Année politique Suisse 2000 : Bildung, Kultur und Medien / Medien
 
Medienpolitische Grundfragen
Der Medienbarometer „Baromedia 2000“, eine im Februar und März des Berichtsjahres durchgeführte repräsentative Umfrage, bestätigte die bisherigen Trends in der Schweizer Medienlandschaft: Ein Vormarsch der elektronischen Medien gegenüber einer eher defensiven Position der Printmedien und die Etablierung des Internets als ernstzunehmendes Medium. Das Radio behielt seine Führungsposition mit 73% regelmässiger Nutzung vor dem Fernsehen mit 63%. Beide elektronischen Medien wurden von den Befragten in erster Linie zu Unterhaltungszwecken genutzt. Die Erosion bei den Tageszeitungen (56%) sowie bei den Wochenblättern (38%) war langsam aber stetig. Dennoch blieben die Tageszeitungen laut Umfrage das führende Informationsmedium. Unaufhaltsam war der Zuwachs beim Internet, in das sich 37% der Schweizer Bevölkerung regelmässig einloggten (+14%). 60% der Internetsurferinnen und -surfer gaben zudem an, das Web primär seiner Informationsfunktion wegen zu nutzen. Hinsichtlich der Glaubwürdigkeit stand nach wie vor der Teletext an erster Stelle (85%), gefolgt vom Radio (77%), den Printmedien (71%), dem Fernsehen (68%) und dem Internet (59%) [1].
Der Nationalrat überwies eine Motion Fehr (sp, SH) als Postulat und forderte damit den Bundesrat auf, eine Zusammenlegung der Totalrevision des Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG) mit der gesetzlichen Neuregelung der Presseförderung zu einem Mediengesetz zu prüfen. Dieses habe Vorschriften zur Qualitätssicherung im Bereich der publizistischen Grundversorgung zu enthalten, jegliche monopolistische Strukturen im Bereich von Presse, Radio, Fernsehen und Online-Medien zu verhindern sowie den publizistischen Wettbewerb in allen relevanten politischen Räumen der Schweiz und eine demokratiegerechte Öffentlichkeit zu garantieren. Dabei seien die zur Sicherstellung der Öffentlichkeit notwendigen Mittel durch Abschöpfung von Zuschlägen auf den Werbeumsätzen der Anbieterinnen und Anbieter publizistischer Produkte zu beschaffen. Die geltende Rechtsgrundlage zur Presseförderung – Abgeltungen in der Höhe von 90 Mio Fr. an die Post zur Verbilligung der Beförderungstaxen – kritisierte Fehr als typische Giesskannensubvention [2].
In diesem Zusammenhang hatte Fehr auch eine Interpellation betreffend Methodenwechsel bei der Presseförderung eingereicht und dabei betont, die Treueprämie der Post verfehle ihre pressefördernde Wirkung, wenn sie nicht gar wettbewerbsverzerrend wirke. In die gleiche Richtung zielte eine Empfehlung Dettling (fdp, SZ), welche vom Ständerat an den Bundesrat überwiesen wurde [3]. Wettbewerbsverzerrungen ortete auch die Wettbewerbskommission (Weko) und beantragte dem Bundesrat, die Treueprämie aufzuheben. Das System einer Treueprämie bei der Normalzustellung durch die Post lasse jene Verlage profitieren, die bei der Frühzustellung die Post oder ihre Tochterunternehmen berücksichtigten. Keine oder geringere Rabatte gäbe es aber wenn die Frühzustellung durch andere Anbieter erfolge. Daraus resultiere ein klarer Wettbewerbsvorteil der Post gegenüber anderen Unternehmen. Die Weko hielt eine direkte Unterstützung an die Verlage für das bessere Instrument zum Erhalt der Pressevielfalt [4].
Als Postulat überwies der Nationalrat eine Motion seiner Legislaturplanungs-Kommission, die vom Bundesrat eine Lageanalyse zur Situation des publizistischen Wettbewerbes und der Qualitätssicherung zwischen verschiedenen, voneinander unabhängigen Medien in den Kantonen und Regionen verlangt hatte. Der Bundesrat war bereit gewesen, den Vorstoss als Postulat entgegenzunehmen, anerkannte er doch die zentrale Bedeutung der Medien als Akteure im demokratischen Diskurs und wies im Hinblick auf die Revision des RTVG Untersuchungen zur neusten Entwicklung im Bereich der Print- und elektronischen Medien grosse Wichtigkeit zu [5]. Angesichts medialer Indiskretionen und Vorverurteilungen, wie sie beispielsweise im Fall Bellasi erfolgt seien, stelle sich – so Nationalrat Baumann (svp, TG) in einer Interpellation – die Frage nach dem journalistischen Ethos und nach einer Ausklammerung von Teilen der Privatsphäre aus der medialen Transparenz. Der Bundesrat warnte in seiner Antwort zum Vorstoss vor einem solchen Schritt, hielt das Öffentlichkeitsprinzip hoch, verwies auf die durch das Recht garantierten Instrumente zum Schutz der Persönlichkeit und betonte die Verantwortung der Gesellschaft und der Medien selbst gegenüber Fehlleistungen, zu denen verschärfter Wettbewerb führen könne [6].
Die Bundesanwaltschaft ermittelte aufgrund einer Anzeige des Bundesamts für Polizei (BAP) gegen drei Journalisten des „Sonntags-Blicks“ wegen Veröffentlichung geheimer Unterlagen. Auslöser war ein Artikel über geheime Ermittlungen mehrerer Kantone in Kooperation mit dem BAP und Interpol gegen einen internationalen Mafiaring gewesen [7]. Im „Fall Jagmetti“ bestätigte das Bundesgericht einen Entscheid des Zürcher Obergerichts, wonach ein Redaktor der „Sonntags-Zeitung“ wegen Veröffentlichung amtlich geheimer Verhandlungen zu einer Busse von 800 Fr. verurteilt worden war. In seiner Urteilsbegründung hielt das Bundesgericht fest, die Veröffentlichung einer in vertretbarer Weise für geheim erklärten Information bleibe grundsätzlich strafbar. Eine im Licht der Meinungsäusserungsfreiheit grosszügigere Gesetzesauslegung lehnte das Gericht als unzulässig ab [8]. Im weiteren stützte das Bundesgericht einen Entscheid der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI), welche im Zusammenhang mit der 1997 ausgestrahlten Sendung „L’honneur perdu de la Suisse“ den Verantwortlichen der Télévision Suisse Romande (TSR) eine Verletzung der Programmbestimmungen vorgeworfen hatte. Der Sendebeitrag, in welchem die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg thematisiert worden war, habe es gemäss Urteil des Bundesgerichts an Objektivität und Transparenz mangeln lassen [9].
Der Bundesrat hiess Ende des Berichtsjahres ein Konzept gut, wonach die Medien aus dem Parlamentsgebäude in ein nahes Medienhaus ausgelagert werden sollen zugunsten der Herrichtung von zehn zusätzlichen Sitzungszimmern und eines weiteren Fraktionszimmers für die Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Aufgrund des Protestes der Vereinigung der Bundeshausjournalisten (VBJ) gegen eine solche Auslagerung der vierten Gewalt wurde seitens der Regierung betont, der freie Zugang zum Bundeshaus bleibe für Medienleute auch in Zukunft gewährleistet [10].
Zur Wahlberichterstattung der Medien bei den eidgenössischen Wahlen 1999 vergleiche Teil I, 1e (Wahlen).
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Qualitätssicherung und Selbstkontrolle
An der Jahrespressekonferenz des Presserats im Dezember zog der auf den 1.3.2001 scheidende Präsident Roger Blum eine Bilanz der vergangenen zwölf Monate und wies auf einen dreifach erfolgten Wandel hin: Der Presserat war auf eine breitere Basis gestellt worden und hatte sich für Publikumsvertretungen geöffnet. Zudem war es zu einer Modernisierung und Erweiterung des berufsethischen Kodex gekommen. Blum fügte an, dass dieser aber bei einer steigenden Anzahl von Medienleuten nicht wirklich verankert sei. Die Medien selbst täten zuwenig, um der bedenklichen Zunahme an Beschwerden Einhalt zu gebieten beziehungsweise diese von vornherein unnötig zu machen. Lag zu Beginn der neunziger Jahre die Zahl der Stellungnahmen des Presserats zu Beanstandungen noch zwischen acht und zwölf, waren es im Berichtsjahr 46. Von den 55 eingetroffenen und häufig Leserbriefe betreffenden Beschwerden waren neun zurückgezogen und zwei durch Nichteintreten des Presserats erledigt worden. Blum rief zu einer medienethischen „éducation permanente“ auf – zum fortlaufenden ethischen Diskurs auf der Grundlage des berufsethischen Kodex in Verlagen, Redaktionen, Ausbildungsinstitutionen, Radio- und Fernsehstationen. Insbesondere Chancen und Hindernisse für die Beachtung der Medienethik im Internet gaben an der Konferenz zu reden [11]. Der Verein „Qualität im Journalismus“ präsentierte seinerseits Thesen für eine solide Aus- und Weiterbildung von Medienschaffenden. Angesichts des Booms an neuen Ausbildungsgängen sei Orientierungshilfe prioritär [12].
 
[1] Bund, 13.6.00.1
[2] AB NR, 2000, S. 1194; SGT, 2.9.00. Zum Wechsel vom Geheimhaltungs- zum Öffentlichkeitsprinzip in der Bundesverwaltung siehe oben, Teil I, 1c (Verwaltung).2
[3] AB NR, 2000, S. 1206; AB SR, 2000, S. 718. Vgl. hierzu auch die Antwort des BR zum Vorstoss Zisyadis (pda, VD) betreffend die Versandkosten für Zeitungen mit kleinen Auflagen (AB NR, 2000, S. 458).3
[4] NZZ, 24.8.00.4
[5] AB NR, 2000, S. 770.5
[6] AB NR, 2000, S. 850; Presse vom 7.4.00. Zu einer medienwissenschaftlichen Studie über die Informationsführung der Verwaltung und die Rolle der Medien im Fall Bellasi siehe SGT, 24.6.00.6
[7] NZZ, 7.12.00.7
[8] Presse vom 8.12.00; NZZ, 11.1.01; vgl. SPJ 1997, S. 333.8
[9] Bund, 22.1.00; TG, 24.11.00; LT, 16.12.00; NZZ, 20.12.00.9
[10] TA, 15.9. und 25.11.00; Presse vom 9.12. und 21.12.00; Ww, 14.12.00. Siehe hierzu auch die Antwort des BR auf die Frage Vollmer (sp, BE) betreffend Medienzensur im Bundeshaus anlässlich des Besuchs der österreichischen Aussenministerin in der Schweiz (AB NR, 2000, S. 323; Bund, 14.3.00).10
[11] Presse vom 25.8. und 2.12.00. Vgl. SPJ 1999, S. 339. Siehe hierzu auch die Ausführungen Blums zur wachsenden Anerkennung des Presserats als Organ der medialen Selbstkontrolle (NZZ, 19.8.00; SGT, 20.8.00; Presse vom 25.8.00).11
[12] BaZ, 31.8.00. Zur Lancierung neuer Ausbildungsangebote an diversen Fachhochschulen und Universitäten vgl. bspw. LT, 30.5.00; TA, 17.6.00; NZZ, 6.7.00; BaZ, 15.12.00.12