Année politique Suisse 2001 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Schweizerische Volkspartei (SVP)
Im Februar gab Jean-Blaise Defago seinen Rücktritt als Generalsekretär bekannt. Zu seinem Nachfolger bestimmte der leitende Parteiausschuss den 28-jährigen Zürcher Gregor Rutz. Rutz hatte sich prononciert gegen das Antirassismus-Gesetz engagiert und war 1998 von der FDP zur SVP übergetreten. Um Widerstand gegen den Zürcher „Putsch“ zu vermeiden, war der Berner Hermann Weyeneth in die Suche nach einem Nachfolger eingebunden worden. Der 29-jährige Berner Yves Bichsel, seit Januar 2000 als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Generalsekretariat tätig, übernahm das Amt des Pressesprechers [36].
Mitte März wählte die Junge SVP in Lugano Salvatore Airò (SG), dessen Vater aus Italien stammt, zum Präsidenten und Nachfolger von Mark Kuster [37].
Im November trat Walter Frey (ZH) überraschend als Fraktionspräsident zurück. Als Nachfolger zog die SVP-Fraktion den Baselbieter Caspar Baader dem Berner Hermann Weyeneth vor [38].
Im Februar gab die SVP bekannt, sie plane eine eigene Wochenzeitung in einer Auflage von 60 000 Exemplaren, die Ende Jahr zum ersten Mal erscheinen solle. Damit wolle sie auch jüngere, noch schlecht ausgerüstete Kantonalsektionen mit Informationen versorgen und ihnen ein Forum für ihre kantonalen politischen Anliegen bieten. Die kantonalen Parteiblätter sollten aufgelöst und durch das neue Organ ersetzt werden. Dass jedoch alle SVP-Mitglieder die geplante Wochenzeitung abonnieren müssten, stiess insbesondere in den Kantonen Bern, Thurgau, Graubünden und Aargau auf heftige Kritik. Daraufhin sistierte die SVP das Projekt [39].
Mitte Oktober gründete die SVP in Neuenburg, dem letzten weissen Flecken auf der SVP-Landkarte, eine Ortssektion. Damit ist sie als einzige Partei in allen 26 Kantonen präsent [40].
Um die junge Kantonalpartei im Hinblick auf die Wahlen zu unterstützen, führte die SVP im Januar erstmals eine Delegiertenversammlung im Wallis durch und beschloss in Martigny die Nein-Parole zur EU-Beitrittsinitiative [41].
Im Vorfeld zur Abstimmung über die EU-Beitrittsinitiative stellte der Aargauer Ständerat Maximilian Reimann im SVP-Pressedienst die provozierende Frage, ob die deutsche und die welsche Schweiz überhaupt noch zusammenpassten. Die Romandie solle sich der EU anschliessen, statt über die sie regelmässig überstimmende Deutschschweiz zu lamentieren. Die SVP-Spitze zeigte sich verärgert, da diese Aussagen der Absicht der SVP schadeten, in der Romandie an Terrain zu gewinnen. Reimann entschuldigte sich später in einem Zeitungsinserat für die Brüskierung. Nationalrat Luzi Stamm (AG) wechselte im Frühjahr von der FDP- in die SVP-Fraktion [42].
Ende April beschlossen die Delegierten auf dem Sarner Landberg (OW) die Nein-Parole zu den beiden Teilrevisionen des Militärgesetzes. Von den rund 30 Votanten hatten sich nur sieben für die Vorlagen eingesetzt; sie wurden zum Teil ausgepfiffen [43]. In der Folge erregte die Abstimmungskampagne mit Särgen, Soldatenfriedhöfen, verunstalteten Schweizerkreuzen und Militärköpfen, die von der AUNS und von einem überparteilichen, von der jungen SVP dominierten Komitee unter der Leitung von SVP-Nationalrat und -Vizepräsident Toni Brunner (SG) geführt wurde, die Gemüter. SVP-Nationalrat Jürg Stahl (ZH) verlangte eine Aussprache über die ganze Inseratenkampagne, da die SVP mit ihren Nationalräten Blocher, Fehr und Schlüer im Stil und personell eng mit der AUNS verbunden sei [44].
Als letzte Partei nach der SP, der CVP und FDP nahm die SVP Stellung zur Familienpolitik. Sie verlangte eine steuerliche und rechtliche Privilegierung der klassischen Familie gegenüber anderen Lebensgemeinschaften. Fristenregelung, staatlich geförderte Krippen und eine Mutterschaftsversicherung lehnte sie ab [45].
In einem Positionspapier zur Integrationspolitik verlangte die SVP, dass nur integriert werden solle, wer sich anpasse. Rechtzeitig zum Nationalfeiertag präsentierte sie ihren Entwurf eines Anforderungsprofils für künftige Schweizerinnen und Schweizer. Als Mindestvoraussetzung für jede Einbürgerung, auch für die erleichterte Einbürgerung von Ehegatten, sollten gute Kenntnisse einer der vier Landessprachen in Wort und Schrift, keinerlei Vorstrafen sowie das selbständige Bestreiten des Lebensunterhalts (Wohnung und Arbeitsstelle) sein. Der Bürgerrechtsmissbrauch durch Scheinehen sei zu bekämpfen [46].
An der Delegiertenversammlung in Gais (AI) lehnten die Delegierten den Entwurf zur Armee XXI ab und verlangten eine grundlegende Neuausrichtung des Reformprojekts. Sie sprachen sich für die Stärkung der Miliz und gegen eine Zweiklassenarmee mit Berufssoldaten aus. Einstimmig verabschiedeten die Anwesenden ausserdem eine Resolution, die sich gegen den Abbau von Grenzkontrollen (Schengen-Abkommen der EU) und die Abschaffung der schweizerischen Waffentradition richtete und sich für die Autonomie der Kantone einsetzte [47].
Ende Oktober empfahl die Delegiertenversammlung der SVP in Freiburg den Stimmberechtigten einhellig, die vier Volksinitiativen vom Dezember abzulehnen und bestätigte das Nein der Parteileitung zur Beteiligung des Bundes an der neuen schweizerischen Luftfahrtgesellschaft. Um Kontroversen zu vermeiden, beschränkten sich die Delegierten bei der Statutenrevision auf Vereinfachungen im Bereich der Kommissionen und die Aufwertung der „SVP Senioren“ zu einer Gruppierung mit Vertretung in den Leitungsorganen [48].
Ende November behandelte die SVP an einem Sonderparteitag in Luzern die UNO-Beitrittsinitiative. Mit ihrem Eintreten für einen Beitritt der Schweiz zur UNO hatte die Bündner Nationalrätin Brigitta Gadient keine Chance. Die SVP-Delegierten lehnten ihn mit 389:44 Stimmen ab [49].
Im September legte die SVP den Forderungskatalog ihrer geplanten Gesundheitsinitiative vor. Die Krankenkasse sollte analog der AHV auf einem Dreisäulenmodell aufgebaut sein mit einer obligatorischen Krankenversicherung, die das Minimum abdeckt, einer erweiterten Krankenversicherung als freiwillige, individuelle Ergänzung und einer Zusatzversicherung. Nicht der Bundesrat, sondern das Parlament solle den Leistungskatalog für die obligatorische und die erweiterte Krankenversicherung festlegen [50].
Die SVP vermochte zum dritten Mal in Folge die Zahl ihrer Parlamentsmandate (+59) zu vergrössern. Im Aargau stellt sie die stärkste Fraktion (+25), in Solothurn führten ihre Gewinne (+14) dazu, dass sich der Kanton von einem Drei- zu einem Vierparteienstaat wandelte. Schliesslich schaffte die SVP den Einzug ins Walliser und ins Genfer Parlament und konnte sich damit definitiv als gesamtschweizerische Partei etablieren. In Neuenburg ist sie als einzigem welschen Kanton – noch – nicht vertreten. Obschon die SVP auf Parlamentsebene massive Gewinne erzielte, blieb ihr der Erfolg in den Exekutivwahlen versagt.
 
[36] NZZ, 24.2.01; Presse vom 25.-27.2. und 10.3.01 (Rutz); So-Blick, 4.3.01; NZZ, 19.4.01. 36
[37] Presse vom 19.3.01. 37
[38] Presse vom 6.11. und 9.11.01; Wahl: Presse vom 17.11.01. 38
[39] SoZ, 11.2. und 8.4.01; TA, 15.2.01; LT, 10.4.01; NZZ, 23.3.01; BZ, 27.4. und 30.4.01; LT, 1.5.01; NZZ, 2.5.01. 39
[40] AZ und NZZ, 18.10.01; BaZ, 19.10.01. 40
[41] NZZ, 27.1.01; Presse vom 29.1.01. 41
[42] Reimann: LT, 27.2.01; Presse vom 28.2.01; AZ, 1.3.01; TA, 7.3.01. Stamm: Presse, insbesondere AZ, 14.3.01. 42
[43] Presse vom 30.4.01. 43
[44] BZ, 5.5. und 22.5.01. 44
[45] Presse vom 11.7.01. 45
[46] Presse vom 17.1.01; NZZ, 31.7.01. 46
[47] Presse vom 20.8.01. 47
[48] Presse vom 22.10.01. 48
[49] Presse vom 26.11.01. 49
[50] SoZ, 9.9.01. 50