Année politique Suisse 2000 : Bildung, Kultur und Medien / Bildung und Forschung / Grundschulen
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Schulreformen und -modelle
Anlässlich der Beratung einer Motion Zbinden (sp, AG) für eine gesamtschweizerische Volksschulreform wurde im Nationalrat von verschiedener Seite Kritik am Zürcher Vorprellen in Sachen Fremdsprachenunterricht laut. Trotz Bedenken hinsichtlich der Verletzung kantonaler Zuständigkeiten wurde die Motion mit 75 zu 73 Stimmen überwiesen. Die vom Ständerat noch nicht behandelte Motion beauftragt den Bundesrat, die Kantonsregierungen und die Schweizerische Konferenz der Kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) zur gemeinsamen Realisierung einer schweizerischen Volksschulmodernisierung anzuhalten – wobei Erneuerungsimpulse aus Zürich durchaus übernommen und auf sinnvolle Weise landesweit adaptiert werden sollten [10].
Die EDK sprach sich im Herbst einstimmig für eine Neuausrichtung des Bildungsangebots zwischen dem vierten und achten Lebensjahr durch die Einführung einer Basisstufe aus und hielt die Kantone dazu an, sich mit der Verschmelzung von Kindergarten und Primarschule im Rahmen von Schulversuchen kreativ auseinander zu setzen. Vier Empfehlungen formulierte die EDK im Sinne von Leitplanken für die Erprobungsphase: Erstens habe der Eintritt in die obligatorische Basisstufe frühestens zwei Jahre vor dem bis anhin geltenden Beginn der Schulpflicht zu erfolgen, und die neue Stufe solle längstens bis Ende des zweiten Primarschuljahres dauern. Zweitens seien die Lernziele in Mathematik bis zum Ende der Basisstufe gesamtschweizerisch festzulegen; der Fremdsprachenunterricht solle erst in der Primarschule beginnen. Drittens müsse der Unterricht bezüglich Alter, Sprache und Begabung in heterogenen Klassen erfolgen. Und viertens sei hinsichtlich des Übertrittalters in die Primarschule auf die Entwicklungsunterschiede der Kinder Rücksicht zu nehmen. Schliesslich empfahl die EDK den Kantonen dringend, die Reform der Lehrerbildung angesichts des neu entstehenden Typus „Basisstufenlehrkraft“ möglichst rasch in die Wege zu leiten [11].
An ihrem dreitägigen Kongress „Zukunft ist Lernen“ diskutierten die Mittelschulrektorinnen und -rektoren Reformen an der Sekundarschule II. Als Diskussionsgrundlage dienten 13 Thesen, die der Vorstand der Dachkonferenz „Treffpunkt Sekundarstufe II“ erarbeitet hatte. Darin fand sich unter anderem die Forderung nach einer gesamtschweizerischen Regelung der Maturitäts- und Diplomanerkennung, nach dem Verzicht auf Zulassungsbeschränkungen sowie nach einer Verstärkung der Aus- und Weiterbildung der Lehrpersonen. Eine der 13 Thesen postuliert ein eidgenössisches Mittelschulförderungsgesetz, welches ein breiteres subsidiäres Wirken des Bundes ermöglichen sollte – so zur Förderung des internationalen Austauschs, zur Einführung neuer Lerntechniken oder für die fachdidaktische Forschung an Universitäten. Offizielle Behördenvertreter wie der Zürcher Bildungsdirektor Ernst Buschor oder EDK-Präsident Hans-Ulrich Stöckling warnten aber vor zusätzlichen bildungspolitischen Verordnungen von oben [12].
Im Kanton Tessin gab die von Kreisen der katholischen Bewegung „Communione e Liberazione“ lancierte Volksinitiative „für eine tatsächliche Freiheit in der Schulwahl“ Anlass zu heftigen Diskussionen. Als zentraler Punkt forderte die Initiative staatliche Beiträge an Privatschulen und plädierte im weiteren für die Abschaffung des staatlichen Monopols in der öffentlichen Schule sowie für eine Wiederherstellung des durch die Trennung von Staat und Kirche verlorenen Einflusses des Christentums auf die Gesellschaft. Nach einer über neunstündigen Debatte hiess das Kantonsparlament gegen eine starke Ratsminderheit bestehend aus dem grössten Teil der FDP- sowie der SP-Fraktion das Volksbegehren zuhanden der Volksabstimmung gut und stellte ihm gleichzeitig einen Gegenvorschlag zur Seite, der den finanziellen Beitrag des Kantons auf die obligatorische Schulzeit beschränkt [13].
Nicht zuletzt als Reaktion auf die Ermordung eines Reallehrers im Kanton St. Gallen präsentierte die Kantonsregierung Ende des Berichtsjahres ein revidiertes Volksschulgesetz mit Massnahmen, die den Schutz und die Sicherheit der Bevölkerung verbessern und den Anspruch auf ein friedliches Zusammenleben unter den verschiedenen Kulturen unterstützen sollen. Vorgesehen ist die Einrichtung einer besonderen Unterrichts- und Betreuungsstätte für im Unterricht untragbar gewordene Schülerinnen und Schüler sowie die Möglichkeit der Einweisung von Schülerinnen und Schülern in ein Heim für Schwererziehbare. Weiter beinhaltet das revidierte Gesetz die Einführung eines jährigen, für alle neuzugezogenen ausländischen Schülerinnen und Schüler im Oberstufenalter obligatorischen Integrationskurses sowie die Möglichkeit einer ausnahmsweisen Entlassung von Schülerinnen und Schülern aus der Schule, denen die Schule objektiv nichts mehr bringe. Schliesslich wurde die Erteilung von Bussen für Eltern erwogen, die Elternabende schwänzen oder ihre Kinder bei der Schularbeit nicht unterstützen. Die Vorschläge der St. Galler Regierung lösten heftige Reaktionen und ein grosses Medieninteresse auf nationaler Ebene aus [14].
 
[10] AB NR, 2000, S. 880 ff.; AB NR, 2000, III, Beilagen, S. 128 ff.; NZZ, 19.9.00; TA, 20.12.00. Zur Fremdsprachendiskussion vgl. unten, Teil I, 8b (Sprachen).10
[11] Bund, 28.8.00; TA, 1.9. und 8.12.00. Vgl. SPJ 1999, S. 309 f.11
[12] NZZ, 16.5.00.12
[13] Presse vom 9.11.00; NZZ, 28.12.00.13
[14] Presse vom 7.11.00; SGT, 22.11.00.14