Année politique Suisse 2001 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Staatsschutz
Nach den Attentaten vom 11. September in den USA beteiligte sich die Schweiz an den weltweiten Versuchen, die logistischen und organisatorischen Netzwerke der Terroristen aufzudecken und zu zerschlagen. Erste Abklärungen ergaben, dass bedeutsame Verbindungen zur Schweiz und namentlich dem schweizerischen Finanzplatz mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht bestanden hatten. Konten von Organisationen, welche den US-Behörden verdächtig erschienen, wurden von der Bundesanwaltschaft gesperrt, und eine im Tessin angesiedelte islamische Finanzgesellschaft wurde polizeilich durchsucht. Obwohl sich von der für die Anschläge in den USA verantwortlich gemachten islamischen Organisation Al-Quaida in der Schweiz keine Spuren finden liessen, wurde sie und eventuelle Nachfolgeorganisationen sowie Unterstützungsaktionen zu ihren Gunsten vom Bundesrat verboten [15]. Interpellationen von Ständerat Fünfschilling (fdp, BL) sowie der FDP-Fraktion im Nationalrat gaben dem Bundesrat Gelegenheit, sein Konzept und die bestehenden und geplanten Vorkehrungen zu einer wirksamen Bekämpfung des internationalen Terrorismus darzulegen. Eine umfassende Lagebeurteilung kündigte er für das Frühjahr 2002 an. Eine Motion Merz (fdp, AR) für einen Ausbau des Instrumentariums der Staatsschutzorgane namentlich im Bereich der Nutzung von elektronischen Datenbanken und Informationssystemen bei gleichzeitiger Verstärkung der parlamentarischen Aufsicht überwies die kleine Kammer in Postulatsform. Die CVP reichte ihrerseits Motionen für mehr Überwachungskompetenzen und eine Lockerung der Datenschutzbestimmungen für den Nachrichtendienst ein [16].
Die 1999 von der Vorsteherin des EJPD und den kantonalen Polizeidirektoren eingesetzte verwaltungsinterne Arbeitsgruppe Usis („Überprüfung des Systems der inneren Sicherheit“) kündigte an, ihren Schlussbericht im Jahr 2002 vorzulegen. Im Herbst des laufenden Jahres informierte sie über Empfehlungen für Sofortmassnahmen. Ihrer Ansicht nach soll das EJPD eigene Polizeitruppen zur Wahrung der vom Bund zu garantierenden inneren Sicherheit erhalten. Diese neue Truppe würde es auch erlauben, das Militär von polizeilichen Aufgaben wie Grenz- und Botschaftsbewachungen, Schutz von internationalen Konferenzen etc. zu entlasten. Das Grenzwachtkorps, das bereits heute zur Mehrheit sicherheitspolizeiliche Aufgaben erfüllt, soll zudem vom EFD ins EJPD wechseln und personell aufgestockt werden. Die Bundesbehörden und die kantonalen Polizeidirektoren übernahmen diese Vorschläge nicht integral. Man war sich zwar einig, dass die Armee in Zukunft nur subsidiär Aufgaben im Bereich der inneren Sicherheit erfüllen soll und dazu eine Aufstockung der Polizeikräfte um rund 700-1000 Personen erforderlich ist. Während die Kantonsvertreter aber primär auf einen Ausbau ihrer eigenen Polizei setzen, will das EJPD als Variante auch die Schaffung einer Bundespolizeitruppe weiter verfolgen [17]. Nach dem Nationalrat forderte nun auch der Ständerat die Regierung auf, angesichts der Rekrutierungsschwierigkeiten und der anspruchsvoller gewordenen Aufgaben die Arbeitsbedingungen beim Grenzwachtkorps zu überprüfen und geeignete Massnahmen zu ergreifen [18].
Der Ständerat bestätigte seinen Entscheid aus dem Vorjahr, die Beziehungen von schweizerischen Personen und Unternehmen zur Staatssicherheitspolizei der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Stasi) nicht von Staates wegen wissenschaftlich erforschen zu lassen. Er lehnte die parlamentarische Initiative Frey (svp, ZH) zum zweiten Mal und damit definitiv ab. Der Nationalrat hatte zuvor beschlossen, die Initiative weiterhin zu unterstützen [19].
 
[15] Presse vom 18.9., 8.11. (Al-Quaida) und 9.11.01; NZZ, 21.9.01; LT, 3.10., 1.11. und 1.12.01. Zum komplexen, in der Regel nicht auf westliche Banken angewiesenen muslimischen Finanzmarkt siehe auch WoZ, 8.11.01. Zum Amoklauf im Zuger Kantonsparlament siehe unten, Teil I, 1c (Einleitung).15
[16] AB SR, 2001, S. 939 ff. (Beilagen, VI, S. 75 f. und 85 ff.); AB NR, 2001, S. 2005 (Beilagen V, S. 448 ff.); Bund, 5.12.01 (CVP).16
[17] Presse vom 13.10. und 10.11.01. Vgl. dazu auch BR Metzler in AZ, 27.12.01.17
[18] Der SR überwies eine entsprechende Empfehlung seiner SIK und, in Postulatsform, die vom NR im Vorjahr überwiesene Motion Schmied (svp, BE): AB SR, 2001, S. 60 ff.18
[19] AB NR, 2001, S. 277 ff.; AB SR, 2001, S. 266 ff. Vgl. SPJ 2000, S. 25.19