpersonen in den Spitälern unterstellt sind, in der Kompetenz der Kantone. Auf seinen Antrag wurde der Vorstoss nur als Postulat überwiesen [72].
Das Bundesamt für Sozialversicherung erklärte die verschärft rezeptpflichtige Abtreibungspille Mifegyne auf den 1.12.2000 für kassenpflichtig. Der Verein „Schweizerische Hilfe für Mutter und Kind“, der sich mit allen Mitteln gegen die Zulassung dieser medikamentösen Form des Schwangerschaftsabbruchs gewehrt hatte, erklärte, er werde nun mit kantonalen Beschwerden weiter gegen Vertrieb und Anwendung des Medikaments ankämpfen. Ein erster Rekurs wurde im November im Kanton St. Gallen eingereicht [73].
 
[67] BBl, 2001, S. 675 ff. Siehe SPJ 1999, S. 303. 67
[68] AB SR, 2000, S. 406 ff. Vgl. SPJ 1998, S. 295 f. Für die Referendumsdrohungen der CVP siehe insbesondere: LT, 9.6.00; SGT, 14.6.00; NZZ, 19.6.00. 68
[69] Presse vom 12.9.00. 69
[70] AB NR, 2000, S. 533 ff. 70
[71] AB NR, 2000, S. 1425 ff. 71
[72] AB SR, 2000, S. 757. 72
[73] Presse vom 3.2.00; NZZ, 9.11., 13.11. und 15.11.00. Beide Parlamentskammern nahmen eine Petition der Schweizerischen Vereinigung Ja zum Leben, die ein Verbot von Mifegyne verlangte, zur Kenntnis, gaben ihr aber keine Folge (AB NR, 2000, S. 838; AB SR, 2000, S. 939). 73