Année politique Suisse 2000 : Bildung, Kultur und Medien / Bildung und Forschung
Berufsbildung
Im Februar nahm der Bundesrat die Vernehmlassungsergebnisse zum Gesetzesentwurf für ein revidiertes Berufsbildungsgesetz (BBG) zur Kenntnis. Zu Diskussionen Anlass hatten weniger inhaltliche als finanzielle Aspekte gegeben. Ein klares Fazit zeigte die Vernehmlassung hinsichtlich der Finanzierungsgrundlage der Berufsbildungsreform, indem die Berufsbildung einhellig als strategische Aufgabe erachtet wurde, bei welcher die öffentliche Hand ihr Engagement nicht abbauen dürfe. Die Kantone plädierten für eine Erhöhung des Bundesanteils von 20 auf 30 Prozent. Der Bundesrat verabschiedete im September seine Botschaft an das Parlament, die er unter das Motto einer modernen, flexiblen, die Bedürfnisse von Wirtschaft und Gesellschaft berücksichtigenden Berufsbildung stellte. Das Gesetz soll neu alle Bildungsbereiche unterhalb der Hochschulstufe umfassen – also auch die Ausbildungsgänge für Gesundheit, Soziales und Kunst, die bis anhin in Kantonskompetenz lagen, sowie die bisher in entsprechenden Bundesgesetzen geordnete Ausbildung für Berufsleute aus der Land- und Forstwirtschaft. Die Konzentration in ein einziges Gesetz diene einer besseren Vergleichbarkeit und Durchlässigkeit der Berufslehrgänge untereinander und innerhalb des Bildungswesens insgesamt.
Die bundesrätliche Botschaft zum neuen BBG hielt am
dualen System von Berufsschule und Lehrbetrieb fest, wobei sie aber eine Forcierung des Unterrichts in eher theorielastigen Berufen (so im Hightech-, Gesundheits- und Sozialbereich) vorsah. So sollen neu Berufsfachschulen eingerichtet werden, die umgekehrt zur Lehre funktionieren, indem sie mehrheitlich beruflichen und allgemein bildenden Unterricht mit einem ergänzenden Praktika anbieten. Für bildungsschwächere Jugendliche ist eine sogenannte „berufspraktische Bildung“ geplant – eine in der Regel zweijährige Ausbildung für weniger umfassende Grundqualifikationen, die mit einem eidgenössischen Attest abgeschlossen wird und den Zugang zu einer verkürzten Lehre öffnen soll. Die Botschaft stellte schliesslich die Berufsbildung auf eine neue Finanzierungsgrundlage, indem ein Systemwechsel weg von der am Aufwand orientierten Subventionierung hin zu einer
aufgabenorientierten Pauschalfinanzierung der Kantone vollzogen wurde – ergänzt um die gezielte Subventionierung von Neuerungen und besonderen, im öffentlichen Interesse erbrachten Leistungen. Hierfür ist ein mit eigenem Antragsrecht ausgestatteter Innovationsrat anstelle des Berufsbildungsrates vorgesehen. Bundessubventionen nach den gleichen Pauschalen sollen auch an die neu zu integrierenden Berufe der Gesundheit, des Sozialen und der Kunst ausgerichtet werden. Der Bund will mit der Vorlage sein Engagement um insgesamt rund 150 auf 750 Mio Fr. pro Jahr steigern, was einer Erhöhung des Bundesanteils von einem Fünftel auf rund 25 Prozent entspricht
[32]. In diesem Zusammenhang hatte der Nationalrat eine Motion Widrig (cvp, SG) zur
Bildungsfinanzierung überwiesen und damit dem Bundesrat den Auftrag erteilt, im Rahmen des neuen Berufsbildungsgesetzes mehr Finanzmittel einzusetzen als vorgesehen
[33].
Zur Vermehrung der Ausbildungsplätze in Hightech-Branchen überwies der Nationalrat eine parlamentarische Initiative Strahm (sp, BE), welche eine
Berufsausbildungspflicht auch für konzessionierte Privatanbieter bei Telecom, Post und Bahnen fordert. Bei der Erteilung von Konzessionen an Unternehmungen im Bereich Telekommunikation und Transport seien gemäss Initiative künftig Lehrstellen zur Bedingung zu machen. Strahm stellte den Vorstoss als Teil einer bildungs- und wirtschaftspolitischen Strategie dar, mit welchem einerseits die Anwendung des dualen Lehrsystems mit Schule und Berufsarbeit auch in den neuen Technologien angestrebt wird und der andererseits dafür sorgen soll, dass die Wirtschaft auf genügend qualifizierte Arbeitskräfte im eigenen Land zurückgreifen kann – ohne dass neue Stellen mit ausländischen Informatikspezialistinnen und -spezialisten besetzt werden müssen
[34]. Im Rahmen dieser Strategie überwies die grosse Kammer auch eine Motion ihrer Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen, die den Bundesrat beauftragt, eine zeitlich begrenzte
Umschulungsoffensive im Bereich der Informatik auszulösen, um dem grossen Mangel an Informatikspezialisten und insbesondere -spezialistinnen zu begegnen. Angesichts des technologischen Wandels müsse trotz Wirtschaftsaufschwung – so Strahm – mit verbilligten Weiterbildungskursen der Arbeitnehmerschaft der Sprung in die digitale Technologie ermöglicht werden. Die Motion wurde vom Ständerat in ein Postulat umgewandelt und überwiesen
[35].
Im April präsentierte eine 1999 vom BBT eingesetzte Arbeitsgruppe das neue Konzept „
Informatik Berufsbildung Schweiz“. Damit war die Gruppe ihrem Auftrag nachgekommen, einen umsetzbaren Plan für die vereinheitlichte Berufsbildung „Informatikerin/Informatiker“ auszuarbeiten, wobei es ihr gelungen war, die unterschiedlichen Akteure – Berufsverbände, Wirtschaft sowie staatliche und private Ausbildner – auf eine gemeinsame Aktionslinie zu verpflichten. Das Konzept sieht eine Vereinheitlichung des Berufes sowie flexible, im Modulsystem aufgebaute Lerninhalte vor – mit dem Ziel, ab Lehrbeginn 2003 rund 4000 Lehrstellen neu besetzen zu können. Ab dem Jahr 2007 sollten es gar 12 000 bis 20 000 sein. Zur Umsetzung dieser Massnahmen wurde im Herbst auf Initiative des BBT die
Genossenschaft Informatik Berufsbildung Schweiz (
I-CH) gegründet
[36].
Ab August traten rund 100 Personen die neugeschaffene Ausbildung zur
Telematikerin oder zum
Telematiker an. Das entsprechende Berufsbild, das vom Verband Schweizerischer Elektro-Installationsfirmen (VSEI) und dem Verband Schweizerischer Telekom-Installationsfirmen (VSTI) in Zusammenarbeit mit dem BBT erarbeitet worden war, sieht ab Ende der Oberstufe eine vierjährige, ab Matura eine zweijährige Lehre vor. Mit der Schaffung des Berufs Telematik sollte dem Mangel an Fachleuten in den Bereichen Telekommunikation, Netzwerktechnik und Informatik begegnet werden
[37]. Mit 133 zu 2 Stimmen hatte der Nationalrat in diesem Zusammenhang eine bereits 1998 eingereichte Motion Theiler (fdp, LU) überwiesen, welche die Landesregierung beauftragt, eine
Offensive zur aktiven und raschen
Förderung von Telematikspezialistinnen und -spezialisten in der Schweiz zu starten. Als Zweitrat stimmte die kleine Kammer auf Antrag ihrer Kommission dem Vorstoss mit 15 zu 12 Stimmen nur in abgeschwächter Form als Postulat zu. Der Bundesrat hatte eine Umwandlung in ein Postulat vorgeschlagen, da die Motion in ihrer Formulierung eher einschränkend wirke angesichts der Vielfalt an zu treffenden Massnahmen zur Überführung der Schweiz in die Informationsgesellschaft
[38].
Als Postulat überwies der Ständerat zudem eine Standesinitiative des Kantons Solothurn für die Einführung einer
nachfrageorientierten Weiterbildungsfinanzierung mit dem Auftrag an die Regierung, einen Systemwechsel von der Angebots- zur Nachfrageorientierung zu prüfen, so dass nicht mehr die Anbieterinnen und Anbieter von Weiterbildungskursen, sondern weiterbildungswillige Personen mittels Bildungsgutscheinen subventioniert werden können. Damit folgte der Ständerat dem Vorschlag seiner WBK, die das Solothurner Begehren wohl als prüfenswert eingestuft, ihm jedoch keine Folge geleistet hatte, da es zu allgemein gehalten sei und ins Uferlose zu führen drohe
[39].
Im Sommer des Berichtsjahres wurde in den Kantonen Luzern, Uri, Ob- und Nidwalden zum ersten Mal die dreijährige
Hauswirtschaftslehre angeboten. Sie ersetzt das Haushaltslehrjahr, welches – wird es dennoch absolviert – als Einstieg in das zweite Jahr des neuen Lehrgangs angerechnet werden kann. Im Zusammenhang mit der Einführung der Hauswirtschaftslehre konstituierte sich in Sursee (LU) der Berufs- und Interessenverband Hauswirtschaft Zentralschweiz als juristische Trägerschaft. Mit der Einbindung der Hauswirtschaft in das Schweizerische Berufsbildungssystem wurde die Vernetzung mit anderen Berufen im Sozial- und Gesundheitsbereich sowie eine Aufwertung der Hauswirtschaft an sich angestrebt
[40].
Im Laufe des Berichtsjahres zeichnete sich eine erhebliche Verbesserung der Situation auf dem Lehrstellenmarkt ab. Das BBT meldete Mitte und Ende des Berichtsjahres einen Anstieg der
Anzahl offener Lehrstellen. Für das laufende Jahr wurde mit 74 500 abgeschlossenen Lehrverträgen ein Zuwachs von drei Prozent erwartet. Zwischen den Branchen waren jedoch eklatante Unterschiede zu verzeichnen. So hatte die Nachfrage im Informatikbereich von den gegen 3500 Lehrstellen bei weitem nicht gedeckt werden können; 600 dieser Lehrstellen waren allein im Berichtsjahr neu geschaffen worden. Hingegen blieben weniger begehrte Stellen im Gast- und Baugewerbe unbesetzt
[41].
In einer Botschaft zuhanden des Parlaments lehnte der Bundesrat die im Oktober 1999 von der Gewerkschaftsjugend eingereichte „
Lehrstellen-Initiative“ ab. Einen falschen Lösungsansatz biete die Forderung nach der Einrichtung eines Lehrstellenfonds, der von Firmen zu speisen sei, die keine Lehrstellen anbieten. Das Bonus-Malus-System käme einer verordneten Bildung gleich und löse unnötigen administrativen Aufwand aus. Zudem könne sich das System kontraproduktiv auswirken, wenn Firmen, die bis anhin freiwillig Lehrstellen angeboten hätten, versucht seien, die Bildungsverantwortung an den Bund abzutreten. Der Bundesrat führte das neue Berufsbildungsgesetz als indirekter Gegenvorschlag zur Initiative an. Die Initianten lehnten aber einen Rückzug des Volksbegehrens ab, solange ihre beiden Forderungen – die verfassungsmässige Verankerung des Rechts auf berufliche Grundausbildung und die Einrichtung eines Lehrstellenfonds – nicht erfüllt seien. Als fadenscheinig bezeichneten sie den formalen Einwand eines zu hohen Verwaltungsaufwands
[42].
Ende Jahr beschlossen der Schweizerische Verband für Berufsberatung und die Hochschule für angewandte Psychologie eine schulische Kooperation und hoben damit die
Berufsberater-Ausbildung auf Hochschulniveau. Das neue Studium dauert acht Semester, kann berufsbegleitend absolviert werden und soll den gesteigerten Anforderungen an die Berufsberaterinnen und -berater entsprechen, welche vermehrt auch mit Erwachsenen in Weiterbildung oder Umschulung betraut werden. Qualitätssteigerung und Spezialisierungsmöglichkeiten wurden des weiteren im
kaufmännischen Bereich angestrebt. Die betroffenen Berufsbildungsverbände stellten in Kooperation mit dem BBT ein neues
branchenübergreifendes Prüfungsverfahren vor, das KV-Absolventinnen und -absolventen in einer rund zweijährigen berufsbegleitenden Ausbildung eine Spezialisation für Arbeitsplätze bei Banken, Versicherungen oder im Gebiet der Finanzplanung ermöglichen soll
[43].
[32]
BBl, 2000, S. 5686 ff.; Presse vom 24.2., 15.5. und 7.9.00. Vgl.
SPJ 1999, S. 312 f. Siehe hierzu auch die Antwort des BR zum Vorstoss Hollenstein (gp, SG) betreffend die erweiterte Bundeskompetenz bei der Umsetzung des Berufsbildungsartikels in der neuen BV (
AB NR, 2000, S. 487 f.). 32
[33]
AB NR, 2000, S. 488 f.33
[34]
AB NR, 2000, S. 442 ff.; Presse vom 16.2.00;
Bund, 25.3.00.34
[35]
AB NR, 2000, S. 445;
AB SR, 2000, S. 637. Vgl. hierzu auch die Antworten des BR zu den Vorstössen Strahm (sp, BE) und Lalive d’Epinay (fdp, SZ) betreffend Mangel an ausgebildetem Personal im Informatikbereich bzw. an IT- und E-Commerce-Spezialisten (
AB NR, 2000, S. 487 und 1200).35
[36] Presse vom 8.4.00; Medienmitteilung BBT vom 22.9.00. Allg. zum Mangel an Informatikspezialistinnen und -spezialisten siehe
NLZ, 23.5.00. Vgl. auch die Antworten des BR zu den Vorstössen Pfister (svp, SG) betreffend vom Bund zu treffende Massnahmen gegen diesen Mangel (
AB NR, 2000, S. 845;
NZZ, 19.5.00) sowie betreffend die Berücksichtigung der besonderen Anforderungen des Arbeitsmarkts bei der Qualifizierung und Spezialisierung von Informatikspezialistinnen und -spezialisten (
AB NR, 2000, S. 845).36
[37]
NZZ, 24.5.00;
Bund, 29.5.00.37
[38]
AB NR, 2000, S. 485 ff.;
AB SR, 2000, S. 871 f.38
[39]
AB SR, 2000, S. 259 f.;
SZ, 7.6.00.39
[40]
NLZ, 6.6., 16.6.00. Vgl. hierzu die Antwort des BR zum Vorstoss Leuthard (cvp, AG) betreffend die Verteilung der Gelder vom Lehrstellenbeschluss II nach fairen Kriterien bzw. die Gleichstellung von Lehrstellen im Familienhaushalt mit Lehrstellen in der übrigen Wirtschaft zur Ermöglichung einer steuerlichen Abzugsfähigkeit der Lehrlingslöhne auch für Privathaushalte (
AB NR, 2000, S. 1610).40
[41]
NLZ, 15.7.01; Presse vom 15.8.01;
NZZ, 18.11.01;
LT, 24.11.01.41
[42]
BBl, 2001, S.97 ff.; Presse vom 26.10.00. Vgl.
SPJ 1999, S. 314.42
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