Année politique Suisse 2000 : Bildung, Kultur und Medien / Bildung und Forschung / Forschung
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Gentechnologie
Im Frühjahr präsentierte der Bundesrat die Inhalte der seit langem in Aussicht gestellten Gen-Lex-Vorlage. Im Mittelpunkt der Botschaft zur Gen-Lex, die den Artikel 120 der neuen Bundesverfassung konkretisiert, steht eine Änderung des Umweltschutzgesetzes, wobei aber auch entsprechende Anpassungen bei einer Reihe weiterer Bundesgesetze vorgenommen werden müssen [87]. Umweltminister Leuenberger war mit seiner Forderung nach einem Verbot für die kommerzielle Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen (GVO) nicht durchgedrungen. Die Botschaft enthielt weder ein solches Verbot noch ein Moratorium, wie es der Direktor des Bundesamts für Wald und Landschaft (BUWAL), Philippe Roch, vorgeschlagen hatte. Hingegen wurde die Haftungsfrage strenger geregelt. Vorgesehen war eine Haftpflicht der Hersteller von GVO mit einer Verjährungsfrist von 30 Jahren. Die Frist soll der Tatsache Rechnung tragen, dass allfällige Schäden erst in einer nächsten Generation bekannt werden können. Bei Schäden, welche auf eine unsachgemässe Verwendung von GVO zurückzuführen sind, hafte hingegen die Anwenderin oder der Anwender – bei einer maximalen Schadensumme von 20 Mio Fr. Um einem umfassenden Umwelt- und Tierschutz gerecht zu werden, soll im weiteren der verfassungsmässig verankerte Begriff der „Würde der Kreatur“ in der Gen-Lex konkretisiert werden. Der Bundesrat schränkte den Begriff in seiner Botschaft rechtlich auf Tiere und Pflanzen ein. Eine Verletzung derer Würde liege bei einer Tangierung ihrer artspezifischen Eigenschaften vor. Angesichts des weiten Interpretationsspielraums dieser Norm wurde die Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im ausserhumanen Bereich mit der entsprechenden Güterabwägung beauftragt. Zum Pflichtenheft der Kommission soll zudem die Information der Öffentlichkeit gehören, welcher der Bundesrat in der Vorlage grosse Bedeutung zuschrieb. Die Botschaft sieht unter anderem ein allgemeines Aktenzugangsrecht sowie die Förderung des Dialogs mit der Bevölkerung vor [88]. In diesem Zusammenhang hatte der Nationalrat in der Frühjahrssession eine Motion Gonseth (gp, BL) in abgeschwächter Form als Postulat überwiesen und damit vom Bundesrat gefordert, die Einführung des Öffentlichkeitsprinzips mit Geheimhaltungsvorbehalt in der Gen-Lex zu prüfen. Zur Umsetzung des Öffentlichkeitsprinzips war mit der Motion eine Verankerung folgender Punkte in der Gen-Lex verlangt worden: offene Information über alle neu angemeldeten Freisetzungsgesuche durch die zuständigen Bundesämter, Akteneinsicht für alle sowie eine einheitliche Informationspolitik in allen Bundesämtern, die in Bewilligungsverfahren von GVO involviert sind [89].
Die ständerätliche WBK begann die Vorberatung der Botschaft. Das Freisetzungsmoratorium war in der Kommission nach wie vor der umstrittenste Punkt der Vorlage – das heisst die Frage, ob eine einfache Bewilligungspflicht für Freisetzungen von GVO oder aber vorerst ein zehnjähriges Moratorium im Sinne eines Verbotes einzuführen sei. Nach wie vor offen war auch die Schaffung eines einzigen Gentechnikgesetzes – anstelle der vom Bundesrat vorgeschlagenen Anpassung verschiedener bestehender Gesetze an die neue Technik. Der Auftrag für die Formulierung eines entsprechenden umfassenden Gesetzes war erteilt worden, die WBK verfolgte aber weiterhin parallel dazu das Projekt des Bundesrates einer Anpassung des bestehenden Rechts. Mitte November zogen Umwelt- und Bauernorganisationen in einem Mediengespräch eine „Zwischenbilanz in Sachen Gentechnik“, nachdem die WBK mitgeteilt hatte, die Beratung der Gen-Lex-Vorlage im Ständerat werde nicht wie geplant in der Wintersession, sondern erst im Frühjahr 2001 in Angriff genommen werden. Ursprünglich waren die Beratungen für die Herbstsession vorgesehen gewesen. Diese weitere Verzögerung wurde von den Umweltorganisationen als Ausdruck einer bewussten Hinhaltetaktik interpretiert. Die Zeitschinderei ziele darauf ab, die Bewilligung eines ersten Gesuchs um Freisetzung von GVO durch das BUWAL zu provozieren und damit die Moratoriumsfrage vom Tisch zu wischen. An diesem Mediengespräch, aber auch anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Schweizerischen Arbeitsgruppe Gentechnologie (SAG) wurde signalisiert, dass die Absage an ein Moratorium die Lancierung einer Moratoriumsinitiative zur Folge haben könnte [90].
Die Schweizerische Akademie für Naturwissenschaften (SANW) unterstützte den Gen-Lex-Entwurf und äusserte sich insbesondere positiv zum vorgeschlagenen Bewilligungsverfahren für Freisetzungen von GVO. Handlungsbedarf sah die Akademie hingegen im Bereich der Risiko- und Sicherheitsforschung [91]. Eine durch die SANW durchgeführte Befragung wies bei Frauen eine grössere Skepsis gegenüber gentechnisch veränderten Lebensmitteln nach als bei Männern. Die Interviews ergaben bei beiden Geschlechtern befürwortende Einstellungen hinsichtlich des Einsatzes der Gentechnologie in der Medizin – wobei sich aber Frauen wiederum kritischer zur Nähe von Medizin und Industrie äusserten. Sie wiesen auf die Gefahr einer Dominanz wirtschaftlicher Interessen über medizinischen Nutzen hin [92]. Laut einer im Frühjahr durch den WWF bei 1000 Stimmberechtigten durchgeführten Umfrage lehnten diese den Einsatz von Gentechnologie in der Landwirtschaft mehrheitlich (73%) ab, wobei sich ein Drittel der Befragten auch gegen die Gentechnologie in der Medizin wendete. Generell habe – so der WWF – die Skepsis seit der Abstimmung über die Gen-Schutz-Initiative 1998 zugenommen. Demgegenüber wurde am „Tag der Genforschung“ Ende April von einem regelrechten Biotechnik-Boom beziehungsweise einer markanten Zunahme der wirtschaftlichen Aktivität auf dem Gebiet der Gen- und Biotechnologie gesprochen. So hatte Unitectra 1996 65 vorwiegend in der Biotechnik tätige Firmen gezählt – drei Jahre später deren 117. Der „Tag der Genforschung“ war 1998 lanciert worden und wurde im Berichtsjahr zum zweiten Mal unter der Trägerschaft des Schweizerischen Nationalfonds, des Basler Instituts für Immunologie, der Stiftung Gen Suisse und weiterer Forschungsinstitutionen durchgeführt [93].
Zu hitzigen Debatten mit anschliessendem Eklat führte die vom BUWAL initiierte Veranstaltungsreihe „Internationales Forum Gentechnologie“, bei der es gemäss BUWAL um die Vertiefung des Wissens über die Gentechnologie auf hohem Niveau und unter Beteiligung international bekannter und kompetenter Fachleute gehen sollte. Von den vier geplanten Veranstaltungen fand schliesslich nur die erste statt. An dieser hatten die Ausführungen von Jeremy Rifkin, US-amerikanischer Gentechnik-Kritiker, bei Gentech-Befürwortern – so insbesondere bei Nobelpreisträger Rolf Zinkernagel – heftige Reaktionen und diverse Protestschreiben an den Bundesrat provoziert. Zinkernagel warf Rifkin vor, unwissenschaftlich zu argumentieren und die Gentechnik regelrecht zu verteufeln. Dem BUWAL unterstellte Zinkernagel einseitiges Sponsoring, habe sich das Amt doch Rifkins Auftritt rund 30 000 Fr. kosten lassen. Das UVEK begründete seinen Entscheid zum Abbruch der ursprünglich als fruchtbarer Dialog gedachten Veranstaltungsreihe einerseits mit den hohen Kosten, andererseits mit der Fruchtlosigkeit der Kontroverse [94].
Hilfswerke und Nichtregierungsorganisationen setzten auch im Berichtsjahr ihren Kampf gegen die Patentierung von Leben sowie gegen eine Anpassung des Patentgesetzes an das EU-Recht fort, welches die Patentierung von gentechnisch veränderten Zellen und Organen von Menschen, Tieren und Pflanzen beschränkt zulässt. Im September lancierte eine Koalition von rund 30 Hilfswerken, Umwelt-, Bauern- und Konsumentenorganisationen eine landesweite Kampagne gegen Patente auf Leben. Über eine halbe Million Postkarten sollten unter die Bevölkerung gebracht und an Bundesrätin Metzler als oberste Chefin des Patentwesens geschickt werden. Von den Schweizer Bundesbehörden wurde gefordert, sich sowohl hinsichtlich der nationalen Gesetzgebung als auch im internationalen Rahmen gegen Patente auf Tiere, Pflanzen und Teile des menschlichen Körpers einzusetzen [95].
 
[87] BBl, 2000, S. 2391 ff. (Botschaft zu den Änderungen des BG über den Umweltschutz USG), 2434 ff. (Änderung des USG), 2441 f. (Produktehaftpflichtgesetz), 2443 f. (Tierschutzgesetz), 2445 (Gewässerschutzgesetz), 2445 f. (Lebensmittelgesetz), 2446 (Epidemiengesetz), 2447 (Landwirtschaftsgesetz), 2448 (Tierseuchengesetz), 2448 (Waldgesetz), 2449 (Jagdgesetz) sowie 2450 (BG über die Fischerei).87
[88] Presse vom 13.1., 20.1., 21.1. und 3.5.00. Vgl. SPJ 1999, S. 325 f.88
[89] AB NR, 2000, S. 450.89
[90] AZ, 17.5.00; Presse vom 17.8., 12.9., 9.11. und 15.11.00; NZZ, 31.8.00.90
[91] NZZ, 28.12.00.91
[92] NZZ, 1.12.00.92
[93] Presse vom 25.4. und 29.4.00. Vgl. SPJ 1998, S. 315 ff.93
[94] TA, 10.6., 14.6. und 21.10.00; Ww, 15.6.00; NZZ, 23.10.00; Bund, 25.10.00.94
[95] Presse vom 5.9.00. Vgl. SPJ 1999, S. 326.95