Année politique Suisse 2001 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
Parlament
Wie 1999 auf Antrag von Tessiner Parlamentariern beschlossen, fand die
Frühjahrssession in Lugano statt. Nach Genf (1993) war dies erst die zweite Parlamentssession ausserhalb der Bundesstadt Bern
[8].
Die SPK-NR beantragte mittels einer parlamentarischen Initiative ein
neues Parlamentsgesetz, welches das bisherige Geschäftsverkehrsgesetz ablösen soll. Die Fragen der Ausstattung der Parlamentarier mit Infrastrukturen und der Entschädigungen für ihre Arbeit wurden aus dieser Reform ausgeklammert. Angestrebt wird mit dem neuen Gesetz eine systematischere Ordnung der Regeln sowie die Erhebung gewisser Bestimmungen von Reglements- auf Gesetzesstufe (z.B. das Verfahren bei der Bundesratswahl). Zum zweiten geht es um eine Anpassung an die durch die neue Bundesverfassung geschaffenen besseren Kontroll- und Mitwirkungsrechte des Parlaments. Dabei stehen erweiterte und rechtlich abgesicherte
Informationsansprüche der parlamentarischen Kommissionen gegenüber der Verwaltung im Vordergrund. Neu soll zudem das Parlament dem Bundesrat auch in dem an ihn delegierten Rechtsetzungsbereich mit Motionen verbindliche Aufträge erteilen dürfen (bisher sogenannte unechte Motionen im Nationalrat resp. Empfehlungen im Ständerat). Das dritte Kernelement betrifft die
parlamentarischen Instrumente. Vorgeschlagen wurde, die Kommissionsmotion aufzuwerten und die Bedingungen für die Weiterbearbeitung einer parlamentarischen Initiative zu verschärfen. Bei den Kommissionsmotionen soll dies durch eine prioritäre Traktandierung geschehen, bei der parlamentarischen Initiative dadurch, dass ihr nicht nur eine, sondern beide Ratskammern Folge geben müssen, um eine Weiterbearbeitung durch eine Kommission auszulösen. Das Einreichen von offensichtlich nicht mehrheitsfähigen Motionen soll zudem dadurch weniger attraktiv werden, dass die Überweisung einer Motion als Postulat nicht mehr möglich sein soll
[9].
In seiner Stellungnahme zu diesen Reformvorschlägen meldete der
Bundesrat bei den neuen Informations- und Mitwirkungsrechten des Parlaments erhebliche Einwände an. Er wehrte sich insbesondere dagegen, dass auch die Delegation der Geschäftsprüfungskommission und nicht nur wie bisher die Delegationen der Finanzkommission und einer PUK Einblick in Unterlagen erhalten soll, welche der Regierung zur unmittelbaren Entscheidfindung dienen. Ebenfalls nicht einverstanden war er mit dem Antrag, dass bei Uneinigkeit zwischen einem Parlamentsmitglied resp. einer Kommission und dem Bundesrat über den Umfang der offenzulegenden Information der endgültige Entscheid nicht mehr von der Regierung, sondern vom Ratspräsidium gefällt wird
[10].
Im
Nationalrat war Eintreten auf das neue Parlamentsgesetz nicht bestritten. Bei den wichtigen Streitpunkten zwischen Nationalratskommission und Bundesrat setzte sich durchwegs erstere deutlich durch. Die Neuregelung des Vorgehens bei der Behandlung von parlamentarischen Initiativen wurde hingegen etwas entschärft. Beschlossen wurde, dass nicht der Zweitrat, sondern bloss dessen zuständige Kommission einer Initiative ebenfalls Folge geben muss, damit sie weiter behandelt wird. Ein Antrag der Linken, auf das Mitbestimmungsrecht des Zweitrates in dieser ersten Phase wie bisher zu verzichten, fand keine Mehrheit. Auf Antrag von Sommaruga (sp, BE) beschloss der Nationalrat ferner, im Sinne von mehr Transparenz in Zukunft das Abstimmungsverhalten der einzelnen Parlamentsmitglieder nicht nur bei Schluss- und Gesamtabstimmungen und weiteren wichtigen Entscheidungen zu erfassen und zu publizieren, sondern bei jeder Abstimmung. Ebenfalls im Sinne von mehr Transparenz wurden die Vorschriften über die
Offenlegung von Interessenbindungen verschärft. In Zukunft sollen die Parlamentarier nicht nur die bedeutenden Verwaltungsrats- und Beratermandate anzeigen müssen, sondern sämtliche. Bisher, d.h. seit 1985, galt die vom Ratsbüro aufgestellte Regel, dass nur Mandate für Firmen mit einem Aktienkapital von mindestens 5 Mio Fr. angegeben werden mussten. Diverse Anträge der Linken, welche Parlamentariern die Ausübung von Verwaltungsratsmandaten gänzlich verbieten wollten, blieben hingegen chancenlos
[11]. Auslöser für diese Verbesserung der Transparenz, welche die SPK kurz vor der Plenumsberatung in den Entwurf aufgenommen hatte, waren die Diskussionen um bisher nicht im Register der Interessenbindungen der Parlamentarier deklarierte Verwaltungsratsmandate des Zuger Nationalratspräsidenten und Wirtschaftsanwalts
Peter Hess (cvp) gewesen. Die von einem Teil der Presse geäusserte Vermutung, dass eine der von ihm vertretenen Firmen (British American Tobacco, BAT) in Zigarettenschmuggel und andere Gesellschaften in Geldwäscherei verwickelt seien, liess sich nicht nachweisen. Immerhin war der politische Druck so gross, dass Hess für die Zeit seines Präsidialamtes von allen seinen 48 Verwaltungsratsmandaten zurücktrat
[12].
Bei dem vom Bundesrat im Dringlichkeitsverfahren beschlossenen und von der Finanzdelegation der eidg. Räte abgesegneten Hilfspaket für die schweizerische Luftfahrt nach dem Zusammenbruch der
Swissair waren zwar die vom Gesetz vorgeschriebenen Verfahren eingehalten worden; im Parlament löste das Vorgehen, welches ihm nur noch das Recht einer nachträglichen Sanktionierung liess, aber trotzdem Unbehagen aus. Nationalrätin Vallender (fdp, AR) reagierte mit einer Motion, welche solche
ausserordentlichen Ausgabenentscheide des Bundesrats mit Absegnung durch die Finanzdelegation auf Beträge von 100 Mio Fr. (resp. 500 Mio Fr. bei einstimmiger Zustimmung durch die Finanzdelegation) limitieren will
[13].
Aufgrund eines Gesuchs der Bezirksanwaltschaft Zürich, welche gegen
Nationalrat Blocher (svp, ZH) ein Strafverfahren wegen Verstosses gegen das Verbot der Rassendiskriminierung durchführen wollte, musste sich das Parlament mit der Aufhebung von Blochers Immunität befassen. Anlass der Klage war eine Rede Blochers von 1997, in welcher er das Vorgehen von internationalen jüdischen Organisationen im Streit um die nachrichtenlosen Konten bei Schweizer Banken kritisiert hatte. Die Mehrheit der Rechtskommission plädierte auf Ablehnung des Gesuchs, da Blocher seine Ansprache in seiner Funktion als Politiker gehalten habe und – in einer summarischen Beurteilung – der monierte Tatbestand des Antisemitismus nicht gegeben sei. Gegen den Widerstand der SP, welche die Äusserungen Blochers als klar antisemitisch taxierte und deshalb die Immunität aufheben wollte, folgte der Rat seiner Kommission und lehnte das Gesuch der Bezirksanwaltschaft ab. Der Ständerat schloss sich diesem Entscheid diskussionslos an
[14].
[8]
CdT, 1.3.01 (Beilage); Presse vom 6.3., 23.3. und 24.3.01. Vgl.
SPJ 1999, S. 44.8
[9]
BBl,
2001, S. 3467 ff. Der NR hatte im Vorjahr mit einem Postulat strengere Bestimmungen für die parl. Initiativen gefordert (
SPJ 2000, S. 38).9
[10]
BBl,
2001, S. 5408 ff.10
[11]
AB NR, 2001, S. 1304 ff. und 1334 ff. Zur Neuregelung der Beziehungen zwischen Parlament und Regierung siehe auch
NZZ, 29.10.01.11
[12]
Sonntags Blick, 11.2., 18.2. und 6.5.01;
Blick und
NLZ, 12.2.01; Presse vom 13.2., 14.2., 9.5., 14.5., 17.5. und 11.8.01;
TA, 16.2.01;
Blick, 7.5., 8.5. und 16.5.01;
NZZ, 22.5. 0112
[13] Mo 01.3662;
BZ, 19.11.01. Zur Swissair siehe unten, Teil I, 6b (Trafic aérien).13
[14]
AB NR, 2001, S. 1093 ff.;
AB SR, 2001, S. 954 ff.;
Bund, 3.7.01.14
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